Ho Narro: Zwischen Komasuff und Stechschritt
Mit Tempo biegt die Fasnacht auf die Zielgerade ein. Bälle rund um die Uhr und dazu eine Berichterstattung in der Tagespresse, die sich seit Jahrzehnten kaum unterscheidet. Graue Mäuse werden kurzfristig zu bunten Kanarienvögeln, um dann wieder in der Versenkung zu verschwinden. Und über allem thront eine Funktionärskaste, die die Marschrichtung vorgibt. So die Meinung eines langjährigen Fasnachters, der dann die Seiten wechselte. Hier sein Bericht, den er vor 32 Jahren für das Nebelhorn schrieb. Hat sich seitdem was geändert? Urteilen Sie selbst
Alle Jahre kommt sie wieder, die Fasnachtszeit. Unüberhörbar und unübersehbar wirft sie ihre Schatten voraus. Sie ist auch weit über die Grenzen der hauptamtlichen Bodenseemetropole und ehrenamtlichen Universitätsstadt hinaus bekannt, weshalb dieses große Ereignis mehr Fremde/Auswärtige etc. anzieht. Für dieses Publikum erscheint die Fasnacht als das, was sie gern von verschiedenen Stellen ausgegeben wird: eine Art „Volksfest“, in dem „althergebrachtes Brauchtum“ gepflegt wird und überall farbenfrohes Spektakel ist; die Narrenfreiheit wird ausgerufen, für kurze Zeit werden die Zügel der Zwänge lockerer gelassen usw. usf. Der Fasnachtstourist dürfte die Sache also als eine Art Ausbruch aus dem täglichen Trott erleben und sich freuen, daran teilnehmen zu dürfen. So oder ähnlich wird es jedenfalls immer verlautbart. Nachdem nun der Tourist abgehakt ist, kommt der Einheimische an die Reihe. Diese Spezies könnte man ganz grob in drei Sparten einteilen. Da wäre zunächst der Fasnachtsaktivist, als zweiter der Sympathisant, als dritter der „Anti-Typ“.
Beginnen wir mit dem Anti-Typen: das sind all diejenigen, die aus den verschiedensten Gründen mit der Fasnacht nichts am Hut haben, die also auch an Fasnacht in Zivil einherschreiten und sich zu dieser Zeit möglichst wenig auf den Straßen zeigen oder gleich verreisen.
Der zweite Typ, als Sympathisant bezeichnet, trägt ebenfalls Zivil, wenn’s hoch kommt ’ne rote Pappnase und findet die Fasnacht „ganz nett, aber selber mit machen würd’ ich da nicht“.
Aus dieser zahlenmäßig sehr großen Gruppe rekrutiert sich das dankbare Publikum für den letzten Typus, den Aktivisten. Diesen könnte man wieder einteilen in
a) der unorganisierte Aktivist
b) der organisierte Aktivist.
Die Gruppe a) ist relativ groß und setzt sich zusammen aus Personen, die aus irgendwelchen Gründen bei dem ganzen Zauber dabei sind, verkleidet rumlaufen aber nicht zu einer der Fasnachtszünfte, -vereine oder sonstigen Organisationen gehören.
Nun zur Gruppe b). Diese besteht aus den Mitgliedern der o. a. Organisationen und sorgt für Action. Sie schillert in den verschiedensten Farben, vom Grasgrün bis Filbingerbraun, aufgelockert, vereinzelt hier und da, durch ein paar wenige rote Farbtupfer. Diese Organisationen verdienen es, genauer betrachtet zu werden, was aber nur möglich ist, wenn wir vorher die Kulissen niederreißen, die aufgestellt wurden, um die freie Sicht auf das sich dahinter ausbreitende Sumpfgebiet zu verdecken. Greifen wir also in die Konstanzer Kiste und betrachten, viel Feind, viel Ehr, die größte unter den Fasnachtszünften, die wohl nur als ein Beispiel gelten könnte: die Blätzlebubenzunft. (Eigentlich müsste man sagen „-zünfte“, da es ja zwei gibt.)
Diese setzt sich zusammen aus dem gemeinen Fußvolk, den Hästrägern, und der Führung und deren Sympathisanten, die darauf bedacht sind, Abstand zum Fußvolk zu haben. Es besteht ein streng hierarchischer Aufbau; man hat ein gutes Gefühl dafür, was „oben“ und „unten“ in der Zunft ist. Als einer von „unten“ hat man kaum Möglichkeiten, das Treiben der Leute „oben“ zu übersehen. Ein Grund dafür ist die erwähnte, fast standesbewusste Abgrenzung der „oben“ sich Befindenden, ein zweiter die Weigerung der „oben“ Seienden, Kritik und Anregungen von „unten“ entgegenzunehmen. So ist man also „oben“ in der Lage, Ämter und Pöstchen zu verteilen, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen und sich bei Gelegenheit als Sprecher für sämtliche Mitglieder aufzuspielen (so geschehen bei der Debatte um das Haus für entlassene Strafgefangene in der Hussenstraße, wo Zunftmeister H. Hug in einer Front mit BGK-Stadtrat Eyermann „im Namen der Mitglieder der Konstanzer Blätzlebubenzunft“dagegen protestierte, dass neben dem „von der Zunft“ renovierten Schnetztor eine solche Einrichtung entstehen sollte). Man nutzt also die Möglichkeit, sich mit Hilfe der „Zunft“ größer darzustellen als man ist.
Beispiel Schnetztorrenovierung: Nach Beendigung des ersten Teils der Ausbauarbeiten wurden Turmherren gesucht, die repräsentativ sein sollten und den weiteren Ausbau unterstützten.
Wen konnte man neben dem Zunftmeister und anderen Honoratioren in der Zeitung sehen: den jetzigen Ministerpräsidenten Späth und den damaligen Bundesinnenminister Werner „Wanze“ Maihofer. Diese sind sicherlich sehr repräsentativ, fragt sich nur für was…. sicherlich nicht für die Basis. Die, die „oben“ sind, können also schalten und walten, wie sie wollen, ohne dass die „unten“ irgendeine Einflussmöglichkeit haben. Das wäre zunächst der Blick auf eine der Fasnachtsorganisationen.
Ein anderes Phänomen sind die sog. Fanfarenzüge. Sie sorgen für die musikalische Untermalung des Spektakels. Zum Teil werden sie von der Zunft/dem Verein, zu der/ dem sie gehören, ausgehalten. Die hierarchische Struktur setzt sich auch da fort, allerdings etwas krasser als in der Mutterorganisation. Man könnte versucht sein, sogar von einer paramilitärischen Vereinigung zu reden; nicht nur die Art der Musik und der streng eingehaltene Gleichschritt sprehen dafür – oft steht man der Bundeswehr und dem Militarismus sehr nahe und bezeichnet Kriegsdienstverweigerer schon mal als Drückeberger, als Gammler, die man an die Wand stellen sollte, als „räudige Kommunisten“ etc. Diese Vorfälle können allerdings nicht verallgemeinert werden, sie sind nur Hinweise auf gewisse Verhältnisse.
Weiter: Über diesem Haufen thront der Fanfarenmeister, unterstützt von seinem Stab, auch auf Abstand zum Fußvolk bedacht. Seinen Anordnungen muss man sich unterordnen, wer nicht spurt und „unten“ steht, „fliegt raus“. Es gäbe speziell über diese Fanfarenzüge noch jede Menge zu sagen; ich will es mir sparen, da mich diese ganze total verfilzte Sphäre anödet… Abschließend wäre vielleicht noch aufzuführen, dass ein Mitglied eines Fanfarenzugs, wenn es aus irgendwelchen Gründen in einen anderen Fanfarenzug möchte, eine gewisse Zeit gesperrt wird und nicht spielen darf – es herrscht also auch unter den einzelnen Fanfarenzügen eine total kindische Konkurrenz, Prestigedenken usw.
Zurück zum gemeinen Aktivisten: Über die Fasnachtszeit ist sein Terminkalender randvoll, er steht im dauernden Stress, er muss ein Programm durchziehen, er kommt nicht zur Ruhe. Er erntet dafür die Anerkennung und den Beifall seines Publikums, die er im „everyday life“ nie ernten kann, denn da ist er Durchschnitt, versinkt in der Masse und ist i.a. konservativ und reaktionär wie mancher andere, der einmal für kurze Zeit den Geschmack der Macht kosten durfte. Seine Minderwertigkeitskomplexe werden durch seine fasnächtliche Tour in die Spitzen der Gesellschaft kurzzeitig kompensiert, um hinterher wieder verschärft hervorzubrechen. Um sie dann wieder zu kompensieren, kann er sich vielleicht Anerkennung dadurch verschaffen, dass er Minderheiten (Schwule, Punks, Gammler etc.) diskriminiert.
Auch diese Analyse darf nicht verallgemeinert werden, scheint aber doch, nach meinen langjährigen Erfahrungen, zumindest in einigen Fällen zuzutreffen. Zu guter Letzt stehen hinter der Fasnacht, wie sie hier durchgeführt wird, handfeste Kapitalinteressen. Die Wirte verdienen sich dumm und dämlich, andere Betriebe (Mc. Donalds etc.) haben die Werbewirksamkeit des Themenbereichs Fasnacht voll erkannt und steigen dementsprechend massiv ein. Längst hat sich die Konstanzer Fasnacht vom Volksfest zur großen Vermarktungsfete entwickelt, haben reaktionäre Typen die Fasnacht fest in der Hand. Es gelingt mir trotz aller Erfahrungen nicht, die Fasnacht voll und ganz abzulehnen, ich sehe trotz allem noch positive Elemente in der Fasnacht als ganzer, anarchistische Züge, aber eben nicht in Konstanz und nicht in der Art, wie sie hier praktiziert wird und nicht repräsentiert durch die Leute, die ihrerseits die Rolle des großen Repräsentanten spielen, dabei aber nur als lächerliche, aufgeblasene Wichtigtuer wirken. Nach neun Jahren als Aktivist hab‘ ich mich darum vom Aktivisten zum Anti-Typen entwickelt, statt Fanfarenzug mach ich jetzt Punk, und statt mir alles gefallen zu lassen, schlag‘ ich jetzt zurück.
Ich habe viele Jahre in der Karnevalshochburg Köln gelebt, und da geht es ganz genauso zu. Das, was sich einst (anders als im alemannischen Karneval) als Persiflage auf die preußische Besatzungsmacht entwickelte, wurde vom Geldadel eingesackt und korrumpiert. Seitdem gibt es unantastbare Hierarchien (wie etwa in der katholischen Kirche), und die Pöstchen-Vergabe (etwa Prinz, Bauer und Jungfrau) spiegelt die Resultate der Kungeleien, die hinter den Kulissen stattgefunden haben.
Danke ans Nebelhorn, und danke an SeeMoz fürs Ausgraben.