In Schwulitäten (13)

aus: Nebelhorn Nr. 34, Januar 1984, von Jochen Kelter

Ist General Kießling schwul?1 Ist Verteidigungsminister Wörner (der Manfred der Bundeswehr) schwul? Oder NATO-Oberbefehlshaber Rogers? Oder wer ist denn nun eigentlich schwul, verdammt noch mal! Das Schmierenstück läuft seit Wochen, die Akteure schreien nach Aufklärung und lassen schön die Finger davon, und das geneigte Publikum verliert – das ist, so steht zu vermuten, Teil des Regieplans – allmählich die Übersicht.

Beim „Südkurier“ geht es derweilen zu wie beim MAD. Chefredakteur Oexle schweigt sich bislang aus, und von übrigen Chefschreibern durften alle mal ran. Vize-Chef Appenzeller machte am 13. Januar den Anfang, Chef vom Dienst Seewald durfte am 16.1., am 19.1. war Gerd Appenzeller wieder dran, Innenpolitik-Obmann Robert Rapp am 21.1., und am 26. Januar hat man gar den Bonner Korrespondenten, einen Mann namens Heinzgünther Klein bemüht.

Das liest sich dann so: „Wie auch immer: Einer von beiden … wird nach Aufklärung aller Fragen sein Amt tatsächlich los sein …“ (Appenzeller am 13.1.) „Nach Aufklärung aller Fragen“. Wohlgemerkt. Auf die Art weiß ich sogar schon, wer’s sein wird. „…hieb- und stichfeste Beweise gegen General Kießling hat der Minister bis zur Stunde nicht auf den Tisch legen können.“ (Seewald am 16.1.). „…daß man Manfred Wörner bis zum Beweis des Gegenteils glauben muß, daß er wohlüberlegt und aus guten Gründen gehandelt hat.“ (Appenzeller am 19.1.) „Die Behauptung des Ministers … ist von keiner Seite widerlegt worden“, schreibt Robert Rapp am 21.1. und zwei Absätze weiter: „Für diese Behauptung ist er jedoch bisher den schlüssigen Beweis schuldig geblieben.“

Ganz schön am Schleudern, die Jungs vom „Südkurier“. Und auch sonst nicht ganz auf der Höhe. Robert Rapp befördert den geschassten General nachträglich gleich zum „höchsten deutschen Militär“. Gut, daß man wenigstens noch weiß, welche abendländischen Werte es „auf unterer Ebene“ zu verteidigen gilt: der MAD hat sich sein angebliches Belastungsmaterial „auf unterer Ebene auf dem Weg der inoffiziellen Amtshilfe beschafft…“ (Rapp am 21.1.). „Inoffizielle Amtshilfe“ nennt man das jetzt also, wenn Geheimdienst und Polizei sich rechtswidrig und gegen die Dienstanweisungen in die Hände arbeiten!

Gerd Appenzeller am 13.1.: „Auch ein ’normal veranlagter‘ hoher Offizier mit einem buntschillernden Privatleben ist ein Sicherheitsrisiko.“ Wenn das so wäre – die Hälfte der Offizierskasinos dieser Welt könnte dicht machen. Das alles, tönt Appenzeller im Brustton der Überzeugung, „hat mit einer Neigung zur Homosexualität, sollte sie dasein, überhaupt nichts zu tun.“ Eben doch, Gerd, eben doch. Die Armee, weißt Du, ist so eine Männergesellschaft. Da kommt das eben vor. Und wenn es nicht vorkommt, kann man doch immer darauf zurückgreifen, daß es vorkommt. Die Nazis sind ihren Heereschef, Generaloberst von Fritsch, auf die Art losgeworden. Und 1959 ist ein Wehrbeauftragter, ein gewisser Generalleutnant von Grolmann, darüber gestolpert. Den von Fritsch haben sie fünf  Wochen später unter Görings höchstpersönlichem Vorsitz rehabilitiert und mit einem Regiment abgespeist. Aber natürlich hatten sie damals auch nicht einen so schlampigen Geheimdienst.

Jochen Kelter: Finstere Wolken, Vaterland. Die deutsche Provinzpresse greift ein. 35 Glossen.
Jochen Kelters Glossen erschienen zwischen Dezember 1982 und März 1986 unter dem Pseudonym „Sunny“ im Regionalmagazin Nebelhorn, Konstanz. Seine Kolumnen, die zumeist Leitartikel des damaligen Südkurier-Chefredakteurs Franz Oexle zerpflücken, reflektieren die großen Ereignissen der damaligen Zeit: Mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) beginnen bleierne Jahre, die NATO-Aufrüstung löst eine breite Antikriegsbewegung aus, die IG Metall kämpft für die 35-Stunden-Woche, die USA überfallen Grenada, die Flick-Parteispenden-Affäre fordert ein paar Opfer …Sunnys Glossen zeichnen somit auch das Bild bewegter Jahre – mit Hausbesetzungen, Friedensblockaden, der zunehmenden Vernetzung regionaler Initiativen und Alternativzeitungen. Dazu gehörte das selbstverwaltete Nebelhorn, das 1980 zuerst als „Stadtzeitung für Konstanz“ erschien, ab 1984 als „Regionalmagazin für Politik und Kultur“ firmierte und bis 1989 über Ereignisse und Entwicklungen im westlichen Bodenseeraum berichtete.1986 erschienen die 35 Glossen im Drumlin-Verlag unter dem Titel „FINSTERE WOLKEN, VATERLAND. Die deutsche Provinzpresse greift ein“. 35 Glossen. Mit einem Nachwort von Pit Wuhrer. Weil das Buch längst vergriffen ist, erscheinen die 35 Episoden nun als Online-Neuauflage auf seemoz, immer sonntags.Vorwort von Jochen Kelter zur Online-Neuauflage der „Sunny“-Glossen

Nun, bevor wir Gefahr laufen, inskünftig für das Recht auf rosarote Generäle auf die Barrikaden zu gehen, will ich versuchen, einen Zipfel jener ursprünglichen Dramaturgie zu erhaschen, die der MAD so gründlich verpatzt hat.

Ich könnte mir also vorstellen, daß NATO-Boß Rogers, Reagans Stellvertreter auf Erden, keine Lust hatte, sich länger mit einem Stellvertreter herumzuschlagen, der öffentlich die NATO-Führungsstruktur miesmachte. Sodann male ich mir aus, daß derselbe Rogers nach der „Wende“ in Bonn3 die Zeit für gekommen hielt, die Stationierung neuer Atomwaffen ohne seinen verweichlichten deutschen Untergebenen durchzuziehen, der sich da zu einem ranghöheren General Bastian, einem Werkzeug Moskaus und des Teufels zu mausern drohte. Ich phantasiere mir vor, Kießlings Entlassungsgesuch nach den Bundestagswahlen vom März ’83 könnte damit in irgendeinem Zusammenhang stehen. Und schließlich fieberträume ich, daß die NATO-Abwehrler in Brüssel ihrem obersten Chef den Wunsch von den Augen ablasen und selbigen an den MAD morsten, der sich sogleich auf die Socken machte, um Zeugen einzukaufen. Den „Geruch der politischen Intrige“ hat Gerd Appenzeller in der Nase, und für einmal dürfte er richtig gerochen haben. Die Amerikaner zeigen ihren Verbündeten, was eine Harke ist. Und wer sagt denn, Brüssel sei nicht Grenada?

Sunny                                                                                                                                             Februar 1984

 

Anmerkungen:

1 Der Vier-Sterne-General und stellvertretende NATO-Befehlshaber Günter Kießling sollte Ende März 1984 vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden. Der Grund: Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU) hatte Kießling wegen dessen angeblicher Homosexualität als Sicherheitsrisiko eingestuft. Die Gerüchte erwiesen sich als falsch.

2 MAD: Militärischer Abschirmdienst

Gemeint ist die „politisch-moralische Wende“, die Helmut Kohl zu seiner Amtszeit ausgerufen hatte, nicht die Wende mit dem Mauerfall 1989.

4 Generalmajor Gert Bastian war 1980  aus der Bundeswehr ausgeschieden, weil er die Stationierung atomwaffenbestückter Mittelstreckenraketen in Europa nicht mittragen wollte. Er saß von 1983 bis 1987 für die Grünen  im Bundestag und starb 1992 mit seiner Lebensgefährtin Petra.