Macht Bruno Helmle zum Chefredakteur! (7)

aus: Nebelhorn Nr. 27, Juli 1983, von Jochen Kelter

Franz Oexle hat auch im Juni brav sein Zeilensoll eingefahren. Noch am 28. Mai hat er es mit sattsam bekannter Eloquenz nach der Devise ‚Haltet den Dieb‘ darauf abgesehen, unsere Aufmerksamkeit auf eine „verwirrte SPD“ abzulenken.  Als krähten ausgerechnet der im Moment die Hähne hinterdrein. Alter Schlaumeier! Wo einer Rauch macht, werden sich die Hälse schon hindrehen, wie? Am 11. Juni feiert er Maggie Thatchers Wahlsieg und findet, „Präsident Reagan kann mit dem britischen Wahlresultat zufrieden sein.“ Nun, dann also auch von dieser Stelle an die Kommandozentrale zur Amerikanisierung des Erdballs in Washington ein herzliches Hals- und Beinbruch anläßlich eines Ereignisses, das der britische Liberalenchef Steel eine Tragödie für sein Land genannt hat. Am 18. Juni kommentiert Franz Oexle Polen – Paules, des eiligen Vaters Visite bei sich daheim. Der wird nicht am Ende den kommunistischen Machthabern noch auf die Socken helfen? Keine Sorge, Franz. Die im Vatikan sind jetzt seit fast zweitausend Jahren in dem Geschäft. Destabilisieren, um zu stabilisieren: die eigene Macht. Und wenn was anderes dabei auch gleich stabil wird – je nun. „Karol Wojtyla erinnert sich gewiß jener zynischen Bemerkung eines sowjetischen Diktators und Nachfolger Lenins, der einmal gefragt hatte, wieviel Divisionen denn der Papst eigentlich habe.“ Aber sicher Franz, aber sicher. Und wenn Du mich fragst, ein paar zuviel.

Aber Wojtyla hin, SPD her. Ich lasse Franz Oexle nunmehr in der Versenkung verschwinden. Bin ihm ganz einfach gram. Nun ist er da, der Aufschwung, und der Franz erklärt ihn mir nicht. Ich habe den schlimmen Verdacht, er drückt sich davor, mir zu verraten, wie sie es durch neue Technologien, Rationalisierungen und Massenentlassungen hinkriegen, daß demnächst wieder jeder Arbeitslose in Brot und Arbeit steht. Und ob wir übrigen Reallohneinbüßer hoffen dürfen, von den Höhenflügen des Dow Jones-Index zu profitieren, bevor er abstürzt, weil irgendwer mal wieder dran dreht. Oder ob ich gar das neudeutsche Wort „job sharing“ falsch verstanden habe.

Derweil die Daten des Wirtschaftsaufschwungs wie die Geheimnisse der Kabbala gehandelt werden, bereiten sich die Mannen vom Bundesgrenzschutz in den bayrischen Wäldern darauf vor, die neuen Atomraketen gegen die zu schützen, die durch sie – bis zum letzten Mann oder zur letzten Frau – beschützt werden sollen. Und auch die Südkurierler bauen eine neue publizistische Front auf. Am 21. Juni nimmt Robert Rapp – Ressort: Inlandspolitik – Heiner Geißlers wirklich hübsche und für die politische Kultur in diesem Land so überaus einnehmende Bemerkung , der Pazifismus der dreißiger Jahre habe Auschwitz möglich gemacht, zum Anlaß, vorsichtig (so vorsichtig, man glaubt es nicht) „zu dieser mißglückten Äußerung“ auf Distanz zu gehen, um gleich noch einmal nachzuhaken. Nein, nicht die deutschen Pazifisten waren an den Gaskammern schuld, die französischen und englischen samt ihren Regierungen. Nun wird eine verdammte Lüge nicht besser, wenn man sie, statt den deutschen Opfern des Faschismus, Ausländern anzuhängen sucht, die von eben jenen Faschisten und ein paar Millionen Mitfahrern auf Wehrmachtsfahrzeugen überfallen wurden. Höchstens zeigt solcher Vorgang das Verhältnis des Inlandredakteurs zum benachbarten Ausland. Rapp – Schuster, bleib bei Deinem Leisten! Leg Dich lieber mit uns an statt mit Engländern und Franzosen.

Ganz anders Oexles Vize Gerd Appenzeller – Markenzeichen: bester Mann im Laden -, der in jüngster Zeit ebenfalls beschäftigt ist, an besagter Front zu bosseln. Der findet am 25. Juni (wo hat er’s nur gefunden?) immerhin ein klares Wort, wenn er sich sonst auch noch ein wenig schwertut, nennt die Geißler-Äußerung eine „Geschmacklosigkeit“ und einen „Beweis dafür, daß Politiker nicht versuchen sollten, Geschichte als einen Haufen von Pflastersteinen zu betrachten, aus dem man sich wahlweise bedienen kann, um den Andersdenkenden unter verbales Feuer zu nehmen.“ Gerd, mit Pflastersteinen redet man doch nicht! Weißt Du doch.

Jochen Kelter: Finstere Wolken, Vaterland. Die deutsche Provinzpresse greift ein. 35 Glossen.
Jochen Kelters Glossen erschienen zwischen Dezember 1982 und März 1986 unter dem Pseudonym „Sunny“ im Regionalmagazin Nebelhorn, Konstanz. Seine Kolumnen, die zumeist Leitartikel des damaligen Südkurier-Chefredakteurs Franz Oexle zerpflücken, reflektieren die großen Ereignissen der damaligen Zeit: Mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) beginnen bleierne Jahre, die NATO-Aufrüstung löst eine breite Antikriegsbewegung aus, die IG Metall kämpft für die 35-Stunden-Woche, die USA überfallen Grenada, die Flick-Parteispenden-Affäre fordert ein paar Opfer …Sunnys Glossen zeichnen somit auch das Bild bewegter Jahre – mit Hausbesetzungen, Friedensblockaden, der zunehmenden Vernetzung regionaler Initiativen und Alternativzeitungen. Dazu gehörte das selbstverwaltete Nebelhorn, das 1980 zuerst als „Stadtzeitung für Konstanz“ erschien, ab 1984 als „Regionalmagazin für Politik und Kultur“ firmierte und bis 1989 über Ereignisse und Entwicklungen im westlichen Bodenseeraum berichtete.1986 erschienen die 35 Glossen im Drumlin-Verlag unter dem Titel „FINSTERE WOLKEN, VATERLAND. Die deutsche Provinzpresse greift ein“. 35 Glossen. Mit einem Nachwort von Pit Wuhrer. Weil das Buch längst vergriffen ist, erscheinen die 35 Episoden nun als Online-Neuauflage auf seemoz, immer sonntags.Vorwort von Jochen Kelter zur Online-Neuauflage der „Sunny“-Glossen

Des stellvertretenden Chefredakteurs Problem scheint mitunter darin zu liegen, daß sein Duchblick mit dem, was sein Über-Ich, sein Bauch, sein Chefredakteur oder sein Gehaltskonto für richtig halten mögen, kollidiert. Am 16. Juni leitartikelt sich das so: „Auf den ersten Blick macht es ja auch wirklich keinen Sinn (auf den zweiten Blick sind die Anglizismen am überflüssigsten, die in unserer Sprache keinen Sinn ergeben), angesichts der beiderseitigen mehrfachen Overkill-Kapazität … von der dringenden Notwendigkeit einer Nachrüstung zu sprechen: Denn toter als tot kann man nun einmal nicht sein.“ Wie wahr, wie wahr. Und selbst den falschen Superlativ schluckt man ob solcher bildhaften Klarsicht. Und wie, fragt der geneigte Leser, schafft er, nachdem er mit solchem Tempo in die Gerade gegangen ist, nun die Kurve zur „Nachrüstung“? Darauf soll es doch wohl hinauslaufen? Na klar. Die anderen haben angefangen. Ziehst Du mir eine Nase, schlag ich Dir eine ans Ohr. Man „darf eben nicht vergessen, wer mit der Vorrüstung angefangen hat“. Werden wir eben das Leben auf diesem Planeten zu einer Erinnerung machen, die keiner mehr hat, weil wir zwar Atomrakten bauen können, aber nie aus dem Trotzalter rausgekommen sind. „Die eigentliche Bedrohung der SS 20 liegt lange vor ihrem militärischen Einsatz in ihrem schieren Vorhandensein“. Da auch der anderen Seite die philosophische Kategorie des schieren Vorhandenseins nicht verborgen geblieben sein wird, kann’s demnächst ja heiter werden.

Bruno Helmle1, Ex-OB von Konstanz, der schon während seiner Amtszeit ab und zu Anwandlungen kompromißlosen Demokratieverständnisses an den Tag gelegt hat, darf hin und wieder auch im „Südkurier“ schreiben. Im Innern des Blatts, eingerahmt und mit der Bemerkung versehen: „Die Meinung des Verfassers braucht nicht mit der Ansicht der Redaktion übereinzustimmen“. Weil man halt Oberbürgermeister war, gell.

Des Hinweises hätte es nicht bedurft. Was der Jurist und Verwaltungsfachmann am 16. Juni zum nämlichen Thema zu sagen hat, dürfte den Oberkurieren in den Ohren geklungen haben. „Die Mandatsträger sind durch Eid verpflichtet, Schaden von der Gemeinde abzuwenden“. „Es schlägt aber den … Grundsätzen der kommunalen Selbstverwaltung ins Gesicht“, wenn den Kommunen „von oben“ per Maulkorberlaß verboten wird, „über elementare Fragen der Sicherheit ihrer Bürger“ – also über Lagerung und Stationierung von Atomwaffen auf Gemeindegebiet – „zu sprechen“ oder sich zur „atomwaffenfreien Zone“ zu erklären. Das werde, mutmaßt Helmle, bei den Gerichten nicht ohne weiteres durchgehen, und er kann auch schon mit Gerichtsurteilen aufwarten. Es kommt noch besser: „Schon gibt es Diskussionen in namhaften Juristenkreisen auf Bundesebene, die die Stationierung ausländischer Raketen für völkerrechts- und verfassungswidrig betrachten“. Und noch einmal Originalton Helmle: „Wenn du den Frieden willst, bereite den Frieden vor und nicht den Krieg“. Wenn das keine anderen als „Südkurier-Töne“ sind, bin ich taub.

Den intellektuellen Rädelsführern, die zur Zeit in den Strandbädern beratschlagen, wie man es wohl anstellen könnte, eine andere Zeitung nach Konstanz zu locken² (keine ‚rote‘, keine ‚grüne‘, eine ‚liberale‘ Zeitung. Was darf’s den sein? „Schwäbische Zeitung“? „Schwarzwälder Bote“? Ihr seid doch wohl nicht ganz dicht.), möchte ich einen Vorschlag unterbreiten: macht Bruno Helmle zum Chefredakteur! Der scheint noch ganz schön rüstig, und sicher ist er nicht ausgelastet. Im Gegensatz zu Franz Oexle.

Sunny                                                                                                                                                            Juli 1983

 

 

Anmerkungen:

1 Aufgrund seines Verhaltens während der Nazi-Herrschaft hat im Jahr 2012 die Universität Bruno Helme die Ehrensenatorenwürde entzogen. Und die Stadt hat ihm posthum die Ehrenbürgerwürde aberkannt.
Die Lebenslüge des Bruno Helmle
Aller Abwiegelei zum Trotz: Helmle nicht mehr Ehrenbürger
Helmle ist nicht mehr Ehrensenator

² Es gab es immer wieder Versuche, eine andere Tageszeitung nach Konstanz zu holen. Anfang der achtziger Jahre zum Beispiel umwarben liberale, sozialdemokratische und grüne Stadträte mit zahlreichen Unterschriften und Geldzusagen die „Badische Zeitung“. Doch diese hatte ihre Claims mit dem „Südkurier“ längst abgesteckt.