Schreibtischtäter (34)

aus: Nebelhorn Nr. 57, Februar 1986, von Jochen Kelter

Franz Oexle, nach wie vor Chefredakteur des „Südkurier“, ist ein vorsichtiger Mann. Ganz besonders auf der Titelseite desselben. Und oberbesonders am 14. Januar. „Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß sich so gut wie alle politischen Richtungen … darin einig zu sein scheinen: Gewalt darf kein Mittel der deutschen Politik werden.“

„Gewalt“ als „Mittel der deutschen Politik“, nein danke! Bitte in Libyen. Bei uns darf „Gewalt“ „kein Mittel … werden“. Doch was man hat, das hat man, sagt die Redensart. Und „so gut wie alle“ sind dagegen. Studenten, Schriftsteller, Grüne und Gewerkschafter ausgenommen.

Aber selbst bei den Krawatte tragenden deutschen Richtungen ist Skepsis angezeigt: sie „scheinen“ sich nur einig. Wer weiß denn schon, ob dem Friedrich Zimmermann nicht irgendwann die Hand ausrutscht und er einen dieser ungezogenen Grünen oder als Sozis verkleideten Kommunisten eine Watschen verpasst, wenn sein Staatssekretär Spranger über den Verfassungsschutz rausgekriegt hat, was die abends in der Kneipe über ihn erzählen?

Man sieht: Franz Oexle beginnt seinen Kommentar wieder einmal mit einem jener dialektisch ausgeklügelten, sprachlich hochsensiblen Satzgebilde, die den „Südkurier“ dereinst zum Sammlerobjekt machen werden. Und wie betitelt er sein tiefenpsychologisches Filigrangespinst diesmal? „Beim Wort fängt es an“. Wie wahr! „Die Weimarer Republik war an Faustschlägen und Fußtritten kaputtgegangen.“ „War“? Nicht: ist? An Blindheit auf dem rechten Auge, an Schmiergeld für die Nazis? „Was danach kam, ist bekannt.“ War, Franz, war.

„Natürlich haben die Frankfurter Schläger, die sich an einem untadeligen Mann vergriffen, viele geistige Väter und politische Beichtväter.“ Aber doch wenigstens Ziehväter, insofern es hier um den richtigen Gebrauch von Metaphern in der deutschen Sprache gehen sollte. Geht aber wohl nicht. Oder doch? „Die Hauptursache liegt aber doch im da und dort üblichen bedenklichen Umgang mit der Sprache.“ „Da und dort“? Hier und jetzt!

Wer sind denn nun die Ziehkinder, wer ist der untadelige Mann, an dem sich die „Schläger“ „vergriffen“? Es wird sich am Ende nicht um die Störung einer Martin Luther King-Gedächtnisveranstaltung durch die Junge Union gehandelt haben? Aber da hätte doch Chefredakteur Oexle nicht höchstpersönlich zum Federkiel gegriffen?

Nein, Franz Oexle meint den Neujahrsempfang des DGB in Frankfurt. Da wurde der Frankfurter Oberbürgermeister Wallmann, Mitglied des CDU-Präsidiums, von ein paar hundert gewerkschaftlich organisierten Arbeitern, die bei solchen Anlässen eigentlich weniger vorgesehen sind, nicht gerade freundlich begrüßt. Die fanden wohl, welche Dreistigkeit, Wallmann sei einer der geistigen Väter der Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes, durch die demnächst die Streikfähigkeit der Gewerkschaften beschnitten werden soll. Wer weiß, vielleicht hat Herr Wallmann, als er sich seinen Weg durch die Wählerinnen und Wähler bahnte, sogar wirklich ein paar Püffe abbekommen. Und am nächsten Morgen fiel die gesamte Presse über „die Frankfurter Schläger“ her.

Jochen Kelter: Finstere Wolken, Vaterland. Die deutsche Provinzpresse greift ein. 35 Glossen.
Jochen Kelters Glossen erschienen zwischen Dezember 1982 und März 1986 unter dem Pseudonym „Sunny“ im Regionalmagazin Nebelhorn, Konstanz. Seine Kolumnen, die zumeist Leitartikel des damaligen Südkurier-Chefredakteurs Franz Oexle zerpflücken, reflektieren die großen Ereignissen der damaligen Zeit: Mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) beginnen bleierne Jahre, die NATO-Aufrüstung löst eine breite Antikriegsbewegung aus, die IG Metall kämpft für die 35-Stunden-Woche, die USA überfallen Grenada, die Flick-Parteispenden-Affäre fordert ein paar Opfer …Sunnys Glossen zeichnen somit auch das Bild bewegter Jahre – mit Hausbesetzungen, Friedensblockaden, der zunehmenden Vernetzung regionaler Initiativen und Alternativzeitungen. Dazu gehörte das selbstverwaltete Nebelhorn, das 1980 zuerst als „Stadtzeitung für Konstanz“ erschien, ab 1984 als „Regionalmagazin für Politik und Kultur“ firmierte und bis 1989 über Ereignisse und Entwicklungen im westlichen Bodenseeraum berichtete.1986 erschienen die 35 Glossen im Drumlin-Verlag unter dem Titel „FINSTERE WOLKEN, VATERLAND. Die deutsche Provinzpresse greift ein“. 35 Glossen. Mit einem Nachwort von Pit Wuhrer. Weil das Buch längst vergriffen ist, erscheinen die 35 Episoden nun als Online-Neuauflage auf seemoz, immer sonntags.Vorwort von Jochen Kelter zur Online-Neuauflage der „Sunny“-Glossen

Das Strickmuster ist bekannt: Man treibt den Hochschulen die Demokratie aus, zerstört Landschaften und Lebensräume, hört ab und bespitzelt, beschneidet das Demonstrationsrecht, schränkt den öffentlich kontrollierten Rundfunk zugunsten von Profitfunk-Haien ein und höhlt das Streikrecht aus. Und wer dagegen aufmuckt, wird flugs kriminalisiert. Da werden aus Schreibtischtätern untadelige Männer und aus den lieben Mitbürgern „Schläger“. Haltet den Dieb!

Und weil die Masche immer so schön funktioniert, gell Franz, kriegen auch die verhaßten Intelektuellen, die geistigen und politischen Väter ihr Fett – man beachte die feinsinnige, hierzulande ansonsten völlig unpopuläre Unterscheidung in Macht und Intellekt. Böll, Grass, Brandt und Lafontaine haben’s geschafft, nun auch noch den Gewerkschaften ihre teuflische Botschaft von der Zerstörung des Staates einzuflüstern.

„In dieser Republik ist Maß in der Sprache gefordert, Verzicht auch auf die so beliebte Doppeldeutigkeit, die irgendwann in gefährliche Eindeutigkeit umschlägt.“ Beim Geheimdienst nennt man das unfreiwillige Selbstenttarnung.

Sunny                                                                                                                                                  Februar 1986