Sternflimmern (33)

aus: Nebelhorn Nr. 56, Januar 1986, von Jochen Kelter

Vorweihnachtszeit – erwartungsfrohe Zeit. Man sitzt rum, kippt noch einen und zählt’s an den Knöpfen ab: Ich krieg‘ den Duden geschenkt, ich krieg‘ ihn nicht geschenkt. Stummes Bangen, stilles Hoffen – der Weihnachtsbaum ist schon versoffen.

„Also tappt man durch den Nebel der Stimmungen und Widersprüche, der natürlich auch der Jahreszeit angemessen ist.“ Chefredakteur Franz Oexle packt am 14. Dezember seinen ganzen vorweihnachtlichen Frust auf die Titelseite des „Südkurier“.

Doch wie er so fürbaß tappte, muß er im dichten Nebel gegen einen Laternenpfahl gedonnert sein, denn plötzlich, oh Wunder, erblickte er über sich „Allerlei Sterne im Advent“.

„Da von Sternen die Rede ist, könnte es fast ein Thema für die Adventszeit sein.“ Will ich doch meinen. „Doch das dümmliche Wort vom ‚Krieg der Sterne‘ will nicht in die vorweihnachtliche Idylle passen.“ Wer hat’s denn ausgesprochen, „das dümmliche Wort“? „Eben dies tat gestern der Bundestag.“ Kaum kriegt man mal ein paar Sterne zu sehen, spuckt einem prompt irgendein Abgeordneter drauf. Die sind total pervertiert.

„Rot und Grün wollen mit den seltsamen Sternen der Zukunft, die raketentötende Laserstrahlen aussenden, nichts zu tun haben“ – seltsame Sterne, die „raketentötende“ Strahlen ausschicken: hat da jemand was von dümmlich gesagt? „- nicht einmal dann, wenn sie nach französischem Geschmack europäisch flimmern sollten und das Wort Eureka darüber stünde.“ Drei Sterne mit französischem Geschmack, und drüber flimmert’s in goldenen Lettern: Heureka, wir fahrn nach Lodz! Das muß der dickste Laternenpfahl im Landkreis gewesen sein.

Im Grunde ist die deutsche Unbeweglichkeit, die mangelnde Innovationsbereitschaft der Deutschen schuld, daß wir noch immer keine Sterne sehen. Merke: Auf dem Weltmarkt behauptet sich nur, wer eine total weiche Birne hat. „SPD und Grüne denken … entschieden an das deutsche Gemüt, das jeder Form von militärischem Zauber abhold ist.“  Was den Briten die Teepause, ist den Deutschen das Weihnachtsfest: Da läuft gar nichts mehr, da werden vor Stalingrad die Christbäume ausgepackt.

„Auch der Bundesaußenminister … nähert sich dem SDI-Projekt nur mit spitzen Fingern.“ Genscher, wie er mit spitzen Fingern nach den Sternen greift. „Künstliche Sterne gehören an den Christbaum und eben nicht als militärisches Gerät in den erdnahen Weltraum, wo sich ja bereits die Raketen tummeln.“ Als ob sich „die Raketen“, die sich im „erdnahen Weltraum“ „tummeln“, nicht auch über ein paar „Künstliche Sterne“ freuen würden, wo sie da oben doch keinen Weihnachtsbaum haben!

Jochen Kelter: Finstere Wolken, Vaterland. Die deutsche Provinzpresse greift ein. 35 Glossen.
Jochen Kelters Glossen erschienen zwischen Dezember 1982 und März 1986 unter dem Pseudonym „Sunny“ im Regionalmagazin Nebelhorn, Konstanz. Seine Kolumnen, die zumeist Leitartikel des damaligen Südkurier-Chefredakteurs Franz Oexle zerpflücken, reflektieren die großen Ereignissen der damaligen Zeit: Mit Kanzler Helmut Kohl (CDU) beginnen bleierne Jahre, die NATO-Aufrüstung löst eine breite Antikriegsbewegung aus, die IG Metall kämpft für die 35-Stunden-Woche, die USA überfallen Grenada, die Flick-Parteispenden-Affäre fordert ein paar Opfer …Sunnys Glossen zeichnen somit auch das Bild bewegter Jahre – mit Hausbesetzungen, Friedensblockaden, der zunehmenden Vernetzung regionaler Initiativen und Alternativzeitungen. Dazu gehörte das selbstverwaltete Nebelhorn, das 1980 zuerst als „Stadtzeitung für Konstanz“ erschien, ab 1984 als „Regionalmagazin für Politik und Kultur“ firmierte und bis 1989 über Ereignisse und Entwicklungen im westlichen Bodenseeraum berichtete.1986 erschienen die 35 Glossen im Drumlin-Verlag unter dem Titel „FINSTERE WOLKEN, VATERLAND. Die deutsche Provinzpresse greift ein“. 35 Glossen. Mit einem Nachwort von Pit Wuhrer. Weil das Buch längst vergriffen ist, erscheinen die 35 Episoden nun als Online-Neuauflage auf seemoz, immer sonntags.Vorwort von Jochen Kelter zur Online-Neuauflage der „Sunny“-Glossen

„Die Bonner Opposition erfeut sich in ihrer Ablehnung solcher Pläne, die für die Amerikaner durchaus Sinn machen, auch der Unterstützung einer ganzen Tausendschaft evangelischer Pastoren im Rheinland und in Westfalen.“ Das mußte ja kommen, daß uns zum Schluß noch „die Kirchenmänner“ die Weihnacht kaputt machen. Diese Weihnachtsmänner! Wenn ich das schon höre: „evangelische Pastoren im Rheinland und in Westfalen“. Bekennende Kirche, was? Vaterlandsloses Pack!

Und nun hätte ich über dem gestirnten Himmel über mir fast vergessen, Franz Oexle mein verspätestes Weihnachtspräsent zu überreichen, ein Büchlein, das sich übrigens ganz ausgezeichnet als Ruhestandslektüre eignet. Der stellvertretende Chefredakteur der „Zeit“, sozusagen ein Kollege, hat es eigens für ihn geschrieben (Rudolf Walter Leonhardt: Auf gut deutsch gesagt – ein Sprachbrevier für Fortgeschrittene, Berlin 1983). Ich darf vorab auf Seite 50 zitieren: „Kritische Besinnung ist angebracht, wo um der englisch-amerikanischen Ausdrucksweise willen die deutsche verbogen wird. ‚Das (er)gibt (einen) Sinn wird weder besser, noch bedeutet es etwas anderes, wenn man die englisch Form borgt und nun behauptet ‚das macht Sinn‘. Aber das hat ja sowieso keinen Sinn.

Sunny                                                                                                                                              Januar 1986