Klimastreik: „Kein Mensch braucht Kapitalismus“
Am gestrigen Freitag, dem globalen Klimastreiktag, zogen in einer beeindruckenden Demonstration rund 2500 Menschen vom Herosé-Park über die alte Rheinbrücke durch die Innenstadt, legten sich in der Bodanstraße auf den Asphalt und versammelten sich anschließend im Stadtgarten. Dort hörten sie unter anderem die Rede einer Vertreterin von Students for Future Konstanz, die wir im Folgenden dokumentieren.
Seit Jahren gehen wir freitags auf die Straße, seit Jahren kämpfen wir als Bewegung für Klimagerechtigkeit und Klimaschutz. Doch was hat uns das bisher gebracht? Menschen, die sich auf Bäume setzen, werden kriminalisiert. Menschen, die Autobahnen und Zufahrten für Autos blockieren, werden weggesperrt. Und die Politik? Die trödelt vor sich hin. Es werden Gespräche geführt, die zu keinem Ergebnis kommen. Es wird mit der Wirtschaft und mit LobbyistInnen geredet und über Möglichkeiten diskutiert, wie sie genau so weitermachen können – ohne Konsequenzen, ohne Einschränkungen. Wir brauchen keine Milliardensubventionen für Fluggesellschaften, wir brauchen keine Milliardensubventionen für die Kohleindustrie! (Beifall)
Es wird Zeit, dass wir uns die Klimagerechtigkeit holen. Wir lassen uns nicht mehr mit leeren Versprechungen hinhalten. Die Verwaltung von Konstanz und der Gemeinderat denken, sie könnten sich aus der Affäre ziehen, indem sie den Klimanotstand ausrufen und ab und zu das Wort Klimaschutz in den Mund nehmen. Aber wir stehen heute hier (oder sitzen) um deutlich zu machen: Es reicht nicht aus, darüber zu reden. Es muss gehandelt werden. Und wenn die Stadt Konstanz das nicht freiwillig macht, sind wir hier, um ihnen in den Arsch zu treten. (Beifall)
Nehmen wir den Klimaschutz jetzt in die Hand. Seit Jahrzehnten gibt es die unterschiedlichsten Methoden und Aktionsformen: Sei es „Ende Gelände“, die den ganzen Tagebau lahmlegen und Zufahrten für den Lkw-Verkehr blockieren, oder dass wie im „Danni“ (dem Danneröder Wald, d. Red.) ganze Wälder besetzt werden. Oder wie vor ein paar Tagen „Smash IAA“ (dem Bündnis gegen die Internationale Automobilausstellung IAA, d. Red.). Tausende Menschen haben Münchens Innenstadt lahmgelegt, um klarzustellen, dass Greenwashing keinen Deut besser ist als der restliche Kapitalismus., dass grüner Kapitalismus keine Alternative zum jetzigen System darstellt. (Beifall)
Das Individuum kann nur so viel tun, um unseren Planeten zu retten. Wir müssen endlich die Konzerne zur Rechenschaft ziehen. Siebzig Prozent der Emissionen weltweit werden von hundert Unternehmen ausgestoßen. Wir müssen uns überlegen, welche Unternehmen wir tatsächlich brauchen und welche Unternehmen völlig unnötig unseren Planeten ausbeuten und zerstören. Kein Mensch braucht Ausbeutung. Kein Mensch braucht Kapitalismus. Lasst uns gemeinsam die unnötige Kaufgesellschaft abschaffen. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass Menschen sich nicht mehr über ihren Reichtum definieren, dass Menschen sich keine Statussymbole mehr kaufen. Unsere Identität als Gesellschaft ist mehr als nur die Dinge, die wir uns anschaffen! (Beifall)
Wir sind eine starke, bunte Gesellschaft – oder wollen es zumindest werden. Lasst uns heute damit anfangen. Wenn die Politik das nicht umgesetzt kriegt, dann treiben wir sie dazu an. Vernetzt euch mit den Gruppen in ganz Deutschland und weltweit! Schließt euch Demonstrationen an! Geht bei Aktionen mit! Führt Gespräche und Diskussionen! Lasst uns gemeinsam die Klimagerechtigkeit umsetzen, die Politik und Konzerne so vehement abblocken. (Beifall)
Die Veränderung kommt von uns. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass es andere für uns machen. Wenn was erledigt werden soll, muss du es selbst in die Hand nehmen. Sie können uns nicht alle wegsperren und sie können uns nicht aufhalten. Wir stehen heute hier, um jeden Menschen zu zeigen, dass wir es ernst meinen. Gemeinsam enteignen wir RWE. Gemeinsam erhalten wir die Wälder. Gemeinsam retten wir die Ozeane. Bei der Klimakrise geht es nicht mehr darum, sie aufzuhalten, sondern die Ausmaße so gering wie möglich zu halten. Wir haben keine Zeit mehr für lange Gespräche mit der Politik. Wir müssen heute damit anfangen, unsere eigenen Forderungen auch wirklich umzusetzen. Da ist sich die Wissenschaft einig.
Bereits heute haben wir in Deutschland Überschwemmungen mit Todesfolgen, bereits heute haben wir in einigen Regionen bei uns Wasserknappheit – und das ist nur bei uns vor der Haustür. Die Mapa, die most affected people and areas (die am meisten betroffenen Menschen und Regionen, d. Red.), leiden noch deutlich schlimmer unter den Folgen des Klimawandels. Dabei sind diese Menschen kaum bis gar nicht für die Klimakrise verantwortlich. Wir dürfen nicht zulassen, dass andere unseren Mist ausbaden! Wir müssen Verantwortung übernehmen und alles dafür tun, die Folgen so gering wie möglich zu halten. Also: Besetzt Wälder, besetzt Häuser, besetzt Kohlebagger. Fahrt Anfang Oktober nach Lützerath und verteidigt das Dorf gegen RWE. Schließt euch der Waldbesetzung im Altdorfer Wald hinter Ravensburg an. Wir haben es in der Hand. Die Erde gehört nicht uns. Aber wir leisten alle unseren Beitrag und gestalten sie alle mit. (Beifall)
Fotos: Pit Wuhrer
Siehe zum Thema auch die bisherigen Beiträge des Konstanzer Klimacamp-Blogs:
22.09.2021 | Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
21.09.2021 | Klimastreik vor der Wahl
10.09.2021 | Eine lange Radtour
09.09.2021 | Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
06.09.2021 | Warum Fridays nicht mehr reicht
Die menschengemachten Ideologien wie der Kapitalismus sind nicht per se unnötig. Denn Weltanschauungen geben Orientierung und Halt, welcher das instinktlose Wesen zum Überleben zwingend bedarf.
Sie werden allerdings dann zum Problem, wenn sie radikalisiert und verabsolutiert werden. So wird eine anfänglich nützlich erscheinende Wirtschaftsform zu einer Diktatur, wenn sich ihr Sinngehalt ins Gegenteilige verdreht.
Das ist sowohl bei der neokapitalistischen, allerdings auch bei der realsozialistischen Denkweise geschehen. Wenn das Produkt menschlichen Denkens und Handelns letzteres zu beherrschen beginnt, droht die praktische Umsetzung einer Geisteshaltung zu entarten.
Aufgrund ihrer begrenzen Vernunft scheint es unserer Spezies wohl nicht möglich, das Trügerische eines Ideals rechtzeitig zu erkennen. Viel eher hat die Geschichte gezeigt, dass transhumanistische Überzeugungen schon immer dagewesen sind – und je nach Epoche dazu beitrugen, dass der Mensch einer Vision nacheiferte, die sich für ihn nicht selten zu spät als gefährliche Illusion entpuppte.
Wir scheinen dahingehend wenig lernfähig, denn der Neokapitalismus ist ein neues Beispiel dafür, dass nicht einmal die Brutalität einer Gesinnung die Gier nach Selbstverwirklichung stoppen kann.
Insofern vermag man zu prognostizieren, dass auch er nur durch die schmerzhafte Erfahrung von eigenzerstörerischen Tendenzen überholt werden kann.
Erst, wenn Demut und Bescheidenheit den Drang nach unlimitierter, rücksichtsloser und libertärer Persönlichkeitsentfaltung überwunden haben, dürfte das Neokapitalistische demaskiert worden sein.
Hansjörg Blender,
es sei Ihnen ans Herz gelegt, sich den zweiten Absatz des Berichts nochmal richtig durchzulesen:
„Seit Jahren gehen wir freitags auf die Straße, seit Jahren kämpfen wir als Bewegung für Klimagerechtigkeit und Klimaschutz. Doch was hat uns das bisher gebracht? Menschen, die sich auf Bäume setzen, werden kriminalisiert. Menschen, die Autobahnen und Zufahrten für Autos blockieren, werden weggesperrt. Und die Politik? Die trödelt vor sich hin. Es werden Gespräche geführt, die zu keinem Ergebnis kommen. Es wird mit der Wirtschaft und mit LobbyistInnen geredet und über Möglichkeiten diskutiert, wie sie genau so weitermachen können – ohne Konsequenzen, ohne Einschränkungen. Wir brauchen keine Milliardensubventionen für Fluggesellschaften, wir brauchen keine Milliardensubventionen für die Kohleindustrie!“
Wenn Sie diesen Text tatsächlich wirken lassen, beantworten Sie doch bitte die Frage, was an dieser Schilderung demokratische Diskussionskultur darstellt. Wohlgemerkt von der Seite, die seit jeher der Parole „Geld regiert – pardon, ruiniert – die Welt“ anhängt.
Mir zumindest fällt es schwer, in der Kriminalisierung engagierter Menschen demokratische Diskussionskultur zu entdecken.
Eine Verwaltung, die den Klimanotstand ausrufen läßt, um hinterher die Ziele diverser Abkommen als unrealistisch zu bezeichnen und zu behandeln, paßt prima in die von George Orwell skizzierte Welt.
Möglich natürlich auch, daß das Motto lauten soll „Gut, daß wir darüber gesprochen haben“. Auch eine Variante demokratischer Diskussionskultur. Xmal praktiziert.
Neu denken ist sicher richtig und das bei jedem Einzelnen. Was aber im Seemozz Beitrag fehlt ist der Aufruf zu einer demokratischen Diskussionskultur. Nur einseitige Rechthaberei und Forderungen bringen uns nicht weiter. Wir müssen nach Lösungen suchen die möglichst viele Bevölkerungsschichten einbinden und auch deren Meinung respektieren.
Geht auf die Straße!!! Lassen wir uns nicht mehr unterkriegen. Und Mist, ich konnte nicht hin, kann das Kind, das ich in der Schule betreue, nicht allein lassen und nicht mitnehmen. Mein Mann war da, für mich mit. Was mich schockiert hat, ich wohne in der Cherisy, der alternative Stadtteil in Konstanz, wo nichts passiert ist. Am Donnerstag bin ich losgezogen und habe Plakate aufgehängt, weil es sonst keiner gemacht hat. Mein Mann hat keinen gesehen, den er vom Wohnumfeld her kennt. Da hat man eher einige mal auf Querdenkerdemos gesehen. Vielleicht war ja doch jemand da, ich weiß es nicht. Ich sage danke an die jungen Menschen, die sich engagieren und auch danke an alle, die für ihre Kinder und Enkel kämpfen. Vielleicht müssen wir alte Muster verlassen und neu denken. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Die Einen schaffen sich ab, die Anderen finden neue Wege. Ich bin für Engagement und neue Wege und hoffe darauf, dass auch die, die gleichgültig sind, aufwachen.