Der Thüga-Deal (4): Wer ist die Thüga, was treibt sie?
In den ersten drei Teilen unserer kleinen Serie über die geplante Teilprivatisierung der Stadtwerke ging es um Geheimniskrämerei, die Kosten und die Expertise. Heute steht die Thüga selber im Mittelpunkt. Und die Frage, warum alles schnell über die Bühne gehen soll.
Die Thüga geht zurück auf die 1867 in Gotha (Thüringen) gegründete Thüringer Gasgesellschaft (ThGG), die sich schnell zu einem der größten Gasversorger im damaligen Deutschen Reich entwickelte. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat das Gasgeschäft in den Hintergrund. Stattdessen kaufte man sich in regionale Energieversorger und Stadtwerke ein, so dass die Thüga AG heute an etwa 100 kommunalen Unternehmen beteiligt ist.
Viele dieser Unternehmen sind über Anteile an einer Holding zugleich Eigentümer:innen der Thüga. Als Schwergewichte unter den Thüga-Besitzer:innen lassen sich die Stadtwerke Nürnberg (N-Ergie AG), Hannover (enercity AG) und Frankfurt (mainova AG) ausmachen, die über Gesellschaften, an denen wiederum die Thüga beteiligt ist, mehr als die Hälfte der Thüga besitzen. Die Verflechtungen und Kreuzbeteiligungen sind kompliziert und letztlich gewinnt man den Eindruck, die Thüga gehört unter dem Strich sich selbst. In Aufsichtsrat und Beirat wimmelt es an aktuellen und ehemaligen Bürgermeistern und Oberbürgermeistern, die drei Vorstandsmitglieder haben ihre Karriere vor allem in der Öl- und Gasindustrie gemacht.
Die Thüga verspricht, „einer der Lotsen für das Gelingen der Energiewende“zu sein. Und versucht, beim Bund in Berlin wie in den vielen Kommunen, in denen sie an den Stadtwerken beteiligt ist, den Weg in die Klimaneutralität zu beeinflussen.
Große wie kleine Gasversorger stehen vor dem Dilemma, dass mit der Abkehr von fossiler Energie, egal ob zugunsten von Wärmepumpe oder Nahwärme, ihre Gasleitungen überflüssig werden und vorzeitig abgeschrieben werden müssen. Schlimmer noch: Da sich die Endverbraucher nicht alle auf einem Schlag vom Gas verabschieden werden, muss die Gasinfrastruktur bei abnehmenden Verkaufsmengen dennoch weiter instand gehalten werden, bis auch der letzte Kunde seine Heizung umgestellt hat.
Sackgasse Wasserstoff
Um die Gasleitungen weiter wirtschaftlich betreiben zu können, setzt die Thüga auf Wasserstoff. Gemeinsam mit dem Branchenverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (DVGW), dessen Präsident Michael Riechel zugleich die Thüga leitet, und sekundiert vom Lobbyverein „Zukunft Gas“ macht sich die Thüga unter dem Schlagwort Technologieoffenheit dafür stark, in Zukunft mit „erneuerbaren Gasen“ zu heizen.
Damit sind durch die Aufbereitung von pflanzlichen Rohstoffen gewonnenes Biogas sowie Wasserstoff gemeint. Auf das in die Suchfunktion der Thüga-Website eingegebene Stichwort „Wasserstoff“ werden über hundert Pressemitteilungen serviert. Bei „Wärmepumpe“ sind es 30, die Suchworte „Nahwärme“ oder „Wärmenetz“ bringen ohne Doppelnennungen 31 Treffer.
Nun braucht die Herstellung von Wasserstoff ein Vielfaches der Energie, die beispielsweise für das Heizen mit Wärmepumpe aufgewandt werden muss. Auch das nötige Wasser gibt es nicht im Überfluss, will man dieses nicht mittels wiederum energieintensivem Entsalzen von Meerwasser gewinnen. Völlig zu recht hält auch SWK-Chef Norbert Reuter den Einsatz von Wasserstoff zum Heizen für unrealistisch.
Man könnte meinen, die Lobbyarbeit der Thüga in Brüssel und Berlin sei das eine; im Tagesgeschäft der Stadtwerke verfolge man aber ganz andere Ziele. Schauen wir indes auf die Webseite der Stadtwerke Radolfzell (Thüga-Beteiligung 49 Prozent), so heißt es da: „Dank der Energiewende und dem Wechsel auf erneuerbares Gas wird die Gasversorgung noch grüner.“ Weg vom Gas? Pustekuchen.
Die Beteiligung der Thüga am Geschäft der Konstanzer Stadtwerke (wobei nicht genug darauf hingewiesen werden kann, dass die geplante „Energie GmbH“ auch die Sparten Trinkwasser und Telekommunikation umfassen soll und mit ihrem Arbeitsnamen eben dies verschleiert), mag die miserable Ertragslage der SWK verbessern. Offenbar hoffen die leitenden Akteure in Konstanz und auch manche Gemeinderät:in auf diesen rettenden Strohhalm. Fürs Erreichen der Klimaschutzziele ist die Thüga mit der von ihr und der gesamten Gasbranche verfolgten Wasserstoffstrategie aber eher hinderlich.
Beispiel Dresden, Beispiel Augsburg
Ist die Thüga einmal mit im Boot, wird man sie nur schwer wieder los. Die Absichtserklärung zwischen SWK und Thüga enthält zwar eine sogenannte Chance-of-Control-Klausel: Sollte die Thüga eines Tages nicht mehr überwiegend von kommunalen Gesellschaftern kontrolliert werden, dürfen die SWK den Ausstieg der Thüga verlangen, die dafür aber entschädigt werden muss. Die Stadt Dresden beschloss 2019, eine Ausstiegsoption zu nutzen und den Thüga-Anteil an ihren Stadtwerken (DREWAG) zurückzukaufen. Seither streiten beide Parteien, zuletzt vor dem Landgericht, mit Gutachten, Gegengutachten und Obergutachten um den Preis, den die Dresdner dafür zahlen müssen.
Augsburg war 2015 in einer ähnlichen Situation wie heute Konstanz: Die Spitzen der Stadt, die Leitung der Stadtwerke und die Mehrheit des Gemeinderats (CSU, SPD und Grüne) strebten eine Fusion der Stadtwerke mit der von der Thüga beherrschten Energie Schwaben GmbH an. Es kam zum Bürgerentscheid. Bei einer Beteiligung von fast 22 Prozent stimmten gut 73 Prozent gegen die Fusion. Durch den Bürgerentscheid zu einer Stand-alone-Lösung gezwungen, stehen die Stadtwerke Augsburg heute wirtschaftlich gut da. Und können sich auch beim Aufbau von Nahwärmenetzen und der Umstellung auf regenerative Energieträger sehen lassen.
Gegen die Forderung der Linken Liste Konstanz (LLK) nach einem Bürgerentscheid setzt OB und SWK-Aufsichtsratschef Uli Burchardt auf einen schnellen Durchmarsch: Erst lange geheim halten, dann schnell durchziehen. Noch in diesem Jahr soll der Gemeinderat den endgültigen Vertrag zwischen SWK und Thüga absegnen, damit den Gegner:innen nur ja keine Zeit bleibt, sich zu formieren. Und um zu verhindern, dass der Teilverkauf des städtischen Tafelsilbers zum Thema im kommenden Kommunalwahlkampf wird.
Text: Ralph-Raymond Braun / Fotos: Pit Wuhrer
Der Thüga-Deal (1): In aller Heimlichkeit
Der Thüga-Deal (2): „Es geht nicht ums Geld.“ Oder doch?
Der Thüga-Deal (3): „Wir brauchen Expertise!“ Doch müssen wir dafür verkaufen?
Die Berichterstattung wird fortgesetzt.
„Erst lange geheimhalten, dann schnell durchziehen“
Das erinnert mich an einen ähnlichen Kommentar eines der beschlagensten Wohnungspolitiker im Gemeinderat und im Südwesten Deutschlands.
Damals hatte die Stadt Konstanz den Kauf des Siemens-Areals durchgewunken und es zu großen Teilen in die Spekulation entlassen, ohne das ihr zustehende Vorkaufsrecht z.B. für eine sozial gerechte Entwicklung aus Bürger*innenhand (oder auch nur irgendeine soziale/ökologische Verbesserung) zu nutzen.
Mieterbund-Grande und langjähriges Ratsmitglied Herbert Weber schrieb vor drei Jahren dazu hier auf seemoz:
„Ich persönlich hätte mir mehr Mut bei den Verhandlungen gewünscht. Aber ich habe nicht selbst verhandelt, sondern konnte wie alle anderen Mitglieder des Gemeinderats auch nur die Ergebnisse zur Kenntnis nehmen. Wenige Tage vor Ablauf der gesetzlichen Fristen gab es auch keinen wirklichen Spielraum mehr, den ein politisches Gremium hätte nutzen können.“
https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/wege-aus-der-wohnungsnot-mieterbund-kritisiert-leitlinien-entwurf/
BoFo, LNG-Fähre, Schwaketenbad, Philharmonie: Alles richtig teuer! Zufall?
Und jetzt muss die Thüga (steht wohl für: Thüringer helfen überall ganz arg?) ran weil Stadt, Stadtwerke und deren Bürger das wohl nicht auf die Reihe kriegen!?
Eine Wärmewende für 400 oder 500 Millionen Euro (wer die Baukostenentwicklung bei S21 oder B33 ansieht, der sollte eher mit dem doppelten Betrag rechnen!) steht in KN an.
Ob soetwas sinnvoll ist, Straßen und Wege aufzureißen ( wo sollen eigentlich plötzlich die ganzen Bauarbeiter herkommen?) wird garnicht mehr gefragt, denn schließlich geht es ums Klima! Da kann teuer nur gut sein!
Vor 5O Jahren haben die Atomkraftgegner zu Recht auf dezentrale Lösungen gesetzt: Wind & Wasser, Sonnenkollektoren und PV, Erdwärme und Holz!
Aber das haben ja selbst angeblich „Grüne“ vergessen!?
Da soll erneut mit sanfter Hand kommunales Eigentum veräußert werden? Kann nach reiflicher Überlegung lokaler Amts- und WürdenträgerInnen so aus dem Handgelenk heraus schon mal vorkommen? Zur Einnerung: Siemensareal, Büdingenpark, Heroséareal… Das Krankenhauswesen privatisieren? Kein Problem? Das Geld kommt wieder rein über die Privatisierung von Gesundheits-Dienstleistungen. Mehr (sinnvolle?) chirurgische Eingriffe, „effizientere“ Bettenbelegungen, „intensivere“ Nutzung von Zusatzkosten? Wenn es sich nicht rechnen sollte – schließen, was nicht so viel bringt? Wie jüngst im Landkreis Konstanz? Sollen die Leute halt sehen, wie sie an eine weiter entfernte Erstversorgung, auch im Notfall, kommen. Bombengeschäfte. Für wen? Wofür? Wem kommt das letztendlich zugute? Wer hat sich verrechnet? Und jetzt?
Die Trinkwasserversorgung an ein Unternehmen vergeben, das eine Sperrminorität bekommt? So what? § 14(2) Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Gilt das nicht auch bis in die letzte kommunale Verästelung? Habe ich das falsch verstanden? Und wie steht es mit der (umstrittenen) Vorsorgepflicht des Staates?
Tipp: Es gibt jede Menge externe Dienstleister, die für ein bescheidenes Entgelt Modelle erstellen, wie staatliche Eigenbetriebe optimiert, leistungsfähig und effizient gestaltet werden können. Ob das am Ende zum Vorteil der Bürgerinnen und Bürger gereicht, die in ihrer Kommune leben (müssen)? Haben diese Dienstleister auch die künftig steigenden Wasserpreise wegen des Klimawandels eingepreist, die eben diese Bürgerinnen und Bürger der Kommune zahlen müssten, wenn „es sich rechnen muss“? Für wen? Wofür? Wer bezahl? Wer kassiert? Wer hat Vorteile?
Vielleicht Jupp Schmitz (1949)? https://www.youtube.com/watch?v=OB9poUX3tS0
Dr. Adrian Ciupuliga