Der Klimacamp-Blog (6): Nach der Wahl – das muss jetzt passieren

Die Wahl ist entschieden. Jetzt gilt der Blick nach vorne und auf die ersten 100 Tage der neuen Regierung. Um eine Klimakatastrophe zu verhindern, muss jetzt entschlossen gehandelt werden. Wir wagen den Blick nach vorne und versuchen einen ersten, unvollständigen Aufschlag an Maßnahmen, die nun getroffen werden müssen – egal, wie die Koalitionsverhandlungen ausgehen.

Nun hat Deutschland also gewählt. Und damit die Entscheidungsträger:innen bestimmt, die Deutschland zurück zum Pariser Klimaabkommen führen sollen und raus aus der Klimakatastrophe. Ob die Gewählten ihrer Aufgabe gewachsen sind, wird sich zeigen. Sicher ist jedoch, dass wir keine Zeit mehr verlieren dürfen. Grabenkämpfe, die sich womöglich vor der Wahl aufgetan haben, müssen nun enden, denn im Kampf um unser Überleben ist Zeit das geringste Gut, das wir haben. Hier und jetzt gemeinsam!

Nun gilt der Blick nach vorne, auf die ersten 100 Tage Regierungszeit, die in der Regel die entscheidenden einer Regierung sind. Dinge werden entweder sofort angepackt oder gar nicht. Und wenn man gar keine Zeit mehr hat, dann gilt das nochmal viel mehr.

Was also muss jetzt in den ersten 100 Tagen passieren? Die sehr kurze Antwort: extrem viel. Innerhalb von 100 Tagen muss jetzt jahrzehntelange Politik umgedreht werden. Gerade CDU und SPD als stärkste Parteien werden dabei den Mut brauchen, über den Schatten ihrer Vergangenheit zu springen und ihre Fehler der Vergangenheit einzugestehen. Denn jetzt geht es um die Rettung des Planeten. Also anschnallen, der Neustart Klima geht los!

Die etwas längere, aber immer noch kurze Antwort was passieren muss, dürfte eigentlich niemanden überraschen, der schon mal unsere Forderungen gelesen hat:

  • Klimaneutral bis 2035, innerhalb dieser Legislatur Halbierung des Treibhausgasausstoßes. Weitergedacht bedeutet dies 100 Prozent erneuerbare Energien (in allen Sektoren) bis 2035.
  • Kohleausstieg bis spätestens 2030, besser früher.
  • Streichung von allen umweltschädlichen Subventionen. Mit ca. 60 Milliarden Euro pro Jahr sind das schon mal enorme Summen, die hier in den Status quo gepumpt werden. Absurderweise verpflichtet sich Deutschland auf internationaler Bühne seit dem Kyoto-Protokoll von 1997 in regelmäßigen Abständen dazu, die Subventionen zu streichen. Nur geschehen ist bisher leider nichts.
  • Ein CO2-Preis, der schnellstmöglich 180 Euo pro Tonne übersteigt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schlug zum Beispiel vor, 2020 bei 50 Euro pro Tonne einzusteigen und innerhalb von zehn Jahren auf 180 Euro pro Tonne zu erhöhen. Extrem wichtig bei einem CO2-Preis ist die soziale Ausgestaltung. Also eine Rückvergütung der Einnahmen an die Bürger:innen, zum Beispiel durch eine Pro-Kopf-Pauschale. Wie genau die ausgestaltet wird, ob über Krankenkassenbeiträge oder Verringerung der Energiekosten, dazu gibt es verschiedene Modelle. Im Endeffekt sollten ärmere Menschen, die durch ihr geringeres Einkommen fast zwangsläufig weniger Klimaschaden verursachen, aber dadurch mehr in der Tasche haben als vorher, während die Verursacher der Krise drauf zahlen.
  • Legislativer Fußabdruck und klare Antikorruptionsregeln: Das heißt, es muss klar offengelegt werden, wer wie bei politischen Entscheidungsfindungen mitgewirkt hat. Eigentlich eine Forderung, die nicht so sehr aus der Klimabewegung stammt, doch vermutlich werden wir ohne klare Transparenzregeln nur schwer große Fortschritte erzielen. Spätestens seit dem Buch „Die Klimaschmutzlobby“, der ZDF-Sendung „DieAnstalt“ vom 4. Mai 2021, in der sie die Skandale der CDU beleuchten, oder Rezos fulminantem Teil 3 seiner Zerstörungsreihe sind zahlreiche Beispiele bekannt, wie Lobbyismus Klimaschutz ausbremst. Doch bereits 2011 stellte der wissenschaftliche Beirat für globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem monumentalen Hauptgutachten: „Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation“ fest: „Das Ausmaß der Korruption ist gerade in den Bereichen beträchtlich, die der WBGU als zentrale Transformationsfelder ausmacht: den Bausektor (Städtebau), den Energiesektor und die Landnutzung (hier insbesondere Forstwirtschaft und Landwirtschaft). Dabei ist Korruption nicht nur ein Übergangsphänomen sich modernisierender Gesellschaften und deshalb besonders virulent in schwachen Staaten oder Entwicklungs- und Schwellenländern. Korruptive Verflechtungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik finden sich vielfach auch in demokratischen Systemen der OECD-Länder, denn Korruption hat in reichen Staaten häufig Erscheinungsformen, die in gleichem Maße ‚weiter entwickelt’ sind, wie diese Staaten selbst.“
  • Neuausrichtung der EU. Das heißt Neuausrichtung der EU-Landwirtschaftssubventionen. Das ist der größte Teil des EU-Haushalts, der momentan vor allem die Formen der Landwirtschaft unterstützt, die extrem klima- und artenschädigend sind. Alleine die Landwirtschaft wird, wenn nicht schnellstens verändert, die EU schon außer Reichweite des Pariser Abkommens katapultieren.
    Neuausrichtung der EU heißt natürlich auch Klimaneutralität der EU bis 2035 und eine EU-Außenpolitik, die sich am Klimaschutz orientiert. Das heißt erstmals ein ambitionierter Auftritt auf der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow im November, in der alle Länder gemäß dem Pariser Abkommen ambitioniertere Klimaziele vorlegen sollten. Es ist übrigens die wichtigste Weltklimakonferenz seit Paris. Das Ganze kann aber auch weitergedacht werden. Schließlich kann man auch Handelsverträge daran beurteilen, ob andere Länder ambitionierte Klimaschutzziele haben und umsetzen. Das funktioniert aber natürlich nur, wenn die EU selbst glaubhaft für Klimaschutz eintritt. Abkommen wie das EU-Mercursor Abkommen müssen gestoppt werden und grundlegend verändert. Der Amazonasregenwald steht gerade kurz vor dem Kollaps. Wird er noch weiter abgeholzt, was das momentane Mercursor-Abkommen wahrscheinlich befördert, wandelt er sich am Ende in eine Savanne um. Die 200 Milliarden Tonnen CO2, die dann frei werden würden, wären ein weiterer, sehr großer Dominostein, der das menschliche Schicksal vermutlich besiegeln würde.

Soweit die Kurzübersicht. Jetzt ist natürlich die Frage: Wars das? Antwort: Sicherlich nicht. Was hier aufgeschrieben ist, ist lediglich die Spitze des Eisbergs. Die Bierdeckelkomponente der nötigen Klimapolitik, wenn man so will. Nach jahrzehntelangem Zögern befinden wir uns nun in einem Minenfeld aus Kippelementen (siehe Grafik), die wie aufgereihte Dominosteine zu fallen drohen und uns mitzureißen. Bei tauendem Permafrostboden, absterbendem Amazonasregenwald, kollabierendem Westantarktischem Eis, eisfreien arktischen Sommern, Kipppunkten beim grönländischen Eisschild, schwächelndem Golfstrom und dem sechsten Massenaussterben auf diesem Planeten reichen kleinere Reparaturen nicht mehr aus.

Wer die Menschheit aus diesem Minenfeld heraus navigieren will, hat keinen politischen Ermessensspielraum. Nur wenn die klaren Ergebnisse der besten Wissenschaft genauso umsetzt werden wie vorgegeben, können wir darauf hoffen, die düsteren Zukunftsaussichten doch noch am Horizont verblassen zu sehen.

Im Grunde ist es faszinierend, dass sich trotz all dieser Bedrohungen genügend Menschen finden, die in die Politik gehen wollen. Denn wer jetzt die falschen Entscheidungen trifft, wird in der dann zugegebenermaßen kurzen verbleibenden Geschichte die Person sein, die der Welt am Abgrund den nötigen Schubser verliehen hat, um sie über die Kante zu befördern.

Die gute Nachricht ist: Wir wissen bereits grob, was es braucht, um bis 2035 in Deutschland klimaneutral zu werden. Bereits letztes Jahr legte das Wuppertal Institut eine im Auftrag von Fridays for Future angefertigte Studie vor, die diesen Weg für Deutschland aufzeigt. Letzendlich geht es darum, diese im Detail umzusetzen, verbunden mit einer grundlegend neuen Wirtschafts- und Außenpolitik.

Was genau in dieser Studie nun steht, darum geht es im nächsten Blog des Klimacamps. Dann beginnen wir, vorsichtig hinter die Bierdeckelkante zu spähen. Bis dann und in unser aller Interesse: viel Erfolg, liebe Regierung.

Text: Manu vom Konstanzer Klimacamp
Foto oben (die Ersten von ein paar Tausenden auf der Klimastreik-Demo am 24. September 2021): pw / Foto Mitte: Klimacamp

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Zuletzt erschienen auf seemoz:
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht