Hannes Heer mit „Mein 68“ in Konstanz

Der Historiker, Publizist und Ausstellungs­macher Hannes Heer ist auf unsere Einladung wieder zu Gast in Konstanz. Heer, dem es als Leiter der ersten Wehrmachtsausstellung maßgeblich zu verdanken ist, dass der Mythos der „sauberen Wehrmacht“ zerstört werden konnte, führt am 3. April 2019 im Foyer der Spiegelhalle mit Vortrag und Film in die 68er-Revolte und den Aufstand gegen die Nazigeneration ein und stellt das historische Erbe dieser Freiheitsbewegung zur Debatte.

Nachdem es der Konstanzer Friedensinitiative 1997 gelungen war, die Wehrmachtsausstellung auch hier zu zeigen, war Hannes Heer mehrmals zu Gast in Konstanz. Er sprach unter anderem über das Ende der Legende von der „sauberen Wehrmacht“ und über die antisemitische Ideologie und Praxis bei den Bayreuther Festspielen von 1876 bis 1945. Nun ist die Studentenbewegung der 1960er Jahre sein Thema.

Der Aufstand gegen die Nazigeneration aus Sicht eines Protagonisten …

Im Jahr 1965 besuchte Hannes Heer erstmals Auschwitz. Kurz darauf gründete er zusammen mit einigen Freunden an der Bonner Universität die Gruppe des Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). In Bonn – damals Bundeshauptstadt – repräsentierten Männer, die die Verbrechen des Nationalsozialismus mit ermöglicht und sie unterstützt hatten, die deutsche Demokratie. Mit der „Naziriecherei“ Schluss machen zu wollen, hatte die Adenauer-Ära geprägt: Zwei Jahrzehnte lang waren die Verbrechen der NS-Zeit unter den Teppich gekehrt worden, hatten Männer wie Hans Globke, Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, hohe politische Ämter bekleidet. Männer wie Kurt Georg Kiesinger hatten dafür gesorgt, dass weder die Mitgliedschaft beim Volksgerichtshof noch die Mitwirkung an Todesurteilen Anlass zu strafrechtlichen Ermittlungen oder dienstrechtlichen Maßnahmen gegen Richter und Beamte geben durfte.

Hannes Heer

Geboren 1941 in Wissen/Sieg. Studium der Geschichte und Literatur in Bonn, Freiburg und Köln. 1968 Staatsexamen an der Universität Bonn. Wegen seiner Aktivität im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) keine Zulassung als Referendar zum Schuldienst. 1970 bis 1972 Aufbaustudium in Volkswirtschaft an der Universität Bonn. Arbeit als Rundfunkautor. Lehraufträge und Forschungsprojekte an der Universität Bremen. 1980 bis 1985 Dramaturg und Regisseur am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und an den Städtischen Bühnen Köln. 1985 bis 1992 Dokumentarfilme für ARD und ZDF. 1993 bis 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung und Leiter des Ausstellungsprojektes „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. Für diese Leistung wurde er 1997 stellvertretend für das Autorenteam der Ausstellung mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet. 2004/2005 zusammen mit Petra Bopp und Peter Schmidt Ausstellung „Viermal Leben. Jüdisches Schicksal in Blankenese“. 2006 zusammen mit Jürgen Kesting und Peter Schmidt Ausstellung „Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der ‚Juden’ aus der Oper 1933 bis 1945“. 2012 wurde die Ausstellung im Rathaus und auf dem Festspielhügel in Bayreuth eröffnet, wo sie bis heute als Dauerinstallation zu sehen ist. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte von Nationalsozialismus, Krieg und Nachkriegserinnerung. Hannes Heer lebt als Historiker, Publizist und Ausstellungsmacher in Hamburg. Mehr: www.hannesheer.de.

Die lange unter den Teppich gekehrten Verbrechen der NS-Zeit sollten endlich hervorgeholt werden. Was unter anderem Bundespräsident Heinrich Lübke, der als Vermessungsingenieur KZ-Baracken entworfen und gebaut hatte, unter seinem Eintrag im goldenen Buch der Universität Bonn die zusätzliche Berufsbezeichnung „KZ Baumeister“ eintrug. Und Hannes Heer als „Rädelsführer“ dieser Aktion die – später wieder zurückgenommene – Relegation von der Uni.

Die Jahre 1965 bis 1968, das war der Aufstand gegen die Nazi-Generation, der Kampf um die Demokratisierung der Universitäten und gegen den „Muff von 1000 Jahren“. Die Notstandsgesetze, der Vietnamkrieg, die Erschießung von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 und das durch die Hetze der Springer-Presse vorbereitete Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 führten zur Revolte. Deren Bedeutung war, so bilanzierte rückblickend der Philosoph Jürgen Habermas, „für die politische Kultur der Bundesrepublik ein Einschnitt, in den heilsamen Folgen nur übertroffen von der Befreiung vom NS-Regime durch die Alliierten im Jahre 1945.“

Die Organisation, die diese Protestbewegung maßgeblich initiiert und geprägt hat, war der SDS, der Sozialistische Deutsche Studentenbund. Hannes Heer erzählt die Geschichte des SDS und analysiert dessen politische Vorstellungen, Wirken und Entwicklung.

… und ein verspäteter Brief an seinen Vater

Im September 1968 – kurz nachdem in Prag der Versuch eines demokratischen Sozialismus durch sowjetische Panzer beendet worden war – erhielt Hannes Heer einen Brief seines Vaters, mit dem dieser alle Brücken zu ihm abbrach:

„Lieber Sohn, der Einmarsch der Russen in die Tschechoslowakei hat mir endgültig gezeigt, was Ihr wollt, Du und Deine Genossen. Der Dutschke, der Langhans und wie sie alle heißen, haben auf den Panzern vorne drauf gesessen. So wie in Prag, so wollt Ihr es auch bei uns machen. Alles kaputtschlagen, was wir nach dem Krieg aufgebaut haben. Den Rest von Deutschland auch noch den Kommunisten ausliefern. Ich jedenfalls will mit Dir und Deinesgleichen nichts mehr zu tun haben. Ich betrachte Dich nicht mehr als meinen Sohn […]“.

1968 liess Heer den Brief seines Vaters unbeantwortet. Dass auch der SDS Bonn scharf gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes protestiert hatte, wäre dem Vater nicht zu vermitteln gewesen. 20 Jahre später versuchte er mit seinem Film „Mein ’68: Ein verspäteter Brief an meinen Vater“ (WDR 1988) die im Leben gescheiterte Auseinandersetzung mit seinem Vater nachzuholen. Er rekonstruiert im fiktiven Dialog die Ursachen für das Entstehen der Protestbewegung und zeigt dem Vater, warum er selbst zu einem Aktivisten dieser Bewegung wurde. So entsteht aus der doppelten Perspektive des Protagonisten wie des Wissenschaftlers und von zwei historischen Punkten der Rückschau aus ein komplexes und aktuelles Bild der Revolte von 1968.

Sabine Bade (Foto: Ulrike Deuscher)


1968 – Die „Studentenbewegung“ oder: Der Aufstand gegen die Nazigeneration
Termin: 3. April 2019. Uhrzeit: 20:00 Uhr. Ort: Foyer der Spiegelhalle. Eintritt: 7,00 Euro, ermäßigt 4,00 Euro.
Eine Veranstaltung des Seemoz e.V. in Kooperation mit der Friedensinitiative Konstanz, der Rosa-Luxemburg-Stiftung Baden-Württemberg, der VVN-BdA Kreis Konstanz und dem Theater Konstanz