Zwischen Abschiebung und Duldung. Die Verschönerung des Elends

Zivile Seenotrettung nicht weiter kriminalisierenManchmal erreichen uns Meldungen über Menschen, die von ihren Arbeitsplätzen und Wohnungen, Familien und Freunden fortgerissen werden, um dann in ihre sogenannten Heimatländer verbracht zu werden. Schutzsuchenden will Deutschland nur selten ein sicherer Hafen sein. Das Schicksal und die Not der Betroffenen stand kürzlich im Fokus eines Abends in der Infokneipe, an dem Rex Osa von seiner Arbeit als Aktivist für die Rechte von MigrantInnen berichtete.

Die zwei Seiten einer Medaille

Vorab: Das Ohr des hier Schreibenden war nicht gemacht für das Englisch des Vortragenden dieses Abends. So ist dies ein Text neben dem Vortrag, der sich weniger auf ihn stützt als an ihm entlang grindet, wie es die Jugend vielleicht sagen würde… Vor allem der Vortragende mag mir dies verzeihen. Ich hoffe also, zumindest dem Geist des Gesagten gerecht zu werden…

Dem Konstanzer Stadtbewusstsein steht das Schicksal von Ejike Harrison Chukwu immer noch klar vor Augen: Auch MigrantInnen, die offenkundig in diesem Land und in der Kommune angekommen sind, können ohne Weiteres abgeschoben werden. Auch die Abschiebung von Zoufinar Murad nach Armenien über Nacht erzeugte im letzten Monat ein mediales Echo, gerade weil sie eine jener raren Pflegekräfte war, für die manch Bundesminister bis ins fernste Ausland fliegt, um sie zur Arbeit in Deutschland zu überreden. Im Rauschen des Internets gehen die meisten dieser Verbrechen an der Menschlichkeit unter – ihre Namen, ihre Schicksale, ihre Leben –, kaum wahrnehmbar ist die Resonanz der Empörung aufgrund der Abschiebungen von Kurden in die Türkei, zugleich Nato-Partner, multipler Aggresssor und Menschenschinder.

Die Skandalisierungsrituale, die immer wieder in medialen Erzeugnissen rund um diese Fälle auftauchen und die darauf verweisen, jene Personen würden in festen Arbeitsverhältnissen stehen, rechtfertigen auf ihrer Rückseite die Abschiebung jener ohne Arbeit, was aber ebenso gegen den Geist der Humanität verstößt. Als ob es manche Menschen verdienten, abgeschoben zu werden! Das Menschenrecht auf Asyl an einen ökonomischen Status zu binden, zeigt schon die Pervertierung des Systems und bereitet den Boden für die Mechanismen der Ausbeutung und Diskriminierung. Aus Sicht der MigrantInnen machen die Hinweise auf ihre Berufstätigkeit gleichwohl Sinn: Ähnlich wie die strafrechtliche Unbescholtenheit geht es um die Bestätigung des Mehrheitsdiskurses, dem die Schutzsuchenden ohne ihren Willen entsprechen müssen. „Wir sind nicht faul. Wir wollen arbeiten. Wir haben nichts verbrochen.“ Diese Ausrufe wenden sich an das deutsche Publikum, das in MigrantInnen oft eine Gefahr sieht, für ihre Sicherheit, ihren Geldbeutel und ihre abendländische Identität, was immer das auch sein mag.

Das Ziel ist also ganz simpel, den Vorurteilen eben dieser BundesbürgerInnen keinen Anlass oder Halt zu bieten. Dies zeigt aber den immensen Konformitätsdruck, der auf diesen Menschen lastet. Ihnen ist kein Vorwurf zu machen, der Reproduktion des Vorurteils in den medialen Diskursen aber schon.

Regime der Ausbeutung

Kommen wir zurück auf die Situation von MigrantInnen, die sich in einem Regime dauerhafter Verunsicherung und Entrechtung befinden. Es geht hier um eine Struktur, die Menschen auf der Flucht nicht hilft, sondern sie zwingt, sich selbst in rechtliche Graubereiche zu begeben, und ihre Hilflosigkeit dann zugleich ausnutzt. Da die bundesdeutsche Anerkennung von Fluchtursachen eher restriktiv ist, und zugleich willkürlich, haben die Betroffenen nur dann eine verlässliche Chance, in Sicherheit zu bleiben, wenn sie keine identitätsverifizierenden Dokumente vorweisen können. Wenn nicht klar ist, woher ein Mensch kommt, kann er nicht abgeschoben werden. Die MigrantInnen werden dann in den Status der Duldung überführt, was letztlich ein Damoklesschwert meint und zugleich das alltägliche Leben dieser Menschen stark einschränkt. Hinzu kommt, da so einerseits die institutionellen Angebote zur Integration wie Deutschkurse fehlen, wie andererseits die permanente Unsicherheit die individuelle Motivation verringert. Die Duldung schafft einen Status, der einem Leben auf einem Parkplatz oder dem Wartebereich auf Flughäfen gleicht: Nicht hier, nicht da, und ständig in der Bedrohung, weg zu müssen. Anstatt die Menschen langfristig zu integrieren und ihnen nebst anderem die psychologischen Hilfen zu bieten, die die Erfahrungen der Flucht und der Repressionen des deutschen Migrationssystems nach sich ziehen, lassen wir sie allein. Dazu kommt: die Öffentlichkeit äußert auch ihren Unwillen über die Schmarotzenden, deren angebliches Schmarotzertum sie aber selbst erzwungen hat.

Die Vermutung, das Regime hätte hier nun bereits seinen Höhepunkt der Niederträchtigkeit erreicht, unterschätzt die Phantasie der deutschen Bürokratie. Wie in aller Munde ist, fehlen Fachkräfte allenthalben, so auch in Berufen wie der Pflege oder der medizinischen Versorgung. Nun hat sich Deutschland überlegt, rechtliche Konstrukte wie das Arbeits- und Ausbildungsduldungsrecht zu schaffen. Einerseits bietet es den Menschen die Möglichkeit zu eben jenen Tätigkeiten, was ja an sich begrüßenswert ist. Aber: Um diese Verbesserungen zu erhalten, bedarf es einer Identitätsversicherung. Demgemäß werden die Betroffenen in diese Berufe gezwungen, führt doch die Kündigung zur Abschiebung. Bei einem anderen Gesprächsabend zum Thema haben ein Auszubildender und eine Pflegekraft genau von diesen Mechanismen berichtet, die es ihnen nicht erlaubt, sich frei zu entfalten.

Wir reden hier von jungen Menschen, die als Lückenfüller deutscher Gesundheitspolitik herhalten müssen und zugleich Opfer einer repressiven Politik werden. Die Freiheit des lebenslangen Lernens und Wachsens, die für uns mittlerweile eine Selbstverständlichkeit geworden ist, gilt für diese Menschen nicht, weil wir sie und ihre Hilflosigkeit ausnutzen, um es deutlich zu formulieren. Zu diesem perfiden System kommt noch hinzu, dass es die Betroffenen isoliert, indem sie Misstrauen sät und egoistische Tendenzen fördert. Die Organisation von Hilfe und die kollektive Solidarisierung werden damit effektiv erschwert.

Was also nun tun?

Menschen wie Rex Osa, die selbst die Erfahrungen der Flucht machen mussten, die Permanenz der Angst, die Verwerfungen des Lebens und die Verachtung technokratischer Verwaltungen, versuchen in ihrer Arbeit als AktivistInnen Menschen zu helfen, die sich in ähnlichen Situationen befinden. Es geht hier um soziale Unterstützung und das Teilen von Kenntnissen, um rechtliche Beratung und Informationen, aber auch konkrete Proteste und die Organisation zivilen Ungehorsams. Stellen wir uns vor: Nach Jahren aus Deutschland abgeschoben zu werden, mit Angehörigen, die zu jung sind, die Sprache und Kultur jenes Landes zu kennen, in das sie nun zu reisen gezwungen werden. Was tun in einem Land, dass mensch nicht mehr kennt, ohne Freunde, Kontakte oder ein Dach über dem Kopf?

Die solidarischen Netzwerke von MigrantInnen und Unterstützenden versuchen genau hier zu helfen. Manchmal reichen Kontakte, manchmal ein Platz zum Schlafen. Es ist ein weiterer Skandal der bundesdeutschen Abschiebepraxis, die Menschen überhaupt in Situationen der Hilflosigkeit und Obdachlosigkeit zu bringen. Die Angst, vor dem Nichts zu stehen, ist ein weiteres Glied in der Kette des Diskriminierungs- und Ausbeutungssystems.

Was hilft, ist hinzuschauen, sich in Situationen einzufühlen und zuzuhören. Wir haben Angst, wir haben Hoffnungen. Schlimme Zeiten hinterlassen Spuren und Narben, am Körper und in den Köpfen. Es mag böse Menschen geben, aber – um eine Frage aus einem anderen Abend zu zitieren – kann es nicht sein, dass der Dieb einfach nur Hunger hat? Wir müssen MigrantInnen aufnehmen und mit den richtigen Mitteln und Erwartungen integrieren, um ihr Leben und ihre Flucht nicht noch schwerer zu machen. Die Toten im Mittelmeer sind Resultat unserer Flüchtlingspolitik, dazu kommen Repression und Ausbeutung von Menschen mit Migrationshintergrund. Gegen beides müssen wir endlich vorgehen.

Text: Tobias Braun
Bild: Seebrücke Konstanz