Der Klimacamp-Blog (7): Demo- und Wahlrückblick

Als wir mit den Demovorbereitungen angefangen hatten, waren wir nicht so optimistisch. Während Corona war es immer schwieriger geworden, Menschen zum Klimaprotest zu mobilisieren. Wir meldeten 400 Teilnehmer*innen bei der Versammlungsbehörde an. Am Ende kamen laut Polizeiangaben 5000. Wir sind überwältigt! Deutschlandweit waren mehr als 600.000 Menschen an über 400 Orten auf den Straßen. Der Klimaprotest ist wieder zurück auf der Straße und wird nicht aufhören, solange die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze politisch nicht ernst genommen wird!

Wir wollten mit unserem Protest die Bundestagswahl zur Klimawahl machen. Das hat nicht geklappt. Denn obwohl bei der Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen die Klimakrise die Liste der wichtigsten Probleme bei dieser Bundestagswahl mit 46 Prozent anführt, wählten mehr als 50 Prozent der Deutschen SPD und CDU, die der Herausforderung Klimaschutz nachweislich nicht gewachsenen sind. Das haben die beiden Parteien in den letzten 12 beziehungsweise 16 Jahren hinreichend bewiesen. Addiert man noch die Wähler*innen der FDP, die im Klimaprogrammcheck des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung die schlechteste Bewertung bekommen hat, und AfD dazu, die den menschgemachten Klimawandel leugnet, haben sich mehr als 70 Prozent der Wähler*innen bei der Wahl gegen Klimaschutz und die Zukunft der jungen Menschen entschieden.*

Das frustriert. Insbesondere wenn man sich das Leid derjenigen vor Augen führt, die schon heute die Folgen der Klimakrise zu spüren bekommen. Das sind vor allem Menschen im globalen Süden, was besonders perfide ist, da der globale Norden die Klimakrise zu verantworten hat. Trotzdem ist spätestens seit den Hochwassern im Westen Deutschlands dieses Jahr die Klimakrise auch hier angekommen. Wir haben auf der Demo einen Erlebnisbericht von einer Jugendlichen aus dem Ahrtal vorgelesen. Diesen werden wir hier nochmal ausschnittweise veröffentlichen, da in dem Diskurs über Klimaschutz, besonders in diesem Wahlkampf, vor lauter Diskussionen darüber, wie „teuer und einschränkend“ Klimaschutz werden wird, völlig vergessen wurde, was „kein Klimaschutz“ bedeutet.

„2016 gab es auch schon mal ein Hochwasser, aber es war weniger schlimm. Alle dachten, es würde genauso werden. Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem klar war, dass es nicht so werden würde wie 2016. Sondern viel schlimmer. Meine Familie und ich haben bald angefangen, Sachen aus unserem Haus zu räumen – später hat sich dann herausgestellt, dass das gar nichts gebracht hat, weil die Sachen dort, wo wir sie hingebracht haben, auch vom Wasser erwischt wurden. Wir haben in unserem Haus gewartet, waren vom Wasser umzingelt und wussten nicht ob wir im Haus warten sollten oder hinausgehen, weil die reale Gefahr bestand, dass unser Haus unter den Wassermassen wegbricht.

Irgendwann haben wir beschlossen, unser Haus zu verlassen: Durch die Haustüre ging das zu dem Zeitpunkt wegen des Wassers schon nicht mehr. Wir haben uns an den Händen gefasst und sind durch die Hintertür hüfthoch durchs Wasser gewatet und sind zu Freunden von uns aus dem Dorf gegangen. Gegenüber von unserem Haus habe ich das Haus meiner besten Freundin gesehen, die ich seit dem Kindergarten kenne. Ich wusste, dass sie in dem Haus eingeschlossen war und schon nicht mehr rauskonnte und ich wusste nicht, ob ich sie noch einmal lebend wiedersehen würde.

[…] Wir alle kennen die Warnungen der Wissenschaft. Wir alle wissen, wofür wir auf die Straße gehen und welcher Gefahr wir ins Gesicht blicken. Und gerade deshalb ist es für uns alle doch so unbegreiflich, warum die Politik nicht angemessen handelt.

Das Ganze wird allerdings noch viel unbegreiflicher, wenn du plötzlich bis zu den Knien im Wasser stehst und merkst, das Wasser hört nicht auf zu steigen. Wenn sich deine Straße in einen tödlich reißenden Strom verwandelt und es immer noch nicht aufhört zu regnen. Wenn du Menschen eingesperrt von den Wassermassen um ihr Leben bangen siehst und selbst nicht weißt, wie diese Nacht ausgehen wird. Dann wird das Nichtstun der Politik zu etwas so Unbegreiflichem, dass es sich kaum noch in Worte fassen lässt. Erst hat das Wasser dir den Boden unter den Füßen weggerissen und dann die Antworten der Politik.

Denn statt Verantwortung zu übernehmen und sich Fehler einzugestehen, kamen Aussagen wie „Nur weil solch ein Tag ist, ändert man doch nicht die Politik“. Nachdem Menschen ihr Leben gelassen haben und jetzt vor dem Nichts stehen, hat die Politik immer noch nicht die Ernsthaftigkeit der Krise erkannt. Keine der demokratischen Parteien legt ein 1,5-Grad-konformes Parteiprogramm vor und auch der Wahlkampf drehte sich nicht um konkrete Pläne, wie wir das 1,5-Ziel ernsthaft angehen können. Viel eher ging es um leere Versprechen und lauter Argumente, warum effektiver, sozial-gerechter Klimaschutz zu teuer wäre. Dabei wissen wir alle, dass unsere einzige Chance auf eine lebenswerte Zukunft und ein lebenswertes Hier undJjetzt eine konsequente Klimapolitik ist, die wissenschaftliche Fakten nicht weiterhin ignoriert und keine Angst vor Veränderungen hat.

Die Politik hat geschlafen und zwar viel zu lange – aber wir schlafen nicht. Wir wissen, dass die Klimakrise keine Krise der Zukunft ist – sie ist hier und sie ist jetzt. Wir stehen vor einer Jahrhundertwahl und lassen die Politiker*innen nicht mehr mit ihrer Scheinpolitik und leeren Worten davonkommen. Die Politik hat unsere Zukunft, unser Leben in ihren Händen und wir werden so lange laut und unbequem bleiben, bis sie verdammt noch mal auch dementsprechend handelt!“ (Julia, 17, FFF-Aktivistin aus dem Ahrtal)

In diesem Sinne: bis zum Klimaprotest während der Koalitionsverhandlungen!


* Anm.: Auch die Grünen und die Linken haben kein 1,5-Grad-gerechtes Wahlprogramm vorgelegt, aber es gibt zumindest Lösungsansätze. In externen Bewertungen der Klimaschutzpläne der Parteien beispielsweise durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung haben die Grünen und Linken deutlich besser abgeschnitten als die anderen Parteien.

Text: Frida Mühlhoff von der Klimacamp-Redaktion
Fotos von der Klimastreik-Demo am 24. September: Felix Müller, FFF Konstanz

Die nächsten Klimacamp-Termine:
Donnerstag, 30. September, 20 Uhr: Plenum von Students for Future, auf dem Camp.
Samstag, 2. Oktober, 15 Uhr: Mahnwache und Die-In vor dem Büro von Ann-Jeruschka Jurich, neu gewählte Bundestagsabgeordnete der FDP. Motto: „Auch die FDP muss sich mit ihren Forderungen bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen nach den Pariser Klimaschutzzielen richten!“ Ort: Fischmarkt 2, Konstanz.

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Zuletzt erschienen auf seemoz:

(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht