Der Klimablog (123): Asphaltgeschichten. „Das ist ein Notfall!“
Im sechsten Teil ihres Aktionstagebuchs trifft Eileen Blum von Letzte Generation Konstanz viele Mitstreiter:innen gegen die Tatenlosigkeit der Regierung – darunter auch einen Journalisten, der genug hat von der Pseudoneutralität der Medien. Und jede Menge Beschäftigte im Gesundheitswesen, die einfach nicht mehr nur zusehen wollen.
Nach dem Protestmarsch gehe ich zusammen mit Tim zur „Küche für alle“, bekannt als KüFa. Tim ist Journalist. Jahrelang hat er dafür gearbeitet, in eine gute Position zu kommen, in der er schwerpunktmäßig über sein Herzensthema berichten kann: den Klimawandel. Jetzt ist eine leitende Stelle im Klima- und Umweltressort zum Greifen nahe. Aber gleichzeitig war sie innerlich noch nie so weit weg.
Denn er weiß inzwischen, dass er auch in dieser Position nicht zur Gänze freie Hand haben wird. Dass der Cherfredakteur sich beschweren wird, wenn er schreibt, was wirklich Sache ist – und dabei zu sehr aus dem Blick verliert, was die Leser:innen gerne hören wollen. Das Problem ist, dass unsere unabhängige Presse leider ein bisschen zu abhängig vom Geld ihrer Leser:innen ist. Und von dem der Anzeigenkundschaft. Das gibt mir zu denken.
Tim erzählt, dass er deshalb überlegt, seinen Job zu schmeißen und sich voll und ganz auf den Kampf gegen den Klimawandel zu konzentrieren. Auch weil nicht jede:r in der Redaktion seinen Aktivismus gerne sieht. Er will sich keine Vorwürfe über Befangenheit und keine Predigten über Pseudoneutralität anhören müssen, wo es seiner Meinung nach eigentlich keine Neutralität gibt. „Wenn ich die Wahl habe zwischen Nachrichten über den Weltuntergang schreiben und Nachrichten über die Rettung der Welt, dann ist die Sache ja eigentlich klar. Aber irgendwie habe ich trotzdem Angst.“
Schweigend laufen wir den Rest des Weges nebeneinander her.
Kleine Anfänge in Konstanz
Als wir ankommen bin ich überrascht, wie viele Leute in der KüFa sind. Und im Innenhof um die Ecke sind noch mehr. Alles Aktivist:innen. Mit großen Augen drehe ich mich im Kreis und kann kaum fassen, wie stark wir in den letzten Monaten gewachsen sind. Dann denke ich an unsere Widerstandsgruppe in Konstanz. Im Dezember war ich noch so gut wie allein, im Februar hat es dann für die erste Blockade in Konstanz gereicht, danach wurde über ein weiteres, deutlich größeres Projekt diskutiert.
Im Dezember hat ein muslimischer Aktivist mich hier in Berlin auf die Idee gebracht, bei Straßenblockaden Dienstkleidung anzuziehen, um als Mitarbeiterin des Gesundheitssystems erkennbar zu sein. Ebenfalls im Februar fand die erste Soli-Blockade aus dem Gesundheitssektor statt. Dann folgten weitere. Morgen werde auch ich zum ersten Mal in Dienstkleidung auf der Straße sitzen. Ob ich deshalb aufgeregt bin? Na vielleicht ein bisschen, das gehört dazu. Aber hauptsächlich bin ich einfach nur müde.
Ich muss ein wenig suchen, um ein paar alte Bekannte aus der letzten Berlinphase wiederzutreffen. So viele Leute.
Essen oder schlafen
Als ich eine Schale dampfende Nudeln in der Hand habe, fällt mir auf, dass ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe. Wenn man frühmorgens losgeht, um den Morgenverkehr nicht zu verpassen, muss man häufig zwischen Frühstück und Schlafen entscheiden. Beides ist unter Aktivist:innen oft ein knappes Gut. Mittags ist man häufig zu beschäftigt – sprich unterwegs zum Demonstrieren, Flyer verteilen, Vorträge halten oder auf der Polizeiwache eingesperrt sein. Bleibt eigentlich nur der Abend.
Marius taucht plötzlich neben mir in der Schlange für den Tee auf. In wenigen Minuten treffen wir uns mit den anderen Leuten aus dem Gesundheitswesen, mit denen wir morgen auf die Straße gehen werden. Es ist ein seltsames Gefühl, mit wildfremden Menschen Straftaten zu begehen. Gleichzeitig ist es auch unheimlich bestärkend. Man muss lernen, sich zu vertrauen. Dass alle dichthalten, ihren Part beitragen und aufeinander aufpassen. Dass man kommuniziert, wie es einem geht, was persönliche Trigger und schwierige Situationen sind. Das ist wichtig, damit alle gut in die Aktion reingehen, durchhalten und gut wieder rauskommen können.
Man lernt dabei aber die besten Menschen kennen. Nicht umsonst berichten so viele, dass sie bei der Letzten Generation die respektvollsten, sozialsten und mutigsten Menschen getroffen hätten. Ich für meinen Teil kann das auf jeden Fall so unterschreiben. Vermutlich gehört einfach eine gehörige Portion Selbstlosigkeit und Mut dazu, persönliche Nachteile für das Wohl vieler in Kauf zu nehmen.
Die Vorbereitungsrunde
Das merke ich auch bei der Vorstellungsrunde für morgen. Da ist zum Beispiel Oskar, der auch heute Morgen in der Blockade dabei war. Er ist in etwa so alt wie ich und hat ebenfalls letzten Oktober seine Ausbildung erfolgreich beendet. Oskar ist Altenpfleger und sieht jetzt im Sommer jeden Tag, wie die steigenden Temperaturen seinen Heimbewohner:innen zu schaffen machen. Oder Kai. Er ist wie wir Anfang zwanzig und noch nicht lange mit der Ausbildung fertig. „Ich arbeite im Augen-OP und helfe Leuten dabei, wieder klar zu sehen“, sagt er. „Mit meinem Aktivismus möchte ich auch der Regierung helfen, wieder klarer zu sehen.“
Renate wiederum ist Medizinstudentin und arbeitet nebenher im Rettungsdienst. Sie ist da, wo man helfende Hände am dringendsten braucht. „Das ist ein Notfall. Ich kann da nicht einfach zusehen“, sagt sie schulterzuckend und gibt das Wort weiter an Marius, der Heilerziehungspfleger ist, und Pius, der ebenfalls Medizin studiert.
Emil ist morgen zum ersten Mal dabei. Vorerst wird er aber nur Flyer verteilen. Der um die 45 Jahre alte Pfleger ist sichtlich aufgeregt, hat sich aber „noch nie so sehr am richtigen Fleck“ gefühlt wie jetzt. Es sei ein schönes Gefühl zu sehen, dass man nicht alleine ist. Dass es Leute gibt, die genauso denken wie man selbst.
Auch wenn ich mir eigentlich nicht sonderlich viel daraus mache, wenn andere Leute meine Aktionen einfach nur bescheuert finden, so lange ich sie vor mir selbst rechtfertigen kann, nagt manchmal doch dieses Gefühl im Innern, allein auf verlorenem Posten zu stehen.
Um 2 Uhr morgens noch eine Pressemitteilung
Wir besprechen noch ein paar Details, dann wird es definitiv Zeit fürs Bett. Als wir schon am Gehen sind, kommt jemand von der Presse-AG hastig zu uns gerannt. „Ihr seid die Gesundheits-Soliblockade für morgen, nicht?“ Wir nicken. „Ich weiß, das ist ein bisschen kurzfristig, aber die Presse-AG hätte gerne Statements von euch allen bis spätestens morgenfrüh um 5 Uhr. Für die Pressemitteilung.“
Bis ich endlich in der Unterkunft bin, die Dienstkleidung für morgen bereitgelegt und alles sortiert habe, ist es fast zwei Uhr nachts. Fehlt nur noch das Pressestatement. Mir fallen mehrfach die Augen zu, allein schon das Formulieren von geraden Sätzen bereitet mir Probleme. Ich muss an die Schlaganfallpatienten bei mir auf Station denken. So langsam schlägt der Schlafmangel wirklich zu.
Ein letztes Mal überfliege ich die Zeilen, bevor ich mein Statement an die Presse-AG schicke:
„Ich bin Eileen, 22 und Pflegekraft auf Intensivstation. Mein Job ist Leben retten. Deshalb kann und werde ich nicht schweigend zusehen, wie wir die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen zerstören.
Das ist, worüber wir eigentlich reden sollten. Es geht darum, dass Menschen nichts zu essen und zu trinken haben. Dass Kinder verhungern und ganze Landstriche unbewohnbar werden.
Platt gesagt: Wir töten mit jeder weiteren Tonne CO2, die wir in die Luft blasen. Das sollten wir im Hinterkopf haben, wenn wir über Maßnahmen wie ein Tempolimit oder ein 9-Euro-Ticket reden. Mit diesem Wissen sollten wir als Gesellschaft zusammenkommen und gemeinsam in einem von der Regierung einberufenen Gesellschaftsrat entscheiden, wie wir uns bis 2030 auf den Weg zu einem fossilfreien Deutschland machen können. Und ja, ich bin überzeugt, dass es möglich ist. Wir haben als Menschheit schon so viel Erstaunliches vollbracht. Das sehe ich in der Medizin jeden Tag.“
Fortsetzung folgt.
PS: Bei der Letzten Generation stehen wir mit Namen und Gesicht für unseren Protest. Da diese Geschichte allerdings zum Teil Bezug auf persönlichere Themen nimmt und ich nicht von allen erwähnten Leuten ein Einverständnis einholen kann, habe ich mich entschieden, die Namen zu ändern.
Alles andere stimmt jedoch mit den tatsächlichen Gegebenheiten (beziehungsweise meiner Erinnerung) daran überein.
Text: Eileen Blum von der Klimablog-Redaktion / Fotos von einer Straßenblockade in Leipzig, Anfang Juli: Pit Wuhrer
06.06.2023 | „Die Regierung entmachtet sich gerade selber“
07.06.2023 | „Für wie beschränkt halten die uns eigentlich?“
27.06.2023 | Asphaltgeschichten. Die Anreise
03.07.2023 | Asphaltgeschichten. Auf der falschen Blockade
10.07.2023 | Asphaltgeschichten. „Verknacken Sie diese Arschgeigen!“
31.07.2023 | Asphaltgeschichten. „Nicht ganz so allein, wie man sich manchmal fühlt“
03.08.2023 | Asphaltgeschichten. „Hoffnung ist Handarbeit“