Der Klimacamp-Blog (8): Ein Tag im Camp
Es ist 7 Uhr früh und für Ende Sommer überraschend frisch. Wenn man nach oben schaut, schweben zarte Nebelschleier zwischen den Hausdächern. Die Glocken vom Münsterturm hallen fast schon ein wenig gespenstisch durch die Konstanzer Innenstadt, die um diese Uhrzeit so viel leerer ist, als ich bisher von kurzen Abstechern mit Freunden nach der Schule gewohnt war. Ich bin schon ein wenig knapp dran.
Als ich bei Kervan um die Ecke biege, um neben dem Sedir mein Rad abzustellen, begrüßt mich das begrünte Eingangstor mit farbenfrohen Lettern im Klimacamp Konstanz.
Es fühlt sich fast ein wenig wie an, wie eine Mischung aus Nach-Hause-Kommen und Jugendlager. Denn hier gibt es alles, was man zum Leben und Bleiben braucht, inklusive netter Leute, Raum für Austausch und gute Gespräch, Bücher, Stühle und WLAN, falls man mal vom Camp aus was arbeiten will. Und natürlich ist jeder Tag für eine Überraschung gut, denn neben teils spontanen und sehr vielfältigen Aktionen vergeht im Camp kein Tag, an dem ich nicht neue Leute kennen lerne oder mit anderem Blick auf die Welt nach Hause komme.
Doch noch liegt eine friedliche Ruhe über den Protestzelten und der Stadt.
Wenige Minuten später trifft A. ein, die bis heute Mittag mit mir Schicht hat. Gemeinsam stellen wir Schilder mit der Aufschrift „Klimacamp“ in die angrenzenden Straßen, in der Hoffnung, dass die Leute uns trotz der etwas versteckten Lage im Pfalzgarten finden.
Mit großen Ziffern male ich eine 60 auf die Tafel im Eingangsbereich, die anzeigt, wie viele Tage wir das Camp schon aufrecht erhalten haben. A. kocht zur Feier des Tages veganen Kaba mit Hafermilch, die ein netter Mann uns vorgestern gespendet hat.
Als wir beide mit einer dampfenden Tasse in der Campküche sitzen, kommt einer der drei Aktivisten, die hier übernachtet haben, aus seinem Zelt gekrochen, stellt sich vor und wünscht uns einen guten Morgen. Er ist Student und in Konstanz eigentlich nur zu Besuch bei Freunden, aber der Gedanke, dass wir uns laut Wissenschaft auf dem besten Weg befinden, die Erde für die nächsten Jahrtausende zu einer kleinen Hölle zu machen, ließ ihm keine Ruhe, weshalb er sich spontan entschlossen hatte, für eine Nacht her zu kommen.
Er nimmt sich auch ein wenig Kaba und von dem Brot, das eine nahe Bäckerei uns gestern freundlicherweise gespendet hat, während sich das Gespräch erst einige Minuten um Klima, Artensterben, Wirtschaft, Politik und Lösungsansätze dreht, bevor es in völlig andere Richtungen abdriftet. Als die anderen beiden Aktivisten aufstehen und sich ebenfalls Frühstück machen, sind wir irgendwie bei Aliens, Elektromusik und linksradikalem Schlager angekommen.
Leute gesucht!
Kurz nachdem sich die Leute von der Nachtschicht verabschiedet haben, fällt A. siedend heiß der Schichtplan ein. Weil wir eine Versammlung sind, müssen immer mindestens zwei Leute im Camp anwesend sein. Nur dass es nicht immer so einfach ist, genügend Menschen zu finden, um das Camp rund um die Uhr zu besetzen.
Wie eigentlich fast immer sind für die nächsten Tage noch riesige Lücken im Plan. Ich zücke einen Stift und trage mich für Samstagmorgen von 10 bis 12.30 und nach kurzem Überlegen auch für Donnerstag von 15.30 bis 18 Uhr ein. A. tippt derweil konzentriert eine Infonachricht in die Fridays-for-Future- und die Klimacamp-Infogruppe:
Leute fürs Camp gesucht!
• Donnerstag 7–09:30 Uhr und 18–21:45 Uhr
• Nacht: Mittwoch auf Donnerstag
• Freitag 12–15 Uhr, 17:30–19 Uhr und 20:45–22 Uhr
• …
Anschließend rufen wir bei einigen Aktivist:innen an, ob sie sich nicht vorstellen könnten, zur Not eine der fehlenden Schichten zu übernehmen.
Fast eine Dreiviertelstunde später muss A. dringend los zur Arbeit. Ich telefoniere noch kurz mit zwei weiteren Aktivisten, bis ich beschließe, es vorerst gut sein zu lassen. Die größten Lücken sind gestopft.
Inzwischen ist M. gekommen, um A. abzulösen. Er hat heute nur bis zur vierten Stunde Schule gehabt, muss jetzt aber noch Hausaufgaben machen und auf Bio lernen.
Er arbeitet, ich lese in „Wann, wenn nicht wir“, einem Buch aus unserer Camp-Leseecke über Klimakrise und Aktivismus, bevor ich in unserer selbstgezimmerten Europaletten-Küche Mittagessen koche. Eigentlich schon echt erstaunlich, was man aus ein paar übrigen Paletten alles machen kann. Und eigentlich noch viel erstaunlicher, wie wenig man im Grunde zum Leben und Glücklichsein braucht. Das ist auch eines der Dinge, die mir hier jedes Mal bewusst werden.
Als wir gemeinsam die ganzen Teller, Tassen und Gläser abspülen, die sich seit gestern angesammelt haben und dabei die Demo-Playlist einer befreundeten Ortsguppe hören, fängt es an zu tröpfeln. Wenige Minuten später haben wir alle Mühe, die Sticker, Infoflyer und Decken in Sicherheit zu bringen, bevor es wirklich nass wird.
Fröstelnd stehen wir unter dem Küchenpavillon. Regen prasselt auf die Plane über unseren Köpfen und ab und an bläst ein Windstoß uns einen Schwall nasskalter Tropfen ins Gesicht. Mir fällt auf, dass die Playlist immer noch läuft. „Hurra, diese Welt geht unter“, singt Henning mit rauer Stimme.
Interessiert das jemanden überhaupt?
„Hast du dich eigentlich schon mal gefragt, wie es sein muss, mitanzusehen, wie dein ganzes Hab und Gut vom Regen weggeschwemmt wird und du nicht weißt, ob du die nächsten Stunden überlebst? Oder ob du deine Freunde und Familie jemals wiedersiehst? Oder deine Haustiere?“ M. starrt nachdenklich nach draußen. Inzwischen haben sich einige Pfützen gebildet und unsere Fridays-for-Future-Fahne wird alle paar Sekunden vom Wind herumgeworfen.
„Nein“, sag ich. „Hab ich nicht. Ich hab eher so darüber nachgedacht, wie es ist, zu verbrennen. Oder zu verhungern. Du weißt schon, wegen Waldbränden, Nahrungsmittelkrisen und so.“
Für eine Weile sind wir beide still. Irgendwo verfängt sich der Wind in einem Mülleimer und erzeugt einen geisterhaft hohles Pfeifen.
M. seufzt. „Na ja, vielleicht kriegt die Politik sich ja doch noch gerafft.“
„Und die Wirtschaft“, füge ich hinzu.
„Und die Gesellschaft“, fügt M. hinzu.
Aber eigentlich ist klar, dass keiner von uns so wirklich daran glaubt. Aber wenn wir auch nur den Hauch einer Chance haben, diese Welt in all ihrer Schönheit und Fülle zu bewahren, dann ist es zumindest einen Versuch wert.
„Schon krass, dass wir es so schön haben könnten hier auf der Erde, wenn die Menschen nicht alle so scheiße wären. Oder zumindest viele. Alle ist wahrscheinlich eine unzulässige Verallgemeinerung. “
„Wahrscheinlich“, sagt M., „aber trotzdem gibt es noch genug Menschen, die sich augenscheinlich einen Dreck dafür interessieren, dass die Welt, wie wir sie kennen, im Begriff ist, unterzugehen. Dabei habe ich immer gedacht, dass man was machen würde, wenn die Wissenschaft sich einig ist, dass wir kurz davor sind, uns selbst und einen Großteil des Lebens hier auszurotten. “
„Hm“, mache ich und überlege, wie ich die Situation etwas auflockern kann. „Vielleicht sollten wir doch mal bei Harry Potter anfragen, ob zumindest die Zauberer bereit sind, ihren Vorsatz, nicht in den Lauf der Dinge einzugreifen, über Bord zu werfen. “
„Klingt nach einem Plan“, sagt M. und lacht. „Vielleicht kriegen wir so ja doch noch Solarzellen auf jedes Hausdach.“
„Und grüne Städte ohne Autoabgase, aber dafür mit viel Platz für Fahrräder und Parks.“
„Hört sich gut an. Aber ich hoff ja immer noch heimlich auf eine gute kostenlose Straßenbahnlinie, damit man nicht alles mit dem Fahrrad transportieren muss. “
Kein Exklusivclub
Wenig später erreicht uns die Nachricht, dass die Aktivistin, die mich von der Schicht ablösen wollte, sich auf unbestimmte Zeit verspätet, weil es Probleme mit der Bahnverbindung gibt. Ich beschließe, spontan doch noch bis heute Abend zu bleiben. Schließlich ist in einer Stunde Die-in vor dem Rathaus, um auf die Dringlichkeit der Klimakrise aufmerksam zu machen und im Anschluss daran das wöchentliche Plenum.
Gerade als wir in die Stadt aufbrechen wollen, kommt ein junges Mädchen auf mich zu und erklärt sichtlich nervös, dass sie auf der Tafel im Eingangsbereich gelesen hat, dass wir heute ein Die-in machen wollen und sie auch gerne mitkommen würde, wenn das für uns okay wäre. „Klar, wir brauchen immer Leute“, versichere ich ihr. „Und je mehr wir werden, desto besser für alle, meinst du nicht?“
Sie nickt und blickt zu ihrem Vater, der ihr aufmunternd zulächelt. „Darf er auch mit?“ fragt sie. Er schüttelt den Kopf. „Ich schau euch zu, Schatz. Für sowas bin ich schon zu alt. Klimaaktivismus ist was für junge Leute wie dich.“
Allerdings hat er da wohl eine Sache ganz gewaltig missverstanden: Klima geht uns alle an und Fridays for Future ist alles andere als ein Exklusivclub für Leute U25. Bei uns ist jeder willkommen, der mithelfen möchte, das Leben auf diesem Planet zu retten.
Doch auch nachdem ich versucht habe, ihm diese Sichtweise näher zu bringen, lehnt er das Angebot beim Die-in mitzumachen dankend ab. Er will lieber erstmal zuschauen. Auch okay. Aber immerhin weiß er jetzt, dass er jederzeit mitmachen kann, wenn er will.
Als wir mit ein paar anderen Aktivist:innen und zwei weiteren Menschen, die sich uns spontan angeschlossen haben, vom Die-in zurück sind, werden im Camp schon eifrig Stühle zusammen gestellt, während nach und nach immer mehr Aktivist:innen eintrudeln. Inzwischen hat es zum Glück auch aufgehört zu regnen.
„Hallo zusammen und herzlich willkommen an alle Neuen“, begrüßt uns die Redeleitung des Tages. „Ich würde vorschlagen, wir machen erstmal eine Vorstellungsrunde. Danach stehen folgende Punkt auf dem Plenum: Demo übernächste Woche, Finanzen vom Klimacamp und unserer Ortsgruppe, ‘ne Anfrage vom seemoz, ob wir Artikel bei ihnen veröffentlichen wollen, und dann wär noch die Frage, ob wir was zum Weltspartag machen wollen, weil ja oft viel Geld in extrem kontraproduktive Projekte investiert wird. Also, aber jetzt erstmal vorstellen: wer will anfangen?“
„Wir hätten da mal ‘ne Frage“, unterbricht uns ein wenige Meter entfernt stehendes Ehepaar in etwas vorwurfsvollem Tonfall, bevor irgendwer was sagen kann. „Wie genau stellt ihr euch das eigentlich vor?“
„Was denn genau?“, antwortet einer der Aktivisten freundlich. Es ist nicht unüblich, dass wir von Passanten zu verschiedensten Themen angesprochen werden.
„Na das Ganze mit dem Camp und so. Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass das was bringt.“
„Doch. Wenn genügend Leute mitmachen, dann hoffentlich schon.“
„Aber wenn ihr den Menschen alles verbieten wollt, wieso sollten sie dann bei euch mitmachen? Ich sag euch, jeder normal denkende Mensch wird sich nicht selbst den Spaß am Leben verderben wollen. Und ihr könnt mir nicht erzählen, dass ihr nicht alle, sobald die Ferien beginnen, im nächsten Flieger nach Malle hockt.“
„Jetzt mal langsam“, meldet sich einer der Aktivisten zu Wort, der schon öfters Erfahrungen mit pöbelnden Menschen im Camp gemacht hat. „Erstens wollen wir den Leuten absolut nichts verbieten, sondern die Welt bewahren, damit in der Zukunft alle auch leben und Spaß haben können, ohne ständig Angst vor Waldbränden, Dürren und Fluten zu haben. Zweitens kann ich Ihnen versichern, dass wir nicht alle jede Ferien nach Malloca fliegen und selbst wenn es so wäre, hätten wir deshalb nicht weniger Recht, mit dem was wir sagen. Drittens möchte ich Sie fragen, ob Sie bereit für ein ernsthaftes Gespräch mit uns sind oder ob Sie einfach nur gekommen sind, um uns zu erzählen, wie dumm und naiv das hier angeblich ist.“
Die Frau zieht die Augenbrauen kritisch in die Höhe und wendet sich ab, nachdem sie uns einen langen Blick zugeworfen hat. Der Mann scheint für einige Sekunden zu überlegen ehe auch er kopfschüttelnd abwinkt und geht. Die Erleichterung im Camp ist deutlich spürbar. Nicht alle Leute, lassen so schnell locker. Auch wenn solche Situationen zum Glück nicht allzu häufig vorkommen.
Nach dem Plenum wird es noch ein ganz netter Abend. Wir kochen zusammen und spielen eine Runde Halt-mal-kurz, ehe ich mich auf den Nachhauseweg mache. Die anderen wollten sich später noch darum kümmern, den Schichtplan für die nächsten Tage komplett zu machen. Denn Leute braucht es immer im Camp.
Vielleicht hast du ja auch mal Lust, vorbeizuschauen?
Text: Eileen von der Klimacamp-Redaktion
Fotos von der Klimastreik-Demo am 24. September: Felix Müller/FFF; vom Camp: pw; von der Mahnwache am 2. Oktober: FFF/Konstanz
Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Zuletzt erschienen auf seemoz:
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht
„Klimaschutz ist Freiheitsschutz“
Samstag, 2. Oktober 2021: Während FDP und Grüne in Berlin sondieren, stehen einige Jugendliche vor dem Büro der neu gewählten Konstanzer Abgeordneten Ann-Veruschka Jurisch. Sie wollen mit einer Mahnwache darauf aufmerksam machen, dass die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze und der Erhalt ihrer Zukunft bei den Sondierungsgesprächen oberste Priorität haben muss.
Insbesondere in der FDP brauche es hierfür ein Umdenken, heißt es in einer Pressemitteilung von Fridays for Future Konstanz. Und weiter: Denn laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist zwar keins der Parteiprogramme ausreichend, um die Klimaziele einzuhalten, allerdings schneidet die FDP von allen Parteien, die den menschengemachten Klimawandel anerkennen, am schlechtesten ab. „Das ist irritierend, denn wenn wir die Klimaziele nicht einhalten, drohen laut dem Bundesverfassungsgericht schwere Freiheitseinschränkungen in den nächsten Jahrzehnten und das möchte die FDP ja eigentlich vermeiden“, bemerkt Manuel Oestringer von Fridays for Future. „Aber das lässt hoffen, dass die FDP im Laufe der Sondierungsgespräche von ihrer kurzsichtigen Position abrückt und sich für konsequenten Klimaschutz einsetzt. Denn nur so können unsere Freiheiten langfristig gewahrt werden. Klimaschutz ist Freiheitsschutz.“
Was Fridays for Future von der neuen Bundesregierung – und damit auch von der FDP – fordert, steht in einem Klimacamp-Blog der vergangenen Woche: „Das muss jetzt passieren!“
In den nächsten Wochen soll es ein Gespräch zwischen Ann-Veruschka Jurisch MdB und Fridays for Future Konstanz geben.