Der Klimacamp-Blog (9): Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung

Dass im Klimacamp kein Tag wie ein anderer ist, liegt vor allem an den vielen verschiedenen Menschen, mit denen man ins Gespräch kommt. Und häufig kommt man auf das Thema, dass eigentlich immer auftaucht, sobald man sich als Klimaaktivist:in zu erkennen gibt: „Wie klimafreundlich denn das Verhalten der Klimaaktivist:in“ sei. Teilweise ist es auch umgekehrt, dass Besucher:in Klimaschutz ja wichtig finden, sich aber nicht engagieren können, weil sie sich im Alltag zu wenig klimafreundlich verhalten.

In beiden Fällen geht die Diskussion völlig am eigentlichen Problem vorbei.

Was gegen individuelle Lösungen spricht

Das merkt man, wenn man sich durch den CO2-Fußabdruckrechner auf fussabdruck.at klickt und fiktiv bei allen Kategorien die bestmögliche Version angibt (40 Quadratmeter Wohnfläche für zwei Personen in einem großen, passiv Wohnhaus, das teilsolar beheizt ist, vegane Ernährung, keine Autonutzung, keine Flugreisen und Fernreisen mit Bus und Bahn …), also ein Leben führt, das für viele Menschen gar keine Option ist, weil sie nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, in einem Passivhaus zu wohnen, und für Beruf oder Ausbildung zwangsläufig mehr Mobilitätsmittel nutzen müssen.

Doch selbst dieser bestmögliche Lebensstil würde einen Ressourcenverbrauch bedeuten, der 1,26 Erden benötigen würde, wenn alle Menschen so leben würden. Man würde also immer noch unseren Planeten ausbeuten. Als Teil der deutschen Gesellschaft kann man nicht leben, ohne die Erde zu zerstören. Das ist bitter. Jetzt kann man den Kopf in den Sand stecken und resignieren, weil es ein aussichtsloser Kampf ist, zukunftstauglich leben zu wollen –

– oder man stellt fest, dass der Kampf an einer anderen Stelle geführt wird und dort keineswegs ausweglos ist. Eine durchaus positive Nachricht.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen System

Laut dem Carbon Majors Report sind für 70 Prozent der globalen CO2-Emissionen seit 1988 nur 100 global agierende Unternehmen verantwortlich. Wenn wir die Klimakrise aufhalten wollen, müssen wir darauf Einfluss nehmen. Und natürlich beeinflusst die Nachfrage das Angebot und Konsument:innen können den Kurs von Unternehmen mitsteuern, aber das wird nicht reichen. Denn zum einen führt ein erhöhtes Nachhaltigkeitsbewusstsein auf Seiten der Konsument:innen häufig eher zu Greenwashing als zu echter Veränderung und zum anderen brauchen Gewohnheitsänderungen viel Zeit und solange nicht nur einzelne Konsument:innen ihr Verhalten ändern, führt das nicht zu einem veränderten Angebot. Laut einem Leak aus dem nächsten IPCC-Report (Weltkimarat-Bericht) bleiben uns noch drei Jahre, um wieder auf 2-Grad-Kurs zu kommen. Uns fehlt also schlicht die Zeit, darauf zu warten, dass ein ausreichend großer Teil der Konsument:innen ihr Verhalten ändert. Zumal bestimmte Verhaltensveränderung teuer sind und für finanziell schwächere Menschen gar keine Option.

Was es stattdessen braucht, ist eine Einflussnahme der Politik auf die Wirtschaft. Diese Einflussnahme ist gerechtfertigt und auch die Pflicht der Politik. Denn die Politik ist das, was das Zusammenleben der Menschen gestaltet und in diesem Sinne sollte es immer auch dem Gemeinwohl dienen, also die Klimakatastrophe verhindern. Anstatt darauf zu warten, dass sich die Gesellschaft durch ein Zusammenspiel von Wirtschaft und Konsument:innen weiterentwickeln wird. Vor allem da in unserem System die Instrumente vorgesehen sind, um dies zu tun.

Ein Beispiel für ein solches Instrument ist ein angemessener CO2-Preis, der die Schadenskosten realistisch abbildet. Denn aktuell werden die Kosten des CO2-Ausstoßes an die Gesellschaft externalisiert und die 100 global agierenden Unternehmen, die für 70 Prozent der Emissionen verantwortlich sind, müssen nicht für den entstehenden Schaden aufkommen, streichen aber für ihre klimazerstörenden Aktivitäten Gewinne ein. An dieser Stelle müssen wir ansetzten, denn wenn wir unsere Energie darauf verschwenden möglichst viele Menschen von einem möglichst klimaneutralen Lebensstil zu überzeugen, wird uns das nicht vor dem Klimakollaps bewahren. Denn es gibt kein richtiges Leben im falschen System. Wir sollten unsere Energie also darauf verwenden durch Protest für eine globale Besteuerung von CO2einzutreten, denn nur wenn die global agierenden Unternehmen ihre Emissionen reduzieren, ist die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens möglich.

Was für individuelle Lösungen spricht

Die Politik der letzten Jahre und die Bundestagswahl 2021 legen offen, dass das Warten auf politische Maßnahmen und einen Umschwung vergeblich ist. Wer die Klimakrise jetzt akut bekämpfen möchte, sollte spätestens jetzt zu individuellen Maßnahmen greifen.

Obwohl häufig das Gefühl besteht, mit den eigenen Handlungen allein zu stehen, bedeutet dies nicht, dass andere Menschen nicht ebenso Maßnahmen ergreifen. Dadurch summieren sich die Handlungen der Einzelnen und eine gesamtgesellschaftliche Wirkung wird erzielt. Zum Beispiel beim Thema Flugreisen. Vor allem Inlandsflüge sind echte Klimakiller – besonders unter der Betrachtung, wie leicht sie zu vermeiden sind. So verursacht ein Hin- und Rückflug auf der Strecke München–Berlin circa 310 Kilogramm CO2-Äquivalente. Dieselbe Strecke mit der Bahn spart durchschnittlich 270 Kilogramm ein. Damit kann der eigene CO2-Fußabdruck deutlich reduziert werden.

Dies erscheint wie eine sehr individuelle Handlung, jedoch gibt es auch eine Vielzahl an Möglichkeiten, gemeinsam zu handeln. Denn individuelle Lösungen bedeuten nicht, alles ganz alleine zu gestalten; das Vernetzen mit anderen ist durchaus sinnvoll wie zum Beispiel bei der Konsumminimierung. Der alltägliche Konsum beziehungsweise unser Konsumüberfluss beispielsweise bei Fast Fashion tragen erheblich zu unserem übergroßen ökologischen Fußabdruck bei. Die durchschnittlichen deutschen Verbraucher:innen können allein bei einer Reduzierung ihres Kleidungskonsums um 20 Prozent weitere 140 Kilogramm CO2einsparen. Unter anderem durch das Aufbau von Secondhand-Netzwerken und dem Angebot an Kleidertauschpartys wird der eigene Aufwand minimiert und gleichzeitig nachhaltige Strukturen etabliert.

Eine weitere Möglichkeit, Initiative gegen die Klimakrise zu ergreifen, ist eine Ernährungsumstellung. 15 Prozent der eigenen täglichen CO2-Äquivalente werden durch unsere Ernährung verursacht. Dort anzusetzen, kann daher auch eine größere Hebelwirkung haben. Zum einem sollte die Lebensmittelverschwendung weitestgehend eingeschränkt werden, regional und saisonal eingekauft werden und zum anderem hat eine vegane Ernährungsumstellung den größten Effekt. Die CO2-Äquivalente können allein durch pflanzliche Ernährung von 1,7 Tonnen zu 640 Kilogramm reduziert werden. Dieser Wirkungseffekt ist in den letzten Jahren immer mehr an die Öffentlichkeit gedrungen, daher stieg auch das Angebot an pflanzlichen Alternativen im Supermarkt.

Es braucht auch nachhaltige Denkweisen

Die vegane Ernährung ist gleichzeitig auch ein Punkt, womit es möglich ist, andere Menschen für ein nachhaltigeres Leben zu gewinnen. Der Freundeskreis oder die Familie können durch gemeinsames veganes Kochen auf die positive Auswirkung dieser Ernährungsform hingewiesen werden, dadurch lernen sie die Möglichkeiten der veganen Küche kennen. Vielleicht stellen sie in Folge auch ihre eigene Ernährung um. Somit wäre die Wirkung der eigenen Umstellung multipliziert worden.

Eben dieses Verbreiten nachhaltiger Lebensgestaltung ist essenziell für den Klimaschutz. Denn es bedarf ganz besonders auch eine Transformation der Gesellschaft und die Annahme nachhaltiger Denkweisen. Dieser Wandel kann und muss von innen entstehen. Dazu trägt jede:rbei. Besonders da einige Handlungen wie der Wechsel zu ökologischen Banken einen minimalen Zeitaufwand bedürfen, aber einen großen Effekt erzielen. So können Investitionen in klimaschädliche Branchen mit dem eigenen Geld vermieden werden. Auch die oben angeführten Punkte liegen im Bereich der realistischen Möglichkeiten, um jetzt von der Theorie in die Aktion zu kommen.

Die Reduzierung des eigenen ökologischen Fußabdrucks um nur 0,6 Tonnen CO2– Äquivalente kann auf die deutsche Bevölkerung übertragen eine Einsparung an CO2-Äquivalente von bis zu 33 Millionen Tonnen pro Jahr bewirken. In Zeiten, in denen es gilt, jedes zehntel Grad mehr zu vermeiden, ist dies existenziell wichtig und die Pflicht jeder:s Einzelnen.

Unsere Meinung:

Auch wenn die beiden oben begründeten Positionen zunächst unvereinbar wirken, scheint auf den zweiten Blick ein Kompromiss möglich und für wirksamen Klimaschutz sogar notwendig. Denn allein durch individuelle Verhaltensänderungen wird sich die Klimakatastrophe nicht verhindern lassen. Allerdings wird es genauso wenig möglich sein, gesellschaftlich klimaneutral zu werden, ohne dass sich das Denken der Menschen verändert.

Wir brauchen beide Wege. Die Politik muss zeitig das große Ganze regeln. Daher sollte eine Transformation unserer Wirtschaft und die Abschaffung fossiler Brennstoffe eine akute Aufgabe der Politik und besonders der neuen Regierung sein. Gleichzeitig kommt es aber auch auf uns an. Zum einem müssen wir Handlungen bei der Politik einfordern und zum anderem auch durch unser konkretes Handeln dazu beitragen, die Klimakrise zu bewältigen.

Jedoch hat nicht jede:r dieselben Möglichkeiten und das ist auch vollkommen in Ordnung. Jede:r sollte so viel beitragen wie für eine:n im Bereich des möglichen liegt. Infolgedessen liegt die Verantwortung insbesondere bei den Privilegierten in der Gesellschaft. Ein ausreichendes Einkommen ermöglicht einem eher bio und im Unverpackt-Laden einzukaufen, als wenn das Geld am Ende des Monats immer knapp ist. Kinderlose Haushalte haben eher Zeit, um zum Beispiel ihr Gemüse selbst anzubauen als Familien mit bis zu drei und mehr Kindern. In diesen Beispielen muss die Politik klimafreundliches Handeln billiger und einfacher machen, so dass ede:r diese Entwicklung mitgehen kann.

Im Wandel sollten wir als Gesellschaft zusammenarbeiten und uns gegenseitig unterstützen. So können wir es schaffen durch konsequente politische Handlungen und unseren gemeinsamen Bemühungen unser Land besser, nachhaltiger und klimaschonend zu gestalten.

Text: Frida und Carina von der Klimacamp-Redaktion
Fotos von Camp-Besucher:innen (oben und unten): pw; von der Klimastreik-Demo am 24. September: Felix Müller/FFF 

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Zuletzt erschien auf seemoz:

(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht