Der Klimacamp-Blog (10): Eine Nacht im Klimacamp

Um 20 Uhr beginnt meine Nachtschicht im Klimacamp, also muss ich in 10 Minuten los. Ich lümmle noch auf dem Bett, genieße die kurze Pause nach dem vollen Tag. Widerstrebend rutsche ich vom Bett und packe meine Sachen für die Nacht. Viel braucht es nicht: Kuscheltier, Zahnputzsachen, Schlafanzug, Kissen, Stirnlampe, Ladekabel und Kleidung für morgen. Ich habe es schon vor Wochen aufgegeben, meinen Schlafsack immer wieder hin- und herzuschleppen. Isomatte muss ich auch nicht mitnehmen, die gibt’s zur Genüge im Camp.

Jetzt habe ich doch zu viel getrödelt, ich schnappe Handy, Maske, Schlüssel und Kopfhörer. Während ich die Tür abschließe, schlüpfe ich in meine Schuhe und renne zum Bus.

An der Bushaltestelle angekommen bin ich außer Atem, der Bus hat Verspätung, hätte ich mir schon denken können. Ich binde meine Schuhe ordentlich, ziehe die Maske an und stecke die Stöpsel der Kopfhörer in meine Ohren und drücke auf Play. Endlich kommt der Bus. Ich nutze die Zeit im Bus, um im Schichtplan zu schauen, mit wem ich die Nachtschicht verbringen werde. Wir sind heute sogar zu dritt, richtiger Luxus.

Am Schottenplatz steige ich aus und laufe durch die Niederburg ins Klimacamp. Heute war es typisch für einen Herbsttag – mittags recht warm, jetzt ist die Luft aber schon sehr abgekühlt und es windet, immerhin regnet es nicht.

Die Küche wird durch eine Lichterkette und eine kleine Lampe beleuchtet, das sieht sehr gemütlich aus. A. ist schon da, C. von der Tagschicht ist noch da und An. kommt erst später.

Ich setze mich zu den anderen in die Küche, wir tauschen uns darüber aus, wie unser Tag war. C. erzählt von Gesprächen mit Passant*innen. Die meisten Gespräche waren positiv, jedoch ist unser Camp auch ein Magnet für Verschwörungspraktiker*innen. Man sieht ihr an, dass die Gespräche sehr anstrengend für sie waren. Verständlich, gegen diese Realitätsverdrehungen kommt man einfach nicht an. Gleichzeitig haben diese Leute meist ein wahnsinnig hohes Mitteilungsbedürfnis. Am liebsten würde ich in den Eingangsbereich ein sehr großes Schild mit folgendem Inhalt platzieren:

***
Nein, Corona ist real
Ja, Covid19 ist eine gefährliche Erkrankung
Nein, es gibt nicht „Die da oben“
Ja, es gibt Chemtrails, aber die Kondensstreifen sind klimaschädlich, nicht giftig
Nein, wir sind nicht auf Geheiß von Merkel hier
Nein, jüdische Menschen manipulieren uns nicht im Untergrund
Und nein, wir werden nicht dafür bezahlt, Aktivisti zu sein

Sollten Sie mit den obigen Fakten ein Problem haben:
Kommen Sie uns nicht zu nahe, wir sind alle geimpft.
***

Nachdem C. sich ordentlich auskotzen konnte, wirkt sie deutlich entspannter und ihr fällt ein, dass wir heute eine Süßigkeitenspende bekommen haben.

Ich grinse, springe auf, gehe zu unserem Kühlschrank, der als Regal funktioniert und ziehe eine Packung Katjes heraus. „Können wir nicht erst was Richtiges essen?“, fragt A. und steht auf, um die Gemüsebox zu inspizieren.

„Sieht schlecht aus“, stellt sie enttäuscht fest und beginnt Nudeln mit Tomatensoße zu kochen.

Da wir beim Essen fast ausschließlich auf Spenden angewiesen sind, haben wir manchmal so viel Essen, dass wir kaum alles rechtzeitig verwerten können und an anderen Tagen haben wir zu wenig da.

Trotz Mangel an frischem Gemüse ist die Soße wirklich gut gelungen, wir futtern zu dritt fast alles auf, aber lassen An. noch etwas übrig, sollte sie noch Hunger haben, wenn sie später kommt.

C. spült das Geschirr ab, A. räumt die Küche auf und ich koche Tee, da es doch sehr kalt geworden ist. Wir trinken noch gemeinsam eine Tasse Tee, bis sich C. verabschiedet und auf ihr Rad schwingt.

Da A. zum Telefonieren verabredet ist, lerne ich ein wenig. Wegen der abgebrannten Ecke am Küchenzelt sitze ich im totalen Durchzug, ich beginne zu frieren, also hole ich aus dem Schlafsackzelt einen Schlafsack, mummele mich ein und lerne weiter.

Als A. aufgehört hat zu telefonieren, sagt sie: „ich habe mein Zeug schon ins große Zelt verfrachtet“ und grinst. „Neiiiin, da wollte ich heute pennen. Menno … dann geh ich eben ins dunkle Zelt.“ Im großen Zelt liegt eine abgepackte Matratze und es ist daher das beliebteste Zelt.

Gegen 22 Uhr fährt ein Fahrrad ins Camp, es ist An. Hunger hat sie keinen mehr, also verpacke ich den Rest Nudeln, aber den Tee nimmt sie gerne an. Vom Fahrradfahren sind ihre Hände kalt. A. stülpt sich einen weiteren Pulli über den Kopf. Der warme Sommer ist schlicht vorbei, im Camp merkt man das ganz besonders.

Wir sind dabei, das Camp winterfest umzugestalten, auch wenn das nur schleppend passiert.

A. macht sich eine Wärmflasche und möchte ins Bett, da sie morgen Schule hat, und verabschiedet sich, um im Zelt zu verschwinden.

Während auch An. sich auf der Toilette bettfertig macht, trage ich unsere Klimacampschilder ins Camp und leere die Spendenbox.

Ich bin zwar noch nicht sonderlich müde, aber im Zelt ist es deutlich wärmer und kuschliger, daher entscheide auch ich mich, jetzt ins Bett zu gehen.

An. reicht mir den Schlüssel, wir wünschen uns eine gute Nacht und ich begebe mich auf die Weltreise um das Münster herum. Die Toilette, die wir nutzen dürfen, befindet sich auf der anderen Seite des Münsters, daher müssen wir abends und nachts einmal komplett ums Münster herumlaufen. Es sind noch einige Menschen unterwegs, hauptsächlich junge, hoffentlich sind nicht alle auf dem Weg, um sich zu betrinken. Das könnte nachts für Ärger im Camp sorgen.

Bettfertig schnappe ich meinen Rucksack, um das dunkle Zelt zu beziehen. Mein Schlafsack liegt noch drin, allerdings nicht genug bequeme Unterlagen, also begebe ich mich ins Materialzelt, um etwas Weiches zu finden, und werde bei zwei Liegestuhlpolstern fündig.

Mit der Stirnlampe habe ich beide Hände frei, um mich im Zelt einzurichten. Auf dem Zeltboden liegt eine Picknickdecke, die isoliert ein wenig. Ich lege die beiden Polster nebeneinander und eine Luftmatratze obendrauf. Probeliegen: Bequemer als ich dachte.

Mittlerweile schnarcht eine*r der beiden und ich muss darüber schmunzeln. Ich ziehe meinen Schlafanzug an und robbe in den Schlafsack, platziere mein Kissen, stecke das Handy neben das Pfefferspray in ein Zeltfach und ziehe das Kuscheltier zu mir in den Schlafsack.

Für einen Wochentag ist es heute vergleichsweise laut, aber niemand scheint in der Nähe des Klimacamps zu sein. Ich bin fast am Einschlafen, da holt mich der Glockenschlag zur halben Stunde wieder ins Bewusstsein. Ein paar Mal wälze ich mich noch umher, bis ich letztlich auf dem Bauch im Schlaf versinke.

Irgendetwas weckt mich, ich brauche einen Moment, um zu realisieren, dass ich im Zelt und nicht Zuhause im Bett bin, obwohl sich das Klimacamp schon ein bisschen wie Zuhause anfühlt, so viel Zeit und so viele Nächte, wie ich hier schon verbracht habe. Ich versuche herauszufinden, wovon ich wach geworden bin und führe es auf den leichten Regen zurück, der scheinbar gerade begonnen hat; dann schlummere wieder ein.

Etwas später wache ich erneut auf, aber dieses Mal weiß ich sofort, weshalb. Ich muss pinkeln. Für einen verzweifelten Moment versuche ich einfach weiterzuschlafen. Doch leider vergeblich, die Blase hat gewonnen. Resigniert bereite ich mich innerlich darauf vor, mein warmes Nest zu verlassen. Umständlich, mit dem Ziel möglichst wenig nackte Haut mit der kalten Luft in Kontakt zu bringen, aber wenig erfolgreich, ziehe ich mir etwas an, bei dem die Wahrscheinlichkeit deutlich geringer ist, auf dem Weg zum Klo von fremden Typen belästigt zu werden.

Ich öffne den Reißverschluss, klettere aus dem Zelt und versuche in meine Schuhe zu schlüpfen, ich kippe fast um, da ich nicht aufrecht stehen kann um und muss mich an einer Zeltstange festhalten. Hätte ich gestern Abend keine zwei Tassen Tee getrunken, denke ich mürrisch und befreie mich von dem Außenzelt. Die Kälte ist deutlich spürbar, ich eile in die Küche, um den Schlüssel zu holen und laufe zügig um das Münster herum. Sind nachts die komischsten Gestalten unterwegs oder wirken sie nachts nur am komischsten?

Wieder im Zelt angekommen schaue ich aufs Smartphone: 3:43 Uhr. In Zwei Minuten klingelt die Glocke, perfektes Timing. Ich schmeiße mich wieder in den Schlafsack und bin kurze Zeit später auch schon wieder weg.

Morgens höre ich Schritte, es scheint als wäre die Frühschicht schon länger da. A. und An. sind wohl schon länger gegangen.

Solange, wie ich es mit meinem Gewissen vereinen kann, bleibe ich noch im Schlafsack liegen. Ich setze mich im Schlafsack auf und öffne ihn ganz langsam, um mich Stück für Stück an die Kälte zu gewöhnen. Sobald es möglich ist, tausche ich das Schlafanzugoberteil gegen einen dicken Pulli. Die Hose muss ich im Liegen anziehen, da man im Zelt nicht stehen kann.

Die Sonne blendet mich, als ich den Reißverschluss öffne. Ich schlurfe in Richtung Küche und werde mit einem strahlenden „Guten Morgen!!“ begrüßt, als Antwort kommt nur ein „Mmmrmmh“.

Wenn Du wissen möchtest, wie sich ein Tag im Klimacamp anfühlen kann, dann lies dir doch auch den Part 1 von Eileen durch, oder noch besser: Besuche uns im Klimacamp.

Text: Mau von der Klimacamp-Redaktion, Bilder: pw

Nächste Veranstaltungen:
– Plenum am Dienstag, 12.10., um 17 Uhr im Klimacamp
– Sonntagnachmittag, 17.10., ein Workshop von Craddle to Craddle im KC