Der Klimacamp-Blog (11): Das muss jetzt passieren – Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)

Nach der Bundestagswahl stellt sich drängender denn je die Frage, wie sich bis 2035 ein klimaneutrales Energiesystem verwirklichen lässt. Eine Studie des Wuppertal Instituts für Fridays for Future weist den Weg: In ihr werden verschiedene andere Studien verglichen, die Klimaneutralität bis 2050 anstreben, und untersucht, wie sich dieses Ziel bereits 2035 erreichen lässt.

Los geht die Umstellung mit der klaren Ansage: Klimaneutralität bis 2035. Die ist wichtig, damit sich sowohl die Industrie als auch die Bürger:innen darauf einstellen können und Planungssicherheit haben. Generell gilt: Transparenz und klare Ansagen sind Trumpf. Neben einem Aktionsplan mit Reduktionsmaßnahmen sollte es auch bereits von Anfang an einen Reaktionsplan geben, der beschreibt, was passiert, wenn der Aktionsplan nicht reicht. Das beschleunigt den Prozess ungemein, schafft Klarheit und erhöhte Planungssicherheit.

Was heißt das ganz konkret?

Ölheizungen laufen im Schnitt 20 Jahre, Gasheizungen zwischen 15 und 20 Jahre. Der Abgleich mit den verbleibenden 14 Jahren zeigt schon, da kommen Schwierigkeiten auf uns zu. Keine unüberwindbaren, aber klar ist: Eigentlich sollten wir keine weiteren fossilen Heizungen einbauen. Momentan sind jedoch fast 80% aller neu eingebauten Heizungen fossil, wobei neue Gasheizungen mit 2/3 aller neuen Heizungen dabei den Löwenanteil einnehmen. Aus diesen Zahlen lässt sich jetzt schon ableiten, eigentlich sollten wir beides so schnell wie möglich verbieten.

Autos mit Verbrennungsmotoren laufen im Schnitt 12 Jahre, davon neun in Deutschland. Eigentlich sollten wir um 2035 auch weltweit klimaneutral sein. Der Export von Verbrennungsmotoren bringt uns nicht wirklich weiter im Klimaschutz, also ziehen wir mal die 12 Jahre von 2035 ab und kommen dann auf ein Verbot von Neuzulassungen mit Verbrennungsmotoren ab 2023. Manchmal hört man in der Debatte 2025, das würde wahrscheinlich auch noch irgendwie klappen, bringt uns aber wieder mal etwas mehr in die Enge. Viel diskutierte E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, das heißt Sprit, der aus CO2 hergestellt wird und in der Verbrennung damit klimaneutral wäre, sind für den Autoverkehr in Deutschland Blödsinn. Synthetische Kraftstoffe verbrauchen etwa sechsmal so viel Energie wie ein Elektroauto. Und beim Antrieb mit Wasserstoff ist der Energieverbrauch immer noch viermal so hoch. Im Vorfeld der Bundestagswahl war auf manchen Plakaten zu lesen, Wasserstoff statt E-Autos, weil sich 90% der Weltbevölkerung kein E-Auto leisten können. Diese Aussage ist in etwa so sinnvoll, wie hungernden Menschen, die kein Brot haben, zu raten, sie sollten doch Kuchen essen.

Nächste Ableitung aus der Zahl 2035 ist der Ausbau an erneuerbaren Energien. Um hier durchzublicken, vorher noch eine Erklärung. Unser Stromverbrauch wird im Zuge der Energiewende deutlich steigen. Fast alle Prozesse, die heute mit Kohle, Öl und Gas laufen, werden in Zukunft mit Strom betrieben werden. Diesen Prozess nennt man Sektorkopplung. Wie sehr der Energieverbrauch steigen wird, hängt davon ab, wie sehr unser Gesamtenergieverbrauch sinkt. Also wie sehr wir Energieeinsparmaßnahmen wie effizientere Technik, gedämmte Häuser und eine Umstellung des Verkehrs auf öffentlichen Verkehr einsetzen und wie sehr diese Energieeinsparmaßnahmen durch ein Mehr an Produktion und Konsum wieder ausgeglichen werden. In der Studie des Wuppertal Instituts werden verschiedene Szenarien verglichen, die von einer Reduktion des Gesamtenergieverbrauchs zwischen einem und zwei Dritteln schwanken.

In der Folge schwankt je nach Szenario der Stromverbrauch – als Faustformel kann man jedoch sagen, dass er sich grob verdoppeln wird. Plus minus. Würden wir einfach den gesamten heutigen Verbrauch an fossilen Energieträgern (Kohle, Öl – inkl. Diesel, Benzin, Kerosin –, Gas) auf synthetische erzeugte Kraftstoffe umstellen, würde sich unser Stromverbrauch vervierfachen. In 14 Jahren viermal so viel Strom zu erzeugen wie heute ist wahrscheinlich nicht möglich und unglaublich teuer. Es braucht also eine Gesamtbetrachtung des Energiesystems und effiziente Lösungen. Hier gilt auch noch: Wir haben nur noch sehr wenig Zeit, um klimaneutral zu werden. Jede Energie, die wir nicht verbrauchen, und daher auch nicht in erneuerbarer Weise erzeugen müssen, hilft. Anders gesagt: Suffizienz ist Trumpf.

Grafik von Volker Quaschning. Zusätzlicher Strombedarf aufgrund von Sektorkopplung.

That being said: Momentan (Durchschnitt 2018 und 2019) bauen wir in Deutschland pro Jahr etwa 3,5 GW an PV (Gigawatt, Einheit zur Messung der Leistung, definiert als Energie pro Sekunde), 1,1 GW an Offshore Windkraft, das heißt Windkraft im Meer, und 1,7 GW Windkraft auf dem Land. Geplant ist etwas mehr, das klappt aber nicht wegen der zahlreichen bürokratischen Hürden. Nötig wäre je nach Szenario etwa sechsmal so viel. In der Grafik ist das nochmal aufbereitet. „Momentan“ steht hier für die kurz vor der Wahl erhöhten Ausbauziele. Als Beobachter fragt man sich bei der Betrachtung schon etwas ratlos, warum bei der Erhöhung der Ausbauziele genau diese Zahlen gewählt wurden. Notwendig erscheint das nicht.

Die Zahlen liegen also vor, jetzt ist die Frage: Wie schaffen wir das. Oder: Schaffen wir das überhaupt? Die Kurzantwort ist „ja“, die längere Antwort „immer noch“, aber mit der Zusatzbedingungen: Wenn wir noch länger warten, wird‘s sehr schwer. Nachdem die Solarbranche vom deutschen Staat mit zwei EEG- (Erneuerbare-Energien-Gesetz-) Reformen zwischen 2009 und 2014 zerschlagen wurde, steht nun die Windkraft am Abgrund. Lange Jahre hatte sie sich noch wacker gegen energiewendefeindliche Kräfte aus der Politik gewehrt, doch vom langen Kampf mit Ausschreibungspflichten und Mindestabstand geschwächt meldeten letztes Jahr einige Windradhersteller Insolvenz an. Nicht mehr lange, und dann gibt es weder PV- noch Windradproduktion in Deutschland.

Man mag übrigens von Windrädern in seiner Nähe halten, was man will. Dass in Nordrhein-Westfalen aber Kohletagebau und Kohlekraftwerke näher an Siedlungen heranrücken dürfen als Windräder, zeigt ganz gut, wo wir stehen und wie viel Klimaschutz mit Laschet als Kanzler zu erwarten wäre. Eine umfassende Bürger*innenbeteiligung beim Bau von Windrädern ist natürlich trotzdem eine gute Idee.

Aber zurück zum EE-Ausbau. Was braucht es an Maßnahmen? Eine grundlegende Reform des EEG wäre ein guter Anfang. Denkbar wäre aber auch eine Abschaffung des EEG in Kombination mit einem angemessenen CO2-Preis, wie bereits im Klimacamp Blog 6 beschrieben. Da es unwahrscheinlich erscheint, dass die nötigen Investitionen nur von privater Seite aus getätigt werden, wäre es auch denkbar, eine staatliche Energiegesellschaft, die den EE-Ausbau vorantreibt, zu gründen oder kommunale Energiegesellschaften bei dieser Aufgabe zu unterstützen.

Text: Manuel, die Abbildungen wurden uns vom Klimacamp zur Verfügung gestellt.