Ausflüge gegen das Vergessen (5): Zum Naturfreundehaus Markelfingen im Gedenken an Heinrich Weber
Dass Ostern 1928 das erste Naturfreundehaus in Markelfingen eingeweiht werden konnte, ist vor allem der Initiative von Heinrich Weber (1885-1944) zu danken. Dort erinnert seit 1988 eine Gedenkstele an den Singener Sozialdemokraten, der nach dem Hitler-Attentat im Rahmen der „Aktion Gitter“ im August 1944 verhaftet wurde und im KZ Mauthausen den unmenschlichen Haftbedingungen erlag.
Ein Naturfreundehaus für Markelfingen
Als sozialdemokratische Gegenorganisation der ArbeiterInnenbewegung zum bürgerlich elitären Alpenverein gegründet, war es das Ziel der Naturfreunde-Bewegung, den arbeitenden Menschen den Zugang zur Natur zu erschließen und Möglichkeiten zu eröffnen, die Freizeit sinnvoll zu gestalten.
Seit 1921 hatten sich die NaturfreundInnen der Ortsgruppen Konstanz und Singen um den Erwerb eines Grundstücks bemüht, um am Ufer des Bodensees ein Naturfreundehaus zu errichten. Es ist vor allem das Verdienst von Heinrich Weber – leidenschaftlicher Wanderer und Vorsitzender der Singener Naturfreunde von 1923 bis zu ihrem Verbot 1933 –, dass der Ankauf des Seegrundstücks bei Markelfingen schließlich gelang. Welche Widerstände, vor allem von klerikaler Seite, dafür ausgeräumt werden mussten, hat Manfred Bosch 1983 im Konstanzer Stadtmagazin „Nebelhorn“ beschrieben.
Als das Naturfreundehaus errichtet war, nahmen an Ostern 1928 über 3000 TeilnehmerInnen aus ganz Baden, aber auch aus der benachbarten Schweiz, an der Einweihung teil. Der Singener Arbeiterdichter Max Porzig verfasste zu diesem Anlass ein Gedicht:
Genossin! Genossen! — Seid herzlich willkommen!
Wir sind der Enge der Städte entfloh’n!
Wir haben vom Alltag Abschied genommen,
Vergessen Fabrik und drückende Fron —
Nun hat uns die Freude in ihrem Bann
Und der Stolz, dass das herrliche Werk gelungen,
Dass Junge und Mädel und Weib und Mann
Doch schließlich die Tücke des Gegners bezwungen!
Hier sind wir als Freie auf freiem Grund,
Sind Brüder und Schwestern im Weg und im Ziel!
Uns alle umschließt ja ein herrlicher Bund,
vereinigt im Kampf uns, beim Wandern, beim Spiel!
Es grüßen die Berge, es lockt der See,
Der Wald und das Feld, die blumige Au,
Die Dörfer und Städte, die sonnige Höh‘ —
Und alles zu eigen — dir Mann, und dir Frau!
Die Freude währte allerdings nicht lang, denn „zu eigen“ war das Gelände den NaturfreundInnen – unter ihnen auch Georg Elser, der seit 1926 aktiv bei den Konstanzer Naturfreunden war – gerade mal fünf Jahre lang. Einen Tag, nachdem am 27. Februar 1933 in Berlin der Reichstag in Flammen aufging, erließen die Nazis die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat“: Sie bot die gesetzliche Grundlage für die Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung. Wenig später wurde die Naturfreunde, wie viele andere Organisationen, Parteien und Vereine auch, als „marxistische Organisation“ verboten. Das Vereinsvermögen und alle Naturfreundehäuser fielen entschädigungslos an das Land Baden.
Während der Nazi-Zeit wurde das Haus vom Jugendherbergsverband verwaltet. In dieser Zeit fanden dort unter anderem Schulungs- und Sommerlager des Bundes Deutscher Mädel (BDM) und der Hitlerjugend (HJ) statt. Wohingegen sich die NaturfreundInnen nach dem Verbot nur noch heimlich zu ihren sonntäglichen Wanderungen treffen konnten.
Das Heinrich-Weber-Mahnmal
Heinrich Weber, der als Vater dieses Hauses gilt, war einer der namhaftesten Vertreter der Singener SPD, die er von 1920 bis 1933 im Bürgerausschuss vertrat. Er war Mitglied des Konstanzer Schöffengerichts und zeitweise Vorsitzender der Gewerkschaft der Heizer und Maschinisten. Kurz: Heinrich Weber gehörte zu jener besonders gefährdeten Gruppe von Frauen und Männern, die stets befürchten mussten, von den Nazis in „Schutzhaft“ genommen zu werden.
Max Porzig hat die Verhaftungswelle nach dem Stauffenberg-Attentat auf Hitler so beschrieben: „Wieder einmal ging in Singen das noch unbestätigte Gerücht, dass in der Hegaustadt eine Verschwörung gegen die Hitlerei entdeckt sei und dass Massenverhaftungen zu erwarten oder schon vollzogen worden seien. Das war am 22. August 1944. Wen wird das Los der Gefangenschaft treffen? Bist Du es selber? So frug sich mancher, der im Geruch der Gegenerschaft gegen das Naziregime stand.”
Max Porzigs Sorge war nicht unbegründet: Noch am selben Tag wurden er und viele andere Singener – „Sozialdemokraten und Kommunisten in brüderlicher Gemeinschaft“, aber auch einige Zentrumsleute – verhaftet, darunter auch Heinrich Weber. „Es waren 16 Mann, welche die Fahrt nach dem Konzentrationslager Natzweiler antraten. Sieben Mann davon fuhren mit einigen anderen Schicksalsgenossen aus Radolfzell, Konstanz, Tiengen, Stockach, Lörrach usw. am 24. September 1944 in die Hegaustadt zurück. Die übrigen mit uns Verhafteten mussten noch in Dachau, Mauthausen oder Allach usw. verbleiben. […] Heinrich Weber verstarb am 25. September in Mauthausen. Fritz Vallendor später in Dachau.“
Im Jahr 1988 wurde für Heinrich Weber direkt neben dem Naturfreundehaus in Markelfingen eine Gedenkstele errichtet. Das vom Karlsruher Bildhauer und Naturfreund Gerhard Huber geschaffene Mahnmal besteht aus zwei Dreiecken, die an die „roten Winkel“ erinnern sollen, die politische KZ-Häftlinge tragen mussten.
Sabine Bade (Text und Fotos, Foto Heinrich Weber: Stadtarchiv Singen)
Vertiefende Informationen:
Bosch, Manfred: Vor 80 Jahren: Die Zerschlagung der Arbeiterbewegung am Beispiel der Naturfreunde. In: „Nebelhorn” Nr. 23, 1983
Porzig, Max: Schulung – Tatsachenbericht aus den Konzentrationslagern, neu herausgegeben von der Singener Geschichtswerkstatt, Singen 1994
Geschichtswerkstatt Singen: „Seid letztmals gegrüßt“ – Biografische Skizzen und Materialien zu den Opfern des Nationalsozialismus in Singen, Singen 2005
In unserer Artikel-Reihe “Ausflüge gegen das Vergessen” erschien bisher:
• Widerständiges Bregenz (1)
• Die Tötungsanstalt Schloss Grafeneck (2)
• Auf den Spuren Paul Grüningers in Diepoldsau (3)
• Das KZ Spaichingen (4)
• Zum Naturfreundehaus Markelfingen im Gedenken an Heinrich Weber (5)
• Orte jüdischen Lebens in Gailingen (6)
• Das Ulmer Erinnerungszeichen zu Zwangssterilisation und “Euthanasie” (7)
• Die KZ-Gedenkstätte im Eckerwald (8)
• Endstation Feldkirch (9)
• Zum Mahnmal der Grauen Busse in die ehemalige Heilanstalt Weißenau (10)
• Das KZ Radolfzell (11)
• Opfergedenken und Tätererinnerung in Waldkirch (12)
• Das KZ Überlingen (13)
• Die Stuttgarter Gedenkstätte für Lilo Herrmann (14)
• Die Gedenkstätte für nach Auschwitz deportierte Sinti aus dem Ravensburger Ummenwinkel (15)
• Das KZ Bisingen (16)
• Freiburger Erinnerungsstätten an die Oktoberdeportation 1940 (17)
• Nach Riedheim und Singen im Gedenken an Max Maddalena (18)
• Auf den Heuberg (19)
• Zum Grab der Widerstandskämpferin Hilde Meisel nach Feldkirch (20)
• Das „Gräberfeld X“ in Tübingen (21)
• Das KZ Hailfingen-Tailfingen (22)
• Die andere Mainau (23)
• Die ehemalige „Heilanstalt Zwiefalten (24)
• Das KZ Oberer Kuhberg in Ulm (25)
• Die Gedenkstätte für jüdische Flüchtlinge in Riehen (26)
• Der Stuttgarter Deportationsbahnhof (27)
• Das jüdische Hohenems (28)
• Das Frauen-KZ in Geislingen an der Steige (29)
• Im Gedenken an Jura Soyfer und andere Verfolgte des NS-Regimes nach Gargellen (30)
• Die Gedenkstele für Ernst Prodolliet in seinem Heimatort Amriswil (31)
• Das St. Josefshaus in Herten/Rheinfelden (32)
• Das KZ Natzweiler-Struthof (33)
• Die Gedenkstele für ZwangsarbeiterInnen in Lindau (34)
• Das KZ Echterdingen (35)