Ausflüge gegen das Vergessen (18): Nach Riedheim und Singen im Gedenken an Max Maddalena

Das Gedenken an den von der NS-Justiz zu lebenslänglicher Zuchthaushaft verurteilten und danach schleichend hingerichteten Gewerkschafter und Reichstagsabgeordneten Max Maddalena wird nicht nur vor dem Berliner Reichstag wachgehalten. Seit dem Jahr 2009 erinnert auch seine Heimatgemeinde Hilzingen-Riedheim mit einer Gedenkstätte an ihn.

Wenn Gewerkschaftsarbeit zum Hochverrat wird …

Schon als Lehrling bei den Singener Fittingwerken Georg Fischer AG trat Max Maddalena (1895–1943) dem Deutschen Metallarbeiterverband DMV bei. Ab 1913 war er Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, nach dem Ersten Weltkrieg – an dem er als Freiwilliger teilnahm, mehrfach schwer verletzt und hochdekoriert wurde – zunächst Mitglied der USPD, dann der Kommunistischen Partei Deutschlands. Sein politisches Aufgabengebiet war und blieb die Gewerkschaftsarbeit: als Betriebsratsvorsitzender in den Aluminiumwalzwerken, als Bevollmächtigter des DMV für das Gebiet Singen-Konstanz und als Streikführer in den Metallbetrieben der Region. Seine steile politische Karriere als Arbeiterführer und Gewerkschaftsfunktionär führte ihn nach der Übernahme von Aufgaben in Stuttgart und Hamburg in den Berliner Reichstag, dem er ab Mai 1928 als Abgeordneter der KPD angehörte.

Aber immer, wenn er seine Familie in Singen besuchte, so berichtet Käte Weick in ihren Erinnerungen, wurde dort zu einer öffentlichen Versammlung mit Max Maddalena als Redner eingeladen. So hielt er auch auf der Kundgebung zum 1. Mai 1930 in Singen vor etwa 10.000 TeilnehmerInnen die Hauptrede.

Gedenktafel für Max Maddalena

Im Juni 1932 wurde Max Maddalena nach Moskau zur Revolutionären Gewerkschaftsinternationale (RGI) entsandt, wo er als Referent für die Gewerkschaftsbewegungen tätig war. So entging er – im Gegensatz zu den allermeisten Mitgliedern der KPD-Reichstagsfraktion – der Verhaftungswelle, mit der die Nationalsozialisten bereits im März 1933 jegliche Opposition ausschalteten.

Zwei Jahre später wurde auch Max Maddalena verhaftet. Mit dem Auftrag des Politbüros der KPD, eine neue, nun illegale, Landesleitung der Partei zu bilden, war er mit zwei weiteren Genossen Mitte März 1935 nach Berlin gekommen und wenige Tage später von der Gestapo verhaftet worden. Fortwährenden Verhören und Folterungen ausgesetzt, schrieb er vor seinem Prozess in einem Brief an seine Mutter und Freunde in Singen: „Ich werde […] das Urteil als Mann ertragen in dem Bewusstsein, dass all mein Streben ja nur darauf gerichtet war, den schaffenden Menschen und vor allem der deutschen Arbeiterschaft zu helfen, ihre Lage zu verbessern. Dieses Bewusstsein – nicht aus Egoismus oder Ehrgeiz – fünfundzwanzig Jahre in der Arbeiterbewegung gestanden und mich eingesetzt zu haben für das Wohl des schaffenden Volkes, gibt mir die Kraft dazu.“

Einen Monat später verurteilte ihn der NS-Volksgerichtshof am 4. Juni 1937 nach dreitägiger Verhandlung – von der seine Anwälte ausgeschlossen wurden – wegen „Vorbereitung zum Hochverrat unter erschwerenden Umständen“ zu lebenslänglicher Haft. Zu verbüßen im berüchtigten Zuchthaus Brandenburg-Görden. Dort waren überwiegend politische Gefangene, auch viele kommunistische Funktionäre, unter barbarischen Bedingungen inhaftiert. Mangelernährung, harte Arbeit, Misshandlungen und unterlassene medizinische Behandlung führten am 22. Oktober 1943 zu Max Maddalenas Tod.

… und Gedenken daran schwer errungen werden muss

Nach dem Ende des Nazi-Regimes wurden in Singen auf Veranlassung des damaligen französischen Besatzungskommandanten einige Straßen zum Gedenken an Opfer der NS-Gewaltherrschaft benannt. So hieß die Harsenstraße in der Nordstadt – vor 1933 das „rote Viertel“ Singens, in der neben ihm auch viele andere AntifaschistInnen wohnten – ab 1947 Max-Maddalena-Straße. Aber nur bis zum Jahr 1959, als Josef Schüttler (CDU), später Arbeitsminister von Baden-Württemberg im Kabinett Kurt-Georg Kiesingers, die Umbenennung im Singener Gemeinderat durchsetzte. Maddalena war schließlich Kommunist.

Der Gedenkstein auf dem Singener Waldfriedhof

So erinnerte an den von den Nazis ermordeten demokratisch gewählten Reichstagsabgeordneten jahrzehntelang lediglich der im Mai 1950 aufgestellte Gedenkstein auf dem Singener Waldfriedhof: Der Granitblock aus dem Hochschwarzwald trägt die Namen der damals bekannten Singener Opfer des Faschismus.

In Singen wurde noch im Jahr 2006 heftig darüber gestritten, ob nochmals eine Straße nach ihm benannt werden solle. Da ehrte bereits seit vierzehn Jahren eine Gedenkstätte vor dem Berliner Reichstag Max Maddalena als einen der 96 von den Nationalsozialisten ermordeten Reichstagsabgeordneten. „Zeit für ideologischen Frieden“ titelte damals das Singener Wochenblatt und zeigte auf, wie sich an ihm, dem kommunistischen Gewerkschafter, im Hegau noch immer die Geister schieden.

Als drei Jahre später in seiner Heimatgemeinde Hilzingen-Riedheim der Gedenkstein für ihn aufgestellt wurde, war der ideologische Friede bereits eingezogen. Die Ortschaftsräte hatten sich einmütig für die Gedenkstätte ausgesprochen und konzidierten, dass Maddalena als demokratisch gewählter Abgeordneter sicher ein hohes Maß an Zustimmung in der Bevölkerung genossen habe – immerhin hatte die KPD in der Weimarer Republik bei Wahlen bis zu 30 Prozent aller Stimmen erlangt.

Auch Singen hat, wenn auch nicht an alter Stelle, längst wieder eine (allerdings sehr kurze) Max-Maddalena-Straße am nördlichen Stadtrand. Und vor dem Gewerkschaftshaus in der Schwarzwaldstraße wurde im Jahr 2011 ein Stolperstein für ihn verlegt. Der übrigens mal wieder geputzt werden sollte, um noch erkennen zu können, wem er gewidmet ist.

Sabine Bade (Text und Fotos)


Vertiefende Informationen:

 „Zeit für ideologischen Frieden, Singener Wochenblatt vom 3. Mai 2006
Landeskundliches Informationssystem Ba-Wü: Max Maddalena
Denkmal zur Erinnerung an 96 von den Nationalsozialisten ermordete Reichstagsabgeordnete
Geschichtswerkstatt Singen: „Seid letztmals gegrüßt“ – Biografische Skizzen und Materialien zu den Opfern des Nationalsozialismus in Singen, Singen 2005
Käte Weick: „Widerstand und Verfolgung in Singen und Umgebung“, Stuttgart 1982

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In unserer Artikel-Reihe “Ausflüge gegen das Vergessen” erschien bisher:
Widerständiges Bregenz (1)
Die Tötungsanstalt Schloss Grafeneck (2)
Auf den Spuren Paul Grüningers in Diepoldsau (3)
Das KZ Spaichingen (4)
Zum Naturfreundehaus Markelfingen im Gedenken an Heinrich Weber (5)
Orte jüdischen Lebens in Gailingen (6)
Das Ulmer Erinnerungszeichen zu Zwangssterilisation und “Euthanasie” (7)
Die KZ-Gedenkstätte im Eckerwald (8)
Endstation Feldkirch (9)
Zum Mahnmal der Grauen Busse in die ehemalige Heilanstalt Weißenau (10)
Das KZ Radolfzell (11)
Opfergedenken und Tätererinnerung in Waldkirch (12)
Das KZ Überlingen (13)
Die Stuttgarter Gedenkstätte für Lilo Herrmann (14)
Die Gedenkstätte für nach Auschwitz deportierte Sinti aus dem Ravensburger Ummenwinkel (15)
Das KZ Bisingen (16)
Freiburger Erinnerungsstätten an die Oktoberdeportation 1940 (17)
Nach Riedheim und Singen im Gedenken an Max Maddalena (18)
Auf den Heuberg (19)
Zum Grab der Widerstandskämpferin Hilde Meisel nach Feldkirch (20)
Das „Gräberfeld X“ in Tübingen (21)
Das KZ Hailfingen-Tailfingen (22)
Die andere Mainau (23)
Die ehemalige „Heilanstalt Zwiefalten (24)
Das KZ Oberer Kuhberg in Ulm (25)
Die Gedenkstätte für jüdische Flüchtlinge in Riehen (26)
Der Stuttgarter Deportationsbahnhof (27)
Das jüdische Hohenems (28)
Das Frauen-KZ in Geislingen an der Steige (29)
Im Gedenken an Jura Soyfer und andere Verfolgte des NS-Regimes nach Gargellen (30)
Die Gedenkstele für Ernst Prodolliet in seinem Heimatort Amriswil (31)
Das St. Josefshaus in Herten/Rheinfelden (32)
Das KZ Natzweiler-Struthof (33)
Die Gedenkstele für ZwangsarbeiterInnen in Lindau (34)
Das KZ Echterdingen (35)