Ausflüge gegen das Vergessen (20): Zum Grab der Widerstandskämpferin Hilde Meisel nach Feldkirch
Hilde Meisel ist eine der vielen – heute weitgehend in Vergessenheit geratenen – Frauen, die ihr Leben ganz dem Kampf gegen das Nazi-Regime verschrieben hatten. Sie wurde am 17. April 1945 in Feldkirch-Tisis bei dem Versuch, in geheimer Mission über Liechtenstein in die Schweiz zu gelangen, von Grenzbeamten erschossen. Ihr schlichter Grabstein trägt einen der von ihr im Widerstand verwendeten Decknamen und die Inschrift: „Sie lebte und starb im Dienste der sozialistischen Idee“.
Leben im Dienst der sozialistischen Idee
Was von dem kurzen Leben der Hilde Meisel (1914–1945) bekannt ist, gibt der Inschrift recht: Sie leistete Kurierdienste, schmuggelte Literatur und Informationen nach und aus Deutschland, half verfolgten Menschen bei der Flucht, schrieb mehrere Bücher und unterstützte alliierte Geheimdienste im Kampf gegen die Nazis.
Hilde Meisel wurde am 31. Juli 1914 in Wien geboren. Bereits ein Jahr später zog ihre assimilierte bürgerlich-jüdische Familie von Wien nach Berlin, wo Hilde bereits im Alter von 15 Jahren dem „Internationalen Sozialistischen Kampfbund“ (ISK) beitrat. Von ausgeschlossenen SPD-Mitgliedern 1925 gegründet, war diese Gruppierung während der Weimarer Republik aktiv im Kampf gegen den Nationalsozialismus. So veröffentlichte der ISK zur Reichstagswahl von Juli 1932 den „Dringenden Appell“, in dem zum Zusammengehen von SPD und KPD aufgerufen wurde. Unterzeichnet hatten ihn unter anderem Käthe Kollwitz, Erich Kästner, Heinrich Mann, Ernst Toller, Arnold Zweig und Albert Einstein.
Hilde Meisel war 1932 für das ISK-Organ „Der Funke“ als Korrespondentin in Paris tätig; sie schrieb unter anderem Artikel über die ökonomischen Probleme Frankreichs, Englands und Spaniens. Als die Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 erfolgte, befand sie sich zu einem Studienaufenthalt an der „London School of Economics“. Sie blieb in England, konnte aber als Studentin noch lange unauffällig zwischen London und Berlin pendeln. So pflegte sie weiterhin intensiven Kontakt zu politischen FreundInnen, leistete Kurierdienste, schmuggelte Literatur und Informationen nach und aus Deutschland und half verfolgten Menschen bei der Flucht. 1938 beteiligte sie sich intensiv an der Rettungsaktion für den Strafverteidiger Hans Litten, einen engen Freund ihrer Schwester Margot. Litten, der vor 1933 viele ArbeiterInnen vor Gericht vertrat und mit seiner Prozessführung in spektakulären Prozessen versuchte, die Planmäßigkeit der NS-Gewalt aufzuzeigen, war am 28. Februar 1933 in „Schutzhaft” genommen und in mehreren Konzentrationslagern fürchterlichen Folterungen unterzogen worden. Es gelang Hilde Meisel, dass am 26. Januar 1938 im „Manchester Guardian“ ihr Solidaritätsaufruf unter dem Titel „The Tragic Case of Hans Litten“ veröffentlicht wurde. Aber alle Interventionen blieben erfolglos: Am 5. Februar 1938 erhängte sich Hans Litten – um weiteren Folterungen zu entgehen – im KZ Dachau.
Im selben Jahr ging Hilde Meisel, um die britische Staatsangehörigkeit zu erlangen, eine Scheinehe mit John Olday ein, verwendete aber auch danach meist ihr Pseudonym Hilda Monte. Unter diesem Namen veröffentlichte sie zusammen mit Fritz Eberhard – nach dem Krieg zunächst Mitglied des Landtags von Württemberg-Baden, von 1949 bis 1958 Intendant des Süddeutschen Rundfunks – mehrere Bücher (unter anderem 1940 „How to conquer Hitler“), hielt Vorträge und verfasste Zeitungs- und für deutsche HörerInnen ausgestrahlte Radiobeiträge. Dabei gehörte ihr Hauptinteresse der Frage, wie Deutschland nach einer Niederlage des Nationalsozialismus human und gerecht wiedererrichtet und die Fehler der Weimarer Republik verhindert werden könnten.
Endstation Feldkirch
Mitte 1944 wurde Hilde Meisel vom US-amerikanischen Geheimdienst „Office for Strategie Services“ (OSS) angeworben und in der Nähe von London für Einsätze zur Unterstützung des innerdeutschen Widerstandes ausgebildet. Eine britische Militärmaschine setzte sie auf französischem Gebiet in der Nähe von Genf ab. Kontaktleute brachten sie ins Tessin, von wo aus sie nach weiteren Vorbereitungen vermutlich im Februar 1945 unter dem Decknamen Eva Schneider unbehelligt nach Vorarlberg gelangte. Dort nahm sie auftragsgemäß Kontakte zu Mitgliedern des österreichischen Widerstands auf, um diese über die Vorhaben der Alliierten zu informieren und die Opposition zu stärken. Nach Abschluss ihrer Mission versuchte sie am frühen Morgen des 17. April 1945 im Wald oberhalb von Tisis über Liechtenstein zurück in die Schweiz zu gelangen. Nahe der Grenze wurde sie von Grenzwächtern aufgegriffen und beim Versuch zu fliehen angeschossen. Wenig später erlag Hilde Meisel wegen starken Blutverlustes ihren Verletzungen. Wie für so viele andere Opfer der Nazi-Diktatur wurde auch für sie der Grenzort Feldkirch zum Schicksalsort.
Mit dem Geld, das sie bei sich trug, bezahlte das zuständige Landratsamt die Bestattungskosten auf dem evangelischen Friedhof der Stadt. Ihre wahre Identität wurde erst zwei Jahre später ermittelt. Außer ihrem Grab in Feldkirch erinnert das rund zwanzig Kilometer entfernte Jüdische Museum in Hohenems mit einigen Exponaten an die Jüdin Hilde Meisel.
Seit November 2015 wird sie auch in Bregenz gewürdigt. Sie gehört zu den Frauen und Männern, die mit dem dortigen Widerstands- und Deserteursdenkmal geehrt werden: Früheren Abfahrtstafeln an Bahnhöfen und Flughäfen gleich sind auf der elektronisch gesteuerten Faltblattanzeige in einer Endlosschleife die Namen und Daten von 100 Menschen zu lesen, die stellvertretend für all jene stehen, die sich dem nationalsozialistischen Unrechtsregime entgegengestellt hatten.
MEISEL, HILDE (MONTE–OLDAY)
UNTERGRUNDKAEMPFERIN IM EXIL
1945 IN FELDKIRCH ERSCHOSSEN
Sabine Bade (Text und Fotos)
Vertiefende Informationen:
Angelika Rosina Kuntner: Ein Tod bei Feldkirch. Leben und Werk der Widerstandskämpferin Hilde Monte-Olday (1914-1945), Johann-August-Malin-Gesellschaft 2009
Knut Bergbauer:Den Namenlosen ein Denkmal setzen
Gedenkstätte Deutscher Widerstand: Hilde Meisel
Gedenkstätte Deutscher Widerstand: Hans Litten
Meinrad Pichler: Nationalsozialismus in Vorarlberg. Opfer – Täter – Gegner. Innsbruck 2012
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In unserer Artikel-Reihe “Ausflüge gegen das Vergessen” erschien bisher:
• Widerständiges Bregenz (1)
• Die Tötungsanstalt Schloss Grafeneck (2)
• Auf den Spuren Paul Grüningers in Diepoldsau (3)
• Das KZ Spaichingen (4)
• Zum Naturfreundehaus Markelfingen im Gedenken an Heinrich Weber (5)
• Orte jüdischen Lebens in Gailingen (6)
• Das Ulmer Erinnerungszeichen zu Zwangssterilisation und “Euthanasie” (7)
• Die KZ-Gedenkstätte im Eckerwald (8)
• Endstation Feldkirch (9)
• Zum Mahnmal der Grauen Busse in die ehemalige Heilanstalt Weißenau (10)
• Das KZ Radolfzell (11)
• Opfergedenken und Tätererinnerung in Waldkirch (12)
• Das KZ Überlingen (13)
• Die Stuttgarter Gedenkstätte für Lilo Herrmann (14)
• Die Gedenkstätte für nach Auschwitz deportierte Sinti aus dem Ravensburger Ummenwinkel (15)
• Das KZ Bisingen (16)
• Freiburger Erinnerungsstätten an die Oktoberdeportation 1940 (17)
• Nach Riedheim und Singen im Gedenken an Max Maddalena (18)
• Auf den Heuberg (19)
• Zum Grab der Widerstandskämpferin Hilde Meisel nach Feldkirch (20)
• Das „Gräberfeld X“ in Tübingen (21)
• Das KZ Hailfingen-Tailfingen (22)
• Die andere Mainau (23)
• Die ehemalige „Heilanstalt Zwiefalten (24)
• Das KZ Oberer Kuhberg in Ulm (25)
• Die Gedenkstätte für jüdische Flüchtlinge in Riehen (26)
• Der Stuttgarter Deportationsbahnhof (27)
• Das jüdische Hohenems (28)
• Das Frauen-KZ in Geislingen an der Steige (29)
• Im Gedenken an Jura Soyfer und andere Verfolgte des NS-Regimes nach Gargellen (30)
• Die Gedenkstele für Ernst Prodolliet in seinem Heimatort Amriswil (31)
• Das St. Josefshaus in Herten/Rheinfelden (32)
• Das KZ Natzweiler-Struthof (33)
• Die Gedenkstele für ZwangsarbeiterInnen in Lindau (34)
• Das KZ Echterdingen (35)