Der Klimacamp-Blog (16): Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?

Anspruch und Wirklichkeit klaffen in Sachen Klima bekanntlich weit auseinander. Und einer absurden Regel folgend, werden Klimaziele grundsätzlich nicht klimawissenschaftlich begründet, sondern daran, was scheinbar machbar ist. Machbar ohne radikale Maßnahmen. Um bewerten zu können, wie radikal Klimaschutz sein muss, hat es Sinn, noch einmal zum Anfang zurückzukehren. Warum reden wir immer von der 1,5 Grad-Grenze und was passiert, wenn wir diese Grenze überschreiten?

Bevor wir in die Details springen, ein Punkte vorweg: Es ist nicht möglich, alle Folgen und Effekte der Klimakrise aufzulisten, da es einfach viel zu viele sind. Daher kommt hier nur eine kleine Auswahl, also nicht enttäuscht sein, wenn genau die Folge, die euch die ganze Zeit umtreibt, nicht dabei ist.

Grundsätzlich gilt in der Klimakrise genauso wie in der Coronakrise: Prozesse sind nicht linear. Momentan hat sich die Erde schon um knapp über ein Grad im Vergleich zu vor der industriellen Revolution erhitzt. Die Folgen sind bereits heute spürbar. Allerdings ist es ein Trugschluss zu glauben, dass die Folgen bei der doppelten Erhitzung (also 2 Grad) auch doppelt so stark sind. Die Auswirkungen auf unser Klimasystem nehmen eher exponentiell zu. Um das zu verdeutlichen, hier ein paar Beispiele aus dem Sonderbericht des Weltklimarates:
• Bei 1,5 Grad werden ca. 14 Prozent der Weltbevölkerung mindestens alle fünf Jahre tödlichen Hitzewellen ausgesetzt, bei 2 Grad sind es 37 Prozent. Also 2,6 mal so viele.
• Bei 1,5 Grad verlieren etwa 6 Prozent der Insekten 50 Prozent ihres Verbreitungsgebietes (und drohen damit auszusterben). Bei 2 Grad geschieht das mit 18 Prozent der Insekten, also dreimal so viele.

Zusätzlich zur allgemein exponentiell ansteigenden Verschlimmerung der Folgen kann es auch passieren, dass sich die Risiken relativ plötzlich vervielfachen. Der Weltklimarat gibt dies mit Risikostufen an. Ein paar Beispiele:

In Australien verbrannte vor zwei Jahren in Feuern nicht gekannten Ausmaßes jeder fünfte Baum. In Kalifornien verbrannte letztes Jahr ein Drittel der Fläche von Baden-Württemberg, gefolgt von ähnlich großen Feuern in diesem Jahr. Und auch Südeuropa kämpfte mit ungewöhnlich starken Feuern. Laut einer Risikoanalyse (siehe Grafik) befinden wir uns weltweit mit unseren Erhitzung um 1,1 Grad bei einem „moderaten“ Waldbrandrisiko. Wenn die 1,5 Grad überschritten sind, verlassen wir die „moderat erhöhte“ Gefahr von Waldbränden und schlagen mit einem „hohen“ Waldbrandrisiko ein neues Kapitel von nie bekanntem Ausmaß auf.

Auch der Starkregen dieses Jahres, der zur Flutkatastrophe im Ahrtal führte, passierte bei einem „moderat erhöhtem“ Risiko für Extremwetterereignisse. Zwischen 1,3 und 1,5 Grad weltweiter Erhitzung beginnt auch hier wieder ein „hoch erhöhtes“ Risiko für Verwüstung von nicht gekanntem Ausmaß zu sorgen. Mit einem „hohen“ Risiko für Extremwetterereignisse steigt übrigens auch das Risiko, dass an mehreren weltweiten Haupternteorten im selben Jahr Extremwetterereignisse eintreten. 68 Prozent der globalen Maisernte kommen zum Beispiel aus den vier Ländern USA, China, Brasilien und Argentinien (Michelle Tigchelaar, 2018). Würde nun in einem Jahr an allen Standorten zum Beispiel entweder eine Hitzewellen oder Starkregen auftreten, ginge die Ernte dort stark zurück; das könnte im schlimmsten Fall eine weltweite Hungersnot auslösen. Ein noch theoretisches Ereignis, das mit anrollender Klimakatastrophe jedoch immer wahrscheinlicher wird.

Zusätzlich zu diesen Problemen gilt der allgemeine Zusammenhang: Ökosysteme können sich nur bis zu einer gewissen Schwelle an veränderte Temperaturen anpassen, danach brechen sie relativ abrupt zusammen. Menschliche Systeme sind davon nicht ausgenommen. Bekanntestes Beispiel sind Korallenriffe. Steigt die Wassertemperatur auf über 30 Grad Celsius, stoßen Korallen die mit ihnen in Symbiose lebenden Algen ab. Eine Korallenbleiche beginnt, die –falls die hohen Temperaturen anhalten –zum großflächigen Absterben der Korallenriffe führen. Bereits jetzt sind alle Riffe von regelmäßigen Korallenbleichen betroffen. Bei 1,5 Grad werden bereits 70 bis 90 Prozent der Korallenriffe absterben, bei 2 Grad sind sie faktisch ausgestorben. Korallenriffe beherbergen allerdings 25 Prozent aller Meerestierarten und bieten eine Heimat für Millionen Menschen. Ein Aussterben der Korallenriffe wird also große Folgen haben.

Wie bereits erwähnt, sind Menschen keine Ausnahme: Steigt die Temperatur auf über 30 Grad Celsius bei 20 Prozent Luftfeuchtigkeit, wächst das Risiko für einen Hitzetod rapide an. Überschreitet die Temperatur gar 40 Grad Celsius bei 20 Prozent Luftfeuchtigkeit, stirbt ein Mensch mit hoher Sicherheit innerhalb weniger Stunden an der Luft. Bei einem „weiter so“ wären im Jahr 2100 Dreiviertel der Weltbevölkerung dauerhaft Temperaturen über 30 Grad und 20 Prozent Luftfeuchtigkeit ausgesetzt. Diese Gebiete (siehe Karte) würden damit faktisch unbewohnbar werden.

In rot die Gebiete, die bei einem „weiter so“ gegen Ende des Jahrhunderts alleine aufgrund von Hitze ganzjährig unbewohnbar wären. (Mora, C. et al. Global risk of deadly heat. Nat. Clim. Change 7, 501–506 (2017)

So: Jetzt können wir hier zurückschauen auf die letzten Jahre, diese Zahlen wirken lassen und uns Gedanken über unsere Zukunft machen. Es gibt jedoch ein ganz großes Kapitel, das hier noch nicht angeschnitten wurde und worum es in einem weiteren Artikel gehen wird: Die Organe unseres Klimasystems – Kipppunkte.

Weltklimarat (IPCC): Ab 1,5 Grad steigen die Risiken ins Dunkelrote

Text: Manuel von der Klimacamp-Redaktion
Foto (von der Stoppt-die-zweite-Gaspipeline-Kundgebung am 20. Oktober): pw
Die Grafiken wurden von der Klimacamp-Redaktion zur Verfügung gestellt.