Der Klimacamp-Blog (17): Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?

Wenn ich zurückdenke an die erste Woche im Klimacamp, dann fällt mir erst einmal auf, wie anders das Camp anfangs aussah: viel kleiner, alles war im Aufbau; manches steht heute an anderen Stellen oder existiert gar nicht mehr. Der erste kleine Sturm an Tag drei. Hat uns absolut unerwartet getroffen und einen Scherbenhaufen hinterlassen. Wir haben viel darüber gelernt, wie man sich am besten gegen jedes Wetter wappnet.

Heute kann uns kein Sturm mehr etwas anhaben.
Ähm, also dachten wir zumindest. Der letzte Wind vor wenigen Wochen hat uns nach Monaten der Erfahrung erneut das Klimacamp in einen Haufen Schrott und lauter überforderter Aktivisti verwandelt.

Nun steht dank drei Handwerker:innen ein Leichtbau-Pavillon aus Holz im Camp, der deutlich stabiler ist als die Pavillons aus dünnen Metallstangen. Es sind so viele neue Menschen dazu gekommen, teilweise nur für eine kurze Zeit, andere übernehmen nun regelmäßig Schichten und gehören genau wie die alten Häs:innen zum Camp.

Hundert Tage sind eine lange Zeit, viel ist seither im Klimacamp passiert. Wir haben vermutlich hunderte Gespräche geführt, mit Passant:innen, mit Politiker:innen, mit skeptischen, kritischen und wohlgesonnenen Menschen. Durch verschiedene Demonstrationsformen konnten wir zusätzlich zum Camp die Dringlichkeit eines angemessenen Handelns in der Klimapolitik verdeutlichen.

Sie liegen falsch

Und so hat sich jetzt endlich die Stadt Konstanz mit unseren Forderungen befasst und setzt diese nun um. Der Bundestag und die sich gerade bildende Regierung haben den Ernst der Klimakrise erkannt und sind nun endlich dabei, Klimaschutz sozial gerecht und dennoch schnell genug umzusetzen. Deshalb hat sich das Klimacamp Konstanz dazu entschieden, nach 100 Tagen das Camp abzuba…

Aber halt! Leider sind die beiden letzten Absätze zu schön, um wahr zu sein. Die weiter andauernde politische Handlungsverweigerung zwingt uns dazu, das Camp aufrecht zu erhalten und das trotz nebligem Herbst und dem Winter, der vor dem Campeingang steht.

Der Oberbürgermeister Uli Burchardt und der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Jung gehen wohl davon aus, dass es ausreichend war, in den ersten Wochen ein Gespräch mit uns zu führen und dass damit ihre Verantwortung in Sachen Klimaschutz erfüllt wäre. Doch damit liegen sie falsch.

Bis 2035 vergehen noch viele Hundert-Tage-Jubiläen. Wir werden also nicht lockerlassen, sondern weiter auf unserem Recht auf eine gesunde Zukunft beharren.

Dass wir seit hundert Tagen in der Konstanzer Altstadt stehen und für Klimaschutz mit Maßnahmen kämpfen, die nicht nur Alibi sind, sondern wirklich große CO2-Einsparungen zur Folge haben, ist einerseits ein großer Erfolg: Es war nicht immer leicht, das Camp am Laufen zu halten, Menschen zu überzeugen und das Thema in der Stadtgesellschaft präsent zu halten. Andererseits sind weitere hundert Tage vergangen, in denen die Politik versucht, die Klimakrise einfach auszusitzen.

Text: Mau von der Klmacamp-Redaktion
Fotos: Pit Wuhrer

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(16): Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15): Ein Plädoyer für Offenheit
(14): Was kostet Anwohnerparken?
(13): Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht