Der Klimacamp-Blog (18): Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath

Am Sonntag, dem 31. Oktober, demonstrierten nach Zählungen der Organisierenden 5000 Menschen in Lützerath für den Erhalt des Dorfs am Rand des Braunkohletagebaus Garzweiler II und für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels. Lützerath ist eines der sechs vom Abbaggern bedrohten Dörfer im Rheinland. Unter ihnen liegen viele weitere Millionen Tonnen schmutzige Braunkohle, die der Energiekonzern RWE fördern und verbrennen will.

Die Aktivistengruppe „Lützerath lebt“ hat daher das Dorf zur ZAD Rheinland erklärt. ZAD steht für „Zone á defendre“, auf Deutsch: zu verteidigende Zone. Denn in Lützerath verläuft genau jene 1,5°C-Grenze Deutschlands, zu deren Einhaltung wir uns durch die Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens verpflichtete haben. Das legt ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag von „Alle Dörfer Bleiben“ offen. In diesem wurde das restliche CO2-Budget, das Deutschland unter Einhaltung (mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent) des 1,5-Grad-Ziels hat, auf die Wirtschaftszweige aufgeschlüsselt und daher dürften in Garzweiler und Hambach nur noch maximal 200 Millionen Tonnen Braunkohle zur Kohleverstromung und -veredelung gefördert werden.

Aber RWE und die Landesregierung von NRW planen noch bis Ende 2038 780 Millionen Tonnen Braunkohle im rheinischen Revier zu fördern. Das würde die Zerstörung von Lützerath und aller anderen bedrohten Dörfer bedeuten. Obwohl sogar ohne einen Abriss der Dörfer und bei vollständiger Erhaltung des Hambacher Waldes aus dem Tagebau Hambach und Garzweiler noch 230 Millionen Tonnen gefördert werden können. Weiter wird im Gutachten festgehalten:

„Bei entsprechender frühzeitiger Drosselung der Produktion benötigt ein Kohleausstiegspfad im Tagebaukomplex Hambach und Garzweiler bis zum Jahr 2028 noch maximal 200 Millionen Tonnen. Dieser Kohleausstiegspfad im Einklang mit dem 1,5° Budget gewährleistet auch den Erhalt der Garzweiler Dörfer.“  (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung 2021)

Überlebt der Hof von Eckhardt Heukamp?

Somit hat Lützerath jede Begründung zu bleiben und nimmt nun eine ähnlich bedeutende Rolle ein wie der Hambacher Forst. Ab Oktober wollte RWE mit Rodungen beginnen und ab November eigentlich auch mit Abrissarbeiten. Allerdings schiebt der Konzern den Abrissbeginn nach hinten, da das Revisionsverfahren gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen zur Enteignung des letzten Bauernhofs von Eckhardt Heukamp im Dorf noch nicht vom Oberlandesgericht in Münster entschieden wurde. Das Verwaltungsgericht Aachen hatte für eine Enteignung des Landwirtes geurteilt. Somit wäre Heukamps Hof, der sich in vierter Generation in Familienbesitz befindet, am ersten November an RWE übergegangen.

Deswegen haben Aktivist:innen dort schon vor Monaten ein Camp errichtet. Dieses erhält aktuell einigen Zulauf und viele Tagesbesucher:innen. Vor allem durch Gruppen wie „Lützerath lebt“, die zu einer friedlichen Besetzung aufrufen. Ihre Motivation ist groß. Aktuell seien sie mit dem Bau von Baumhäusern und anderen Strukturen beschäftigt, erzählt Stephan, Klimaaktivist bei Fridays for Future Düsseldorf. Alles im Camp sei durchorganisiert – von den vielen Plena bis hin zu dem Küchendiensten. Daher sei es wichtig, dass da Menschen sind und bleiben. Nur so funktioniere der Widerstand langfristig, so Stephan, der Lützerrath regelmäßig tageweise besucht und die große „Lützerath lebt“-Demo mitorganisierte.

Sie bleiben, bis das Ziel erreicht ist

An der Demo vergangenen Sonntag beteiligten sich neben „Alle Dörfer Bleiben“ unter anderem auch Fridays for Future, Ende Gelände und Greenpeace. Aktivist:innen von Ende Gelände schafften es sogar, einen Bagger zum Stillstand zu bringen, indem sie am Rand der Tagebaugruppe entlang liefen. Greenpeace legte eine 150 Meter lange Feuerlinie, die symbolisch für die 1,5-Grad-Grenze steht. Wenn RWE und das Land NRW weiterhin vorhaben Lützerath abzubaggern, werden sie auf hartnäckigen Widerstand stoßen.

Ein Kohleausstieg bis 2030 als Ergebnis erfolgreicher Koalitionsverhandlungen von SPD, Grüne und FDP ist wieder denkbar geworden. In diesem Fall würde die Kohle, die RWE noch durch Tagebauerweiterung fördern könnte, nicht mehr benötigt werden und Dörfer wie Lützerath wären umsonst abgerissen worden. Das Land NRW muss unter dem neuen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) ihre Leitlinie 2021 zur Landesplanung im Braunkohle Revier jetzt schon nachbessern und nicht erst wie geplant 2026, wenn es für Lützerath, Immerrath und das deutsche 1,5-Grad-Ziel zu spät ist. Ebenso ist zu hoffen, dass das Oberlandesgericht in Münster urteilt, dass die Förderung eines ineffektiven, gar nicht mehr notwendigen fossilen Brennstoffs nur zu Gunsten eines Konzerns, nicht dem Allgemeinwohl zu Gute kommt und somit auch nicht als rechtliche Grundlage zur Enteignung von Eckhardt Heukamp ausreicht. Damit wirklicher Klimaschutz endlich von höheren Ebenen durchgesetzt wird. Doch solange müssen Aktivist:innen in den Dörfern weiterhin für deren Erhalt und die Einhaltung der deutschen Klimaschutzziele entsprechend des Pariser Klimaabkommens kämpfen.

Die Aktivist:innen in Lützerath können entweder vor Ort durch eure Partizipation oder über Spenden unterstützt werden. Wichtig ist auch, dass ihr Einsatz und die Situation vor Ort in die breite Öffentlichkeit getragen werden. Also teilt bitte diesen Artikel!

Text: Carina von der Klimacamp-Redaktion
Foto oben (Kundgebung „Lützerath lebt“ am 31. Oktober): flickr_creative commons / unten (Demo hundert Tage Konstanzer Klimacamp): Pit Wuhrer

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(17): Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16): Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15): Ein Plädoyer für Offenheit
(14): Was kostet Anwohnerparken?
(13): Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht