Der Klimacamp-Blog (20): Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
Eigentlich sollte hier ein inhaltlich wertvoller Beitrag entstehen – über die neue Konstanzer Klimaschutzstrategie. Schließlich haben wir jetzt ein Jahr lang gewartet und können endlich loslegen. Und das gerade rechtzeitig, schließlich rennt die Zeit davon – die Klimawissenschaft diskutiert momentan angeregt über einen möglichen nahenden Zusammenbruch des Golfstromssystems. Doch in diesem Jahr Wartezeit liegt genau der Knackpunkt, weshalb ich, obwohl ich endlich den Bericht des Instituts für Energie und Umwelt in den Händen halten kann, nicht optimistisch bin. Nächstes Mal kommen wieder die nüchternen Fakten.
Denn blicken war mal zurück: 1979 kam die die Weltorganisation für Meteorologie erstmals zusammen, um über den Klimawandel zu diskutieren. Was dann geschah, überraschte alle. Denn es geschah rein gar nichts. Konferenz um Konferenz wurde abgehalten, Berichte wurden geschrieben und schließlich, 36 Jahre später, erklärten alle Staaten, dass wir die 1,5 Grad Grenze nicht überschreiten werden, beziehungsweise dies versuchen. Und dann wiede: nichts. Zwar wurde in Deutschland ein Klimaschutzziel beschlossen, da das aber exakt dasselbe war wie das bereits seit 2010 beschlossene, auf zwei Grad Erwärmung zielende Energiekonzept, kann man das mit Fug und Recht als Nichts bezeichnen.
Besonders deutlich wird das beim Blick auf Baden-Württemberg. Dort hatte man wenigstens den Anstand, ganz offensichtlich nichts Neues zu beschließen. Das Klimaschutzgesetz wurde 2013 beschlossen und 2020 novelliert. Paris? Fehlanzeige. 2016 hat dann Konstanz sein Integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept vorgelegt, 2018 folgte ein Energienutzungsplan und daraufhin machte man – nichts. Stattdessen erhöhte sich der Konstanzer Gasverbrauch ab 2015 um 40 Prozent, woraufhin man jetzt die Gasinfrastruktur ausbauen will.
Nun gut, das war früher. Dann wurde 2019 der Klimanotstand ausgerufen und Schwung kam rein. Um diesen Schwung zu nutzen, setzten wir uns direkt nach der Ausrufung des Klimanotstands mit Expert:innen hin und versuchten auszuformulieren, was 1,5 Grad für die Stadt bedeutet:
- Pro Jahr: 10 Prozent energetische Sanierungsrate für Gebäude
- Pro Jahr: 10 Prozent Photovoltaik-Zubau auf allen nutzbaren Dachflächen
- Sofortiges Betonverbot
- Bis 2030: Stadt frei von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor
- Bis Ende 2020: Entsiegelung von jedem fünften Parkplatz und Bepflanzung mit einem Obstbaum.
Zugegeben, klingt noch etwas vage und wie es konkret geht, steht da natürlich nicht dabei, aber es zeigt, was geschehen muss.
Daraufhin passierte mal wieder relativ wenig, bis die Stadt schließlich nach einem weiteren Jahr Demonstrieren schließlich ein Klimaschutzziel beschloss. Aus unserem 2030 wurde 2035. Das reicht zwar nicht mehr für 1,5 Grad, aber immerhin besser als 2050. Und man engagierte das Heidelberger Institut für Energie und Umwelt, dass es eine Klimaschutzstrategie ausarbeite, wie man dieses Ziel erreichen kann. Und währenddessen machte man weiter mit – naja: Hier und da ein bisschen, aber im Grunde, nichts.
Jetzt zweieinhalb Jahre nach Ausrufung des Klimanotstandes ist der große Plan endlich da und obwohl ich froh bin, dass es ihn endlich gibt, kommt so richtig keine Freude auf. Stattdessen ist das Gefühl, um 2 1/2 Jahre wirksamen Klimaschutz betrogen worden zu sein, sehr stark. Denn, was steht da drin?
- Halbierung der Parkplätze bis 2035
- Parkplätze teurer machen (Anwohnerparken auf 50 € im Monat erhöhen) und die Bewirtschaftung von Parkplätzen ausweiten
- Klimaneutraler Gebäudebestand bis 2035
- Erhöhung der Sanierungsquote auf 5 Prozent (weniger, als die von uns geforderten 10 Prozent)
- Ausbau von Wärmenetzen
- Einführung ökologischer Richtlinien von Baustoffen (auch bekannt als Betonverbot)
- Förderung eines Energiewende-Clusters mit Fokus aufs Handwerk (wie von uns vom Landkreis gefordert)
- Ausbau von Photovoltaikanlagen und Solaroffensive
Natürlich steht noch mehr drin, und die Maßnahmen werden auch noch erklärt. Doch ein Masterplan, wie das genau gehen soll, steht auch nicht drin. Auch stehen politische spannende Maßnahmen drin, etwa dass die Vision einer Postwachstumsstadt weiter ausgearbeitet werden soll. Doch kommt bei all dem die große Frage auf: Mussten wir jetzt wirklich auf dieses Gutachten warten, um das zu wissen? Versteht mich nicht falsch: Es ist gut, dass es diesen Plan jetzt gibt. Der Punkt ist nur, man hätte bei all diesen Maßnahmen schon so viel weiter sein können. Und das Klimaschutzszenario, dem wir folgen, nimmt das auch an.
Nun gut, Zeit verloren; es bringt nichts, sich über die Vergangenheit zu ärgern. Kopf hoch, Schultern straffen, Blick nach vorne. Zum Beispiel auf die Beschlussvorlage für Donnerstag. Da steht erstmal drin, der Gemeinderat nimmt den Maßnahmenkatalog zu Kenntnis. Dann kommt noch, dass die meisten Entscheidungen eigene Finanzen brauchen und daher gesondert beschlossen werden. Und dann kommen noch erste Priorisierungsempfehlungen für den Haushalt, der nächsten Monat beschlossen wird. Und die sind (Auswahl):
- Erstellen eines Plans, wo man welche Solaranlagen bauen will
- Auf- und Ausbau von Förderangeboten und Beratungskapazitäten
- Erarbeitung von Sanierungsfahrplänen durch die größten städtischen Gebäudeeigentümer (wie bereits 2016 beschlossen)
- Erstellen eines Plans, wo man Wärmenetze bauen will
- Erarbeitung und Umsetzung eines „Stadtwandel“-Kommunikations- und Beteiligungskonzepts.
Und weitere. Auch hier wieder: Alles gut und recht. Die Pläne sind sinnvoll. Aber von Machen lese ich da nichts. Sondern vom Planen, vom Reden und von vielen Jahren, die man genau damit beschäftigt sein wird. Ohne einmal richtig damit anzufangen. Oder um es mit den Worten von Greta Thunberg zu sagen: Bla bla bla. Und ja, natürlich brauchen wir die Pläne und daher ist es auch immer so schwierig, Kritik zu äußern. Aber: Weiß die Stadt erst seit dieser Woche, dass sie Solaranlagen auf die Dächer ihrer Gebäude und der Gebäude ihrer Eigenbetriebe bauen muss? Wo ist die Vorlage, um das Parkraummanagement auf die ganze Stadt auszuweiten? Und warum zur Hölle wurde noch nicht damit angefangen, ein Wärmenetz zu bauen. Die Stadtwerke werden nicht müde zu erwähnen, dass 2012 Gas knapp war. Ohne jetzt auf die Hintergründe zur Knappheit einzugehen. Warum hat man dann nicht die vergangenen neun Jahre genutzt, um die halbe Stadt mit Wärmenetzen zu versorgen? Stattdessen will man jetzt Gas ausbauen.
Und abschließend noch zur „Stadtwandel“-Kampagne: Auch gut und recht, man muss über die Klimakrise reden. Aber den 174-seitigen Ifeu Bericht, dessen PDF am 27.10 erstellt wurde, eine Woche vor der Gemeinderatssitzung online zu stellen und lediglich einen knappen Text im Amtsblatt dazu zu schreiben, ist keine Kampagne. Warum lädt man nicht alle Bürger:innen per Anschreiben ein (wegen Corona jetzt online), um ihnen den Bericht vorzustellen und anschließend eine ehrliche Diskussion mit ihnen darüber zu führen, wo wir stehen und was jetzt passieren muss?
Eigentlich bin ich hoffnungsvoll, dass wir das schaffen können. Da habe ich wohl was mit unserem Oberbürgermeister gemein, der regelmäßig betont, dass er Optimist ist. Aber Hoffnung kommt durch Handlungen. Nicht durch reden und reden, während der Meeresspiegel immer weiter steigt.
Damit die Hoffnung nicht stirbt und vielleicht doch noch irgendwann gehandelt wird, begleiten wir den Beginn der Gemeinderatssitzung mit einer Mahnwache. Am Donnerstag stehen wir ab 14.15 Uhr vor dem Bodenseeforum, um die Gemeinderatsmitglieder beim Eintreten daran zu erinnern, was eigentlich gerade auf dem Spiel steht.
Text: Manuel von der Klimacamp-Redaktion
Grafiken: FFF Konstanz
Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(19): Diese Woche? Klimawoche!
(18): Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17): Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16): Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15): Ein Plädoyer für Offenheit
(14): Was kostet Anwohnerparken?
(13): Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht
@Mario Peters
Es ist eben zu Befürchten, dass die neuen Gruppierungen
wie auch z. B. FfF sich nach der politischen Etablierung auch auf dem Erreichten ausruhen werden sobald die Köpfe der Gruppierungen ein Landtagsmandat oder Bundestagsmandat haben.
Dann sind Sie satt, haben ein Topeinkommen mit entsprechenden weiteren Vorzügen und können dem Bürger und Otto Normalo mit sensationellen rhetorischen Sprüchen sagen ,, Ich verstehe Ihre Sorgen, Ängste und Nöte,, ich bin einer von euch…
Dafür gibt es genügend Beispiele.
Was hat das denn jetzt mit Parteien zu tun? Ist egal, welche Partei die Schlafnasen angehörten, sie haben wider besseren Wissens geschlafen.
Einmal ein kleiner Denk-und Gedächtnisanstoss zu den Versäumnissen :
auf der Startseite Bündnis 90/Die Grünen
ist zu lesen:
“ Seit der Landtagswahl am 27. März 2011 sind die Grünen nicht nur Regierungspartei, sondern stellen mit Winfried Kretschmann auch den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg.“
https://www.landeskunde-baden-wuerttemberg.de/gruene-bw
Das sind schlappe 10 Jahre
oder Startseite der Grünen BW
https://www.gruene-bw.de/
WIR GRÜNE BEWEGEN BADEN-WÜRTTEMBERG – ÖKOLOGISCH, ÖKONOMISCH UND SOZIAL. SEIT 1979.
das sind ja erst 42 Jahre der Bewegung
oder:
7. Juli 1996: Horst Frank gewinnt die Oberbürgermeisterwahl und wird der erste OB in Deutschland mit grünem Parteibuch.
das war auch erst vor 25 Jahren
Wenn also Versäumnisse zu Beklagen sind
(und das sind sie wohl mit recht)
Dann gibt es ja auch die richtigen Ansprechpersonen in den eigenen (grünen) Reihen
Ein Schelm wer Böses dabei denkt….