Der Klimacamp-Blog (23): Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter

Letzte Woche veranstalteten die Stadtwerke Konstanz eine Podiumsdiskussion zum Thema „Bau einer zweiten Erdgaspipeline nach Konstanz.“ Auch ich war an dieser Diskussion beteiligt und möchte in diesem Artikel noch einmal die Argumente aus meiner Sicht zusammenfassen und meine Position erklären.

Eine kurze Zusammenfassung, was bisher geschah: Die Stadtwerke Konstanz planen den Bau einer zweiten Erdgaspipeline, um das Konstanzer Gasnetz zusätzlich zur Anbindung an das deutsche auch an das Schweizer Gasnetz anzuschließen. Der offizielle Grund für das Vorhaben ist, dass sie nach eigenen Angaben momentan zu wenig Erdgaskapazitäten für sehr kalte Tage hätten. Mit dem Bau würden sich die bestehenden Erdgas-Lieferkapazitäten verdoppeln. Das Projekt kostet nach ersten Schätzungen 23 Millionen Euro, die Bauzeit würde rund drei bis vier Jahre betragen. Nach Kritik an dem Vorhaben haben die Stadtwerke die Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft FfE damit beauftragt, ein Gutachten zur Versorgungssicherheit mit Erdgas anzufertigen. Dieses Gutachten wurde auf der Podiumsdiskussion vorgestellt und diskutiert. Es ist hier zu finden.
Eine kritische Stellungnahme der Gruppe „Konstanz Klimapositiv“ zum Gutachten steht hier.
Und die Antwort der Stadtwerke Konstanz auf die Argumente von „Konstanz Klimapositiv“ ist hier nachzulesen.

Bevor wir nun in das Thema einsteigen, vorweg noch zwei wichtige Begrifflichkeiten, die bei der Diskussion zur Versorgungssicherheit immer wieder auftauchen:
„Geschützte Gaskunden“ sind Gaskund:innen, deren Gasversorgung in jedem Fall immer gewährleistet sein muss. Beispielsweise private Haushalte oder Krankenhäuser.
„Ungeschützte Gaskunden“ hingegen sind Gaskund:innen, die im Krisenfall abgeschaltet werden dürften. Hierbei handelt es sich um Großverbraucher:innen wie Industriebetriebe, Schwimmbäder oder auch die Universität. Die meisten, vielleicht auch alle (das ist in der Diskussion nicht herausgekommen) der „ungeschützten Gaskunden“ haben jedoch eine eigene Notfallheizung, da sie wissen, dass sie im Notfall abgeschaltet werden.

Ein kurzer Überblick:

Um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten, gibt es nur noch ein recht kleines Restbudget an CO2 und anderen Treibhausgasen, die wir noch ausstoßen dürfen. Wie klein dieses Budget ist, sieht man an folgenden Punkten:

Würden wir die gesamte fossile Infrastruktur, also alle Kraftwerke, alle Heizungen, alle Autos so lange betreiben, wie bei deren Bau geplant, und darüber hinaus zudem alle Projekte, die bereits in Planung sind, noch umsetzen, dann würden wir etwa doppelt so viele Treibhausgase ausstoßen, wie wir insgesamt dürfen, um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Das klingt düster, kommt aber noch schlimmer:

Denn die Erdölkonzerne sind immer noch damit beschäftigt, neue Erdölquellen zu erschließen. Diese Quellen, deren Profite Exxon und Co. bereits in den Bilanzen als zukünftige Gewinne verbuchen, belaufen sich auf etwa das Siebenfache des verbliebenen Budgets. Der Punkt dabei ist: Wenn wir auf diesem Planeten überleben wollen, dann werden wir bestehende fossile Infrastruktur lange vor dem Ende ihrer geplanten Laufzeit ausschalten müssen. Und dürfen sie – und damit sind wir beim Pipelineprojekt – gar nicht erst bauen. Es gibt überhaupt keinen Spielraum im CO2-Budget, um noch weiterhin fossile Infrastruktur aufzubauen. Gar keinen.

Wie steht es um die Versorgungssicherheit?

Laut Ansicht der Münchner Forschungsgesellschaft Ffe und der Stadtwerke gibt es beim Gas eine Versorgungslücke, die bei extremen Kälteperioden entstehen könnte. Soll heißen: Falls es mehrere Tage am Stück tiefe Minusgrade hat, kann es passieren, dass der Gasverbrauch die Liefermenge übersteigt und die Gasspeicher leer werden. In dem Fall müssten die ungeschützten Kund:innen abgeschaltet werden. Falls das nicht reicht, dann wären wir in einer tatsächlichen Krise.

Aber gibt es diese Versorgungslücke tatsächlich? Und was bedeutet sie? In der Diskussion kam zum Beispiel heraus, dass die Stadtwerke nach der Stellungnahme von „Konstanz Klimapositiv“ noch mal nachgerechnet haben und dabei herausfanden, dass sie bis jetzt 30 Megawatt weniger an geschützten Gaskund:innen in der Kalkulation hatten als sie eigentlich haben (das entspricht etwa dem Bedarf der Uni). Was das heißt, blieb in der Debatte irgendwie unklar, ist laut Stadtwerke aber irrelevant. Und ob Versorgungslücke jetzt heißt , dass im Notfall ungeschützte Gaskund:innen abgeschaltet werden (wie überall in Deutschland), oder ob das auch nicht reicht, wurde für mich nicht hinreichend erklärt.

Fakt ist aber, dass diese Versorgungslücke, falls sie existiert, bereits seit neun Jahren existiert; und selbst beim Bau einer Erdgaspipeline in die Schweiz würde diese Lücke noch mindestens drei Jahre bestehen. Macht also insgesamt zwölf Jahre, in denen man eine Versorgungssicherheit bisher nicht gewährleisten konnte beziehungsweise bei Kälteeinbruch ein Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung drohen würde. Klingt irgendwie komisch und bedeutet, dass es eigentlich einen Krisenplan geben müsste. Wie dieser aussieht und wie in den kommenden Jahren die Versorgungssicherheit für die geschützten Kund:innen gewährleistet werden kann, das wurde auch nach mehrfacher Rückfrage in der Diskussion am Mittwoch nicht erklärt.

Kommen wir zu den Lösungen. Angenommen, die Versorgungslücke existiert tatsächlich im angegebenen Ausmaß und wir haben eine Erdgasverbrauch, der höher ist, als unsere Kapazitäten, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wir bauen die Infrastruktur aus, oder wir reduzieren unseren Erdgasverbrauch. Glücklicherweise haben wir bereits den Gemeinderatsbeschluss, dass in der Stadt Konstanz bis 2030 der Erdgasverbrauch um 70 Prozent reduziert werden soll, um dann bis 2035 weitestgehend auf Erdgas zu verzichten. Trotzdem wird der Ausbau der Erdgaspipeline intensiv diskutiert. Was schon mal sehr bizarr ist. Denn der Auftrag zur Gasreduktion ist eigentlich sehr klar. Was ich da raushöre: Die Stadtwerke ignorieren einfach den Beschluss des Gemeinderats. Denn ob der Verbrauch tatsächlich im vorgesehenen Umfang sinkt, ist ja nicht – wie in der Diskussion zu hören war – reine Glückssache, bei der man hofft, dass irgendwie durch Zufall eine Wärmewende passiert. Das klappt nur, wenn die Stadtwerke eine aktive Rolle in der Wärmewende einnehmen. Das bringt uns zum nächsten Punkt.

Ausbau Gaspipeline versus Klimaschutz

Vielfach wurde erklärt, dass die Erdgaspipeline nicht im Widerspruch zu den Klimaschutzzielen stehe, da sie einfach nur zur Absicherung gebaut werde. Sozusagen vom Netzbetreiber (Teil der Stadtwerke) und nicht von der Wärmeverkaufsabteilung (ein anderer Teil der Stadtwerke). Und der Teil der Stadtwerke, der das Netz betreibt, müsse mit „vorsichtigen Annahmen“ hantieren, um die Versorgungssicherheit auch langfristig zu gewähren. Das würde aber den anderen Teil der Stadtwerke (die Wärmeverkaufsabteilung) nicht daran hindern, weiterhin Klimaschutz zu machen.

Ein Teil des Problems ist der Begriff „vorsichtige Annahmen“. Zunächst mal aus reiner Überlebensperspektive: Schaffen wir es nicht, bis 2035 klimaneutral zu werden, haben wir ein sehr sehr großes Problem. Wir können innerhalb der nächsten bald 13 Jahre nur dann klimaneutral werden, wenn wir alle Anstrengungen darauf fokussieren. Das schaffen wir aber nicht, wenn wir gleichzeitig bei allen Infrastrukturprojekten einfach so weiter machen, wie bisher, und dementsprechend die gesamte Infrastruktur vollkommen falsch dimensionieren.

Dazu kommt: Der Bau der Erdgaspipeline liegt auf derselben Zeitskala wie größere Wärmeprojekte auch, die den Erdgasverbrauch stark absenken könnten. Zum Beispiel: Wenn allen großen Industriekunden attraktive Angebote für den Betrieb einer Heizung mit erneuerbarer Energie unterbreitet würden, könnte das Gasverbrauch schon mal rasch senken. Wärmenetze durch einen großen Teil der Stadt zu verlegen, würde ebenfalls mit relativ vorhersehbarer Wirkung den Gasverbrauch rasch senken. Solche Optionen haben die Autor:innen der FfE-Studie kaum überprüft. Stattdessen prüften sie alle Optionen von Erdgaspipeline über Flüssiggasterminal hin zu Wasserstofftanks. Die offensichtlichsten klimafreundlichen Lösungen, die in jedem Fall in den nächsten Jahren kommen müssen, wurden hingegen kaum diskutiert. Zu den Lösungen kommt im nächsten Blog Beitrag noch mehr.

Und die Kosten?

Interessant an der Diskussion sind auch die Kosten: Die Erdgaspipeline soll 23 Millionen Euro kosten. Diese werden zuerst von der Erdgas-Ostschweiz AG beglichen (die die Pipeline baut), und sollen dann von den Stadtwerken in Raten abbezahlt werden. Die Stadtwerke bekommen das Geld wiederum vom Netzentgeld der Gaskund:innen. Das heißt: Alle Gaskund:innen der Stadtwerke zahlen einen gewissen Beitrag pro Kilowattstunde Gas an die Stadtwerke, damit diese damit das Gasnetz instand halten und ausbauen.

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Soweit ganz klassisch und gewohnt. Jetzt kommt aber der spannende Punkt. Innerhalb der nächsten Jahre wird sich aufgrund der Klimamaßnahmen die Anzahl an Gaskund:innen rasant verringern. Das heißt, die Anzahl der Menschen, die die Pipeline zahlen, nimmt ab, während gleichzeitig die Kosten für den Einzelnen steigen. Im theoretischen Extremfall zahlt am Ende eine Person die verbleibenden 20 Millionen Euro alleine. Das wird so nicht passieren, aber spannend ist, dass niemand eine Ahnung hat, wie das Ganze eigentlich finanziert werden soll. Letztendlich vertrauen alle darauf, dass der Staat einspringen wird und alle Kosten übernimmt. Aber ob das so kommt, weiß niemand. Man springt also aus dem Flugzeug und hofft, dass der Fallschirm schon irgendwie dabei ist. Kommt einem im Bezug auf die Klimakrise recht bekannt vor.

Die Erfahrung zeigt leider, dass das Bemühen, hohe Investments rentabel zu machen, recht groß ist. Was in unserem Fall bedeutet: Man wettet also mit hohem Einsatz gegen den Klimaschutz und damit gegen unsere Zukunft. Herzlichen Dank.

Fazit

Ich bin immer noch fassungslos, dass wir trotz Klimanotstand, trotz offensichtlicher Klimakatastrophe und trotz beschlossenem Klimaschutzziel („klimaneutral 2035“) ernsthaft über den Ausbau von fossiler Infrastruktur diskutieren. Was muss eigentlich noch alles passieren, bis wir erkennen, dass wir sehr schnell damit aufhören müssen, Öl und Gas zu verbrennen? Und dass jetzt wirklich alle Anstrengungen dahingehend fokussieren müssen? Das schaffen wir nur, wenn wir jetzt entschieden gegen jedes fossile Projekt vorgehen.

Die momentan spannende Frage ist, wie wir die bestehende Infrastruktur in kürzester Zeit abbauen können. Das spricht ja auch die vom Gemeinderat beschlossene Klimaschutzstrategie offen an. Insofern sollten wir schleunigst damit beginnen, über sinnvolle Themen zu diskutieren. Beispielsweise daüber, wie wir in kürzester Zeit eine Wärmewende vollziehen können. Um mit gutem Beispiel voran zu gehen und nicht länger in Diskussionen des vergangenen Jahrhunderts festzustecken, geht es daher im nächsten Beitrag darum, was wir tun können, um es mit Blick auf Gegenwart und Zukunft besser zu machen.

Text: Manuel von der Klimacamp-Redaktion
Foto (Klimacamp-Demo gegen die zweite Konstanzer Erdgas-Pipeline im Oktober): Pit Wuhrer

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(22) Die Kirche und das Camp
(21): Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20): Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19): Diese Woche? Klimawoche!
(18): Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17): Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16): Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15): Ein Plädoyer für Offenheit
(14): Was kostet Anwohnerparken?
(13): Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht