Der Klimacamp-Blog (24): Ein Konstanzer Traum

Manchmal ertappe ich mich selbst dabei, wie ich ganz verwundert bin, dass es dann doch so schnell ging. Meistens lächle ich dann nur in mich hinein, nehme einen Schluck Kaffee und mache wieder weiter mit dem, was ich gerade tue. Doch heute möchte ich diese Geschichte niederschreiben, denn die Tage werden jetzt so unverschämt kurz, dass man ganz verzweifelt. Diese Geschichte handelt von Mut und Tatendrang. Und vor allem von Hoffnung. Und eine ganz besonders schöne Geschichte ist es auch noch.

Alles ging damit los, dass der Konstanzer Gemeinderat am 25. November 2021 die Klimaschutzstrategie beschloss, die den Weg vorzeichnete, um bis 2035 klimaneutral zu werden. Es war eine ambitionierte Klimaschutzstrategie und sie sprach aus, was alle schon lange dachten. Es muss jetzt sehr viel, sehr schnell passieren. Nur dann haben wir eine Chance der Welt zu zeigen, wie es geht.

Die Stadträt:innen, die Verwaltung und die Akteure der Konstanzer Eigenbetriebe hatten das verstanden. So kam es, dass innerhalb von wenigen Wochen eine Umsetzungsplanung angefertigt wurde, die konkrete offene Fragen klärte – etwa zum Bau eines Wärmenetzes durch die Konstanzer Altstadt und das Paradies. Bereits in der Dezembersitzung waren viele der offenen Fragen so weit geklärt, dass darüber abgestimmt werden konnte, wie und wo man die Heizzentrale für das Wärmenetz erbauen oder wann man die Warmwasserrohre jetzt konkret verlegen wolle.

Sehr frühzeitig war klar, dass die Grundlast, die das Wasser am meisten aufheizte, über Seewärme erfolgen sollte. Schließlich war die Stadt ja prädestiniert dazu, und am Beispiel Zürich hatte man gesehen, wie gut das funktionierte. Über Mittel- und Spitzenlast wurde etwas länger diskutiert, schließlich einigten sich die Zuständigen auf verschiedene Holzpellets-Heizungen in Kombination mit Wärmetanks. Das gab zwar kurz Kritik, schließlich ist Holznutzung – bezogen auf den Flächenverbrauch – sehr ineffizient. Doch da es zum Bauzeitpunkt gerade viel Totholz gab, das verbrannt werden konnte, die Flächensuche für Solarthermieanlagen kompliziert war und man sich ja einig war, dass es schnell gehen musste, einigte man sich dann doch auf diese Heizsysteme.

Anfangs nur die Hälfte

Bereits Anfang des neuen Jahres konnte man erste Veranstaltungen abhalten, in denen die Bewohner:innen der Konstanzer Altstadt und des Paradieses darüber informiert wurden, dass in diesen Stadtteilen ein Wärmenetz entstehen sollte und sie die Möglichkeit hätten, sich dieser klimaneutralen Heizung anzuschließen. Ein Teil der Bewohner:innen war sofort vollauf begeistert, schließlich waren die Gaspreise gerade in die Höhe geschnellt und der Wunsch, endlich klimaneutral zu heizen, war deutlich zu spüren. Andere waren skeptischer, manche hatte gerade erst eine neue Heizung eingebaut und wollten ungern gleich wechseln. Zugegeben, etwas enttäuscht war man anfangs schon, dass sich insgesamt lediglich die Hälfte aller Hausbesitzer:innen diesem Wärmenetz anschließen wollten. Aber man plante dann beim Bau trotzdem mal, dass die Anzahl noch steigen würde – und sollte recht behalten. Heute, im Jahr 2025, sind fast alle Häuser diesem Netz angeschlossen. Dass es dann doch so schnell gehen würde, dass nur ein Jahr nach Fertigstellung des Netzes fast alle Skeptiker:innen dazu kamen, hatte wahrlich niemand geglaubt. Man muss wohl einfach anerkennen, dass Entwicklungen häufig deutlich schneller gehen als gedacht. Und das de-facto-Gasheizungsverbot der Ampel-Koalition half wohl auch noch mal, die Dinge zu beschleunigen.

Ach ja, natürlich hatte man entschieden, keine zusätzliche Gaspipeline nach Konstanz zu verlegen. Es stellte sich heraus, dass ein Wärmenetz die Versorgungssicherheit sowohl günstiger als auch schneller gewährleisten würde. Zudem, so dämmerte den Verantwortlichen, brauchte man das Personal, das für den Ausbau des Gasnetzes vorgesehen war, für die Wärmewende.

Das Gute daran: durch den beherzten Bau konnten wir bereits jetzt ein schwieriges Stück des Wegs zur Klimaneutralität bewältigen. Noch haben wir es nicht geschafft, aber in den letzten vier Jahren haben wir die Konstanzer Treibhausgasemissionen deutlich reduziert; das macht mir Mut, dass wir den Rest auch noch schaffen.

Kreativer Umbau der Dachlandschaft

Mittlerweile wissen alle Hausbesitzer:innen, ob sie in naher Zukunft eine klimaneutrale Heizung von den Stadtwerken angeboten bekommen – oder nicht. Nicht alle können versorgt werden, denn letztendlich ist es zu aufwendig, jedem Hauseigentümer ein eigenes Miet- und Betriebsangebot  (Contracting) zu unterbreiten. Aber das ist auch in Ordnung. Wärmepumpen sind ohnehin günstiger als fossile Heizungen und mit den neuen seriellen Sanierungen werden wir es schaffen, jene Häuser zu sanieren, die es nötig haben.

Das Gute und wirklich Bewundernswerte ist, dass man es schaffte, innerhalb kürzester Zeit an allen Fronten zu handeln. Während man noch dabei war, die Wärmenetze zu planen, mussten sich die Stadtwerke ehrlich eingestehen, dass sie nicht das Personal hatten, um für alle Dachflächen Pachtangebote für PV-Anlagen abzugeben. Das war aber kein Hinderungsgrund, schließlich geht’s auch kreativ: Unter dem Dach der Stadtwerke halfen viele unabhängige Firmen mit und boten Mietverträge für Solaranlagen an, die letztinstanzlich über die Stadtwerke gingen, auch wenn diese lediglich vermittelten und koordinierten. So wurde aus den Anfängen tatsächlich noch eine richtige PV-Offensive.

Das reicht noch nicht für 100 Prozent erneuerbaren Strom, aber es hat uns schon mal sehr weit gebracht.

Parkpreise überall

Gleichzeitig weitete die Stadt innerhalb von drei Monaten nach Beschluss der Klimaschutzstrategie des Parkraummanagement auf die ganze Stadt aus. Alle mussten auf einmal für einen Autoparkplatz zahlen. Das sorgte bei den Autofahrer:innen zuerst für viel Unmut, da die Parkpreise auf heute 100 Euro im Monat anstiegen. Aber da mit den Einnahmen der Busverkehr wirklich gut und kostenlos für alle wurde, verstanden es viele. Heute würden nur noch wenige tauschen. Der Konstanzer Busverkehr begeistert halt wirklich, und viele realisierten, dass sie eigentlich gar kein eigenes Auto benötigen. Mit diesem tollen Busangebot und Carsharing kommt man ja doch sehr weit.

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Ach ja, und da jetzt weniger Autos herumstehen, gibt es mehr Fahrradstraßen. Das zu sehen, macht richtig Spaß, und noch mehr Spaß macht es, auf den neuen Wegen zu fahren.

Nur eine Maßnahme sorgte noch länger für Kopfzerbrechen: Der Weg zur Postwachstumsstadt. Da war man erst einmal lange etwas ratlos: Wie kann eine einzelne Stadt in einer Wachstumswirtschaft nicht wachsen?. Mit Reparaturcafés und dem kostenlosen Busangebot it zwar einiges getan, klar ist aber auch: Da geht noch was. Gerade im Wohnungsbereich muss noch viel unternommen werden, mit Wohnungstausch-Programmen, mit dem Rückkauf von ehemals städtischen Flächen und vielen kleineren Umbaumaßnahmen, um innerhalb der bestehenden Wohnfläche für alle eine günstige Wohnung anbieten zu können. Aber das entwickelt sich noch, der Wunsch aus der Bevölkerung ist deutlich zu spüren, und Projekte sprießen an vielen Ecken aus dem Boden. Auch die neue Bundesregierung diskutiert das Thema Postwachstum schon viel offener.

Aufwachen im kalten Zelt

All das ging los, mit dem Beschluss des Gemeinderates im November 2021. Aber für mich ging es eigentlich erst ein paar Wochen später richtig los. Ich lag im kalten Zelt auf dem Pfalzgarten und wachte auf, weil etwas anders war. Ich konnte nicht genau sagen warum, aber ich war aufgewacht, weil Klimanotstand war. Ich lag einen Moment da und überlegte, was das hieß. Es war nicht der Starkregen, der sich über dem Zelt ergossen hatte und unseren Materialpavillon schwer in Mitleidenschaft gezogen hatte. Es war auch nicht die Kälte, die sich durch die Lagen an Schlafsäcken fraß. Nein, es war etwas viel Tiefgreifenderes. Es war die Erkenntnis, dass wir uns von der Krise nicht besiegen lassen dürfen, sondern dass wir jetzt ganz schnell, ganz entscheidend handeln müssen. Und genau das haben wir getan.

Das Klimacamp steht heute nicht mehr. Das ist auch gut, denn es bedeutet ja, dass es nicht mehr gebraucht wird. Fridays for Future gibt es noch, aber wir demonstrieren nicht mehr so oft. Nur noch manchmal, wenn große Entscheidungen anstehen und sich nicht alle sicher sind, ob sie wirklich schon wieder fürs Klima stimmen dürfen, dann demonstrieren wir. Aber meistens verstehen das die Leute von selbst.

Ich selbst, der den Großteil meines Chemiestudiums damit gekämpft habe, Fridays und Studium unter einen Hut zu kriegen, habe mich schließlich aus dem Klimaaktivismus verabschiedet. In den letzten Jahren wurden so viele Weichen richtig gestellt, dass ich jetzt das Gefühl habe, dass es wirklich etwas bringt, Chemieforschung zu betreiben. Sie stützt nicht mehr bestehende Systemfehler, denn diese wurden endlich erkannt. Jetzt hilft uns die Forschung, im Einklang mit planetaren Grenzen ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. In den nächsten Wochen gebe ich meine Promotionsarbeit ab. Was ich dann mache, weiß ich noch nicht. Etwas ungewohnt ist es schon, jetzt endlich all jene Dinge umgesetzt zu sehen, für die man so lange gekämpft hat. Aber eigentlich ist es sehr schön. Vermutlich trinke ich erstmal meine Tasse Kaffee aus, dann sehen wir weiter.

Anmerkung: Diese Geschichte spielt in der Zukunft. Manche Entscheidungen wie der Beschluss der Klimaschutzstrategie wurden bereits getroffen. Doch damit der Rest Realität wird, braucht es neben der Einsicht von wichtigen Akteur:innen vor allem viel Druck von der Straße. Komm daher vorbei im Klimacamp und hilf mit, diese Geschichte wahr werden zu lassen!

Gute Termine, um auf’s Camp zu kommen:
Jeden Montag, 17.30 Uhr: Fairkochen
Jeden Dienstag, 17 Uhr: Orga-Treffen
Bitte beachten: Auf dem Camp gilt mittlerweile 2G+!

Text: Manuel Oestringer von der Klimacamp-Redaktion
Fotos (wie schnell die Zeit vergeht – Fridays-Demos im Frühjahr 2019): Pit Wuhrer

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(23): Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22): Die Kirche und das Camp
(21): Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20): Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19): Diese Woche? Klimawoche!
(18): Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17): Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16): Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15): Ein Plädoyer für Offenheit
(14): Was kostet Anwohnerparken?
(13): Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht