Der Klimacamp-Blog (25): Besuch im Camp

Es ist Winter, es ist kalt und der Atem tanzt in weißen Wölkchen vor unseren Mündern.  In warme Decken gehüllt, dampfenden Kinderpunsch in den Händen blicken wir zum Nachthimmel auf. Der Münsterturm leuchtet in warmem Orange vor dem sternenklaren Himmel über uns. Heute ist Orgelkonzert und wenn man ganz leise ist, kann man von hier aus mithören.

„Guten Abend“, sagt eine freundliche Stimme schüchtern. Am Zaun steht ein rundlicher Mann mit weißem Rauschebart und blickt uns neugierig an. „Könnt ihr mir sagen, wie ich zum Klimacamp komme?“ „Da sind sie hier goldrichtig“, sag ich. „Das ist gut. Darf ich reinkommen?“ Ich nicke. „Natürlich“, sagt Maren. Steifbeinig geht er auf uns zu. Als er näher kommt, sieht man zahlreiche Eiszapfen von seinem Bart hängen, die beständig auf seinen Mantel tropfen. Überhaupt ist er ganz nass. „Wollen Sie auch Punsch?“ fragt Friedrich und steht auf. „Oder einen Tee?“ „Danke, sehr gerne“, sagt der Mann. Erst jetzt fällt mir auf, dass er am ganzen Körper zittert.

Wir gehen in die Campküche. Ich koche Vanillepudding mit Zimtäpfeln, während Friedrich mit Saft und etlichen Gewürzen Punsch zubereitet. Ein Windstoß fegt durch das Camp und den halb offenen Küchenpavillon. Sehnsüchtig blicke ich zu den Isoliermaterialien, die überall herumliegen. Hoffentlich bekommen wir das Projekt „Camp winterfest machen“ bald fertig, dann haben wir zumindest einen einigermaßen windgeschützten Ort zum Protestieren. Das, Decken, dicke Schlafsäcke, Wärmflaschen und Tee sind um diese Jahreszeit echt Gold wert.

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Wenig später sitzen wir am Tisch, löffeln warmen Pudding und warten, dass der Punsch abkühlt. „Ich bin übrigens Maren“, sagt Maren nach einigen Sekunden des Schweigens.  „Angenehm“, antwortet der ältere Herr. „Ich bin der Weihnachtsmann, aber ihr dürft mich auch gerne Chlösi nennen.“ Mit offenem Mund starren wir ihn an. „Der Weihnachtsmann?“ Friedrich spricht aus, was wir alle denken.  Der Mann lächelt uns treuherzig an. „Ja.“ Er seufzt.  „Und was führt dich hier her?“ frag ich. „Ich meine, wie kommen wir zu der Ehre? Den Weihnachtsmann trifft man nicht alle Tage.“ Für einige Sekunden ist er still und starrt nachdenklich auf seinen Tee. Dann probiert er einen winzigen Schluck.

Als er aufblickt, sehen seine Augen unfassbar traurig aus. „Ich bin im Eis eingebrochen“, sagt er langsam. „All das Wasser und die Kälte …“, er schüttelt sich. „Aber am Schlimmsten war die Erkenntnis, dass es dem Ende zugeht. Die letzten vier Sommer ist mein Iglu-Haus fast komplett abgeschmolzen und ihr könnt euch nicht vorstellen, was für ein Stress das ist, jeden Winter wieder komplett von vorne anzufangen und nebenher die ganzen Geschenke vorzubereiten.“

Für eine Weile sind wir alle in Gedanken versunken. Maren steht auf, kramt in ihrem Rucksack und zieht eine Dose Plätzchen hervor. „Die hab ich mitgebracht, dass wir für die Schicht was zum Knabbern haben.“ Schweigend nehmen wir reihum ein Plätzchen aus der Dose. „Dankeschön Maren“, sagt Friedrich. Ich beiße hinein. Der Teig zerfällt locker-schokoladig im Mund. „Die sind wirklich lecker geworden.“ Der Weihnachtsmann starrt sein Plätzchen nur an. Er hat eines in Rentierform gezogen. Er legt es auf den Tisch, zieht eine Tanne aus der Dose und legt sie daneben. „Meine Rentiere und ihre Kumpels in Lappland tun sich immer schwerer, ausreichend Futter zu finden“, sagt er. „Die weiten Nadelwälder im Norden schwinden jedes Jahr mehr und mehr und die Regenwälder im Süden sind kaum noch  ein Schatten ihrer selbst. Überall, wo man Weihnachten hinkommt, nur Probleme.“

„Aber noch haben wir Aussicht auf Schadensbegrenzung“, sagt Maren.  „Wenn wir langsam mal in die Pötte kommen und neben den ganzen Versprechungen endlich mal wirkliche Emmissionsreduktionen hinbekommen!“, sage ich. „Genau deshalb sind wir ja hier“, ergänzt Friedrich. „Weil endlich mal jemand irgendetwas tun muss.“ Wieder Schweigen. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. „Du hast Recht“, sagt der Weihnachtsmann schließlich in Richtung Friedrich und haut auf den Tisch. „Wie es um diese Welt und die Menschen steht, mag schrecklich und verzweifelt sein, aber noch ist nicht aller Tage Abend. Ich bin nicht hier her gekommen, um Trübsal zu blasen. Sondern weil ich mir dachte: Chlösi, das schönste Geschenk, das du den Kindern machen kannst, ist ein intakter Planet und eine lebenswerte Zukunft.“ Ich nicke gerührt und sehe, dass Friedrich sogar Tränen in den Augen hat. „Endlich mal jemand, der es versteht“, haucht er.  Der Weihnachtsmann klatscht in die Hände und leise Musik erfüllt den Raum. „Auch wenn es dem Ernst der Lage durchaus angemessen wäre, schlage ich vor, dass wir nicht in uns gekehrt verzweifeln, sondern alle nun in ein fröhliches ‚Advent, Advent, die Erde brennt‘ einstimmen. So laut, dass die ganze Stadt uns hört und so schön, dass die Menschen gar nicht anders können, als ihre Herzen für die Schönheit der Welt und die Tragik der Lage zu öffnen.“

Text: Eileen von der Klimacamp-Redaktion
Fotos: pw

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(24): Ein Konstanzer Traum
(23): Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22): Die Kirche und das Camp
(21): Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20): Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19): Diese Woche? Klimawoche!
(18): Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17): Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16): Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15): Ein Plädoyer für Offenheit
(14): Was kostet Anwohnerparken?
(13): Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht