Der Klimacamp-Blog (32): Planetare Grenzen
„In der Wissenschaft herrscht weitgehende Übereinstimmung, dass bei Überschreiten der Erderwärmung um 2 Grad Celsius die menschliche Zivilisation, wie wir sie heute kennen, nicht mehr existieren kann.“ Dieser bemerkenswerte – und leider zutreffende – Satz steht in der Konstanzer Klimaschutzstrategie. Aber können wir dieses düstere Szenario noch abwenden? Die Zeit dafür ist fast vorbei.
Diese Erkenntnis kann einem jungen Menschen, der in dieser Zukunft zu leben gedenkt, schon mal den Abend versauen. Erst recht, wenn man sieht, dass außer großen Worten und viel heißer Luft bisher kaum etwas gegen die Erderwärmung getan wird – und das, obwohl nur noch sehr wenige Jahre bleiben, um einen Klimakollaps zu verhindern, dessen Folgen nicht mehr aufzuhalten sind.
Dabei ist die Klimakrise zwar ein gewaltiges, jedoch bei weitem nicht das einzige Umweltproblem der Menschheit. Wir rasen derzeit ungebremst auf verschiedenste Abgründe zu und tun doch so, als würde das alles weder uns, noch unsere eigenen Kinder betreffen. Mit nun bereits zwei großen Studien versucht eine Gruppe internationaler Forscher:innen seit einigen Jahren herauszufinden, welches die größten Umweltprobleme sind und wo wir da jeweils stehen. Neun große Problembereiche hat das Team um Prof. Will Steffen herausgearbeitet. Sie alle halten auf der einen Seite den Planeten bewohnbar und stabilisieren die Lebensbedingungen für uns Menschen. Auf der anderen Seite gilt jedoch auch, dass die Erde unbewohnbar zu werden droht, wenn die Grenzen dieser Umweltsysteme überschritten werden.
Es gibt neun planetare Grenzen, die einen sicheren Handlungsspielraum für die Menschheit auf der Erde definieren. Diese sind:
Die Überdüngung und der dadurch außer Balance geratene Stickstoff- und Phosphorkreislauf, der Süßwasserverbauch, Waldrodung und andere Landnutzungsveränderungen, Ozeanversauerung, das Ozonloch, die Einbringung neuartiger Substanzen wie Kunststoffe und Chemikalien oder genetisch veränderte Lebewesen, die Verschmutzung der Atmosphäre durch Ruß- und Schwefeldioxidpartikel, natürlich auch die Klimakrise und – am weitesten fortgeschritten – das Artensterben.
Zu jedem Bereich gäbe es unglaublich viel zu berichten. Wichtig ist aber zu wissen: Viele dieser Entwicklungen beeinflussen sich gegenseitig. So besorgt beispielsweise die industrielle Landwirtschaft auf der einen Seite das Aussterben ganzer Tier- und Pflanzenarten, auf der anderen Seite heizt sie die Klimakrise weiter an und bringt sowohl den Wasser- als auch den Stickstoff- und Phosphorkreislauf in Bedrängnis.
An der Abbruchkante
Alle planetaren Grenzen sind mit einem Unsicherheitsbereich – in der obigen Grafik gelb markiert – versehen, doch im Grunde gilt: Sobald wir uns außerhalb des sicheren grünen Raums bewegen, wird es sehr ungemütlich. Bei mehreren planetaren Grenzen befinden wir uns bereits in diesem Unsicherheitsbereich oder bereits weit darüber hinaus. Überschreiten wir planetare Grenzen, bricht nicht automatisch alles zusammen, was man auch daran erkennen kann, dass wir bereits einige planetare Grenzen überschreiten und ich dennoch diese Zeilen schreiben kann. Vielmehr kann man sich das Überschreiten, planetarer Grenzen so vorstellen: Wir laufen im Nebel viel zu nahe an der Abbruchkante eines Wasserfalls herum und hoffen, dass schon alles gut gehen wird. Für einen Moment kann das schon sein. Aber je länger wir uns so nahe an der Kante bewegen, desto höher ist die Chance, dass etwas katastrophal schief geht. Wobei es, um im Bild zu bleiben, auch ohne Absturz nicht gut ist, die planetare Grenze zu überschreiten. Viele wertvolle Ökosystemleistungen nehmen auch ohne Zusammenbruch rapide ab, und jede verlorene Tier- oder Pflanzenart ist ein großer Verlust.
Die beiden wichtigsten planetaren Grenzen sind die Klimakrise und das Artensterben. Da über die Klimakrise an anderer Stelle schon einiges geschrieben wurde und dieser Beitrag innerhalb lesbarer Grenzen bleiben soll, hier nur kurz zum Artensterben. Momentan werden, wenn auch vielleicht unbeabsichtigt, nahezu alle Tier- und Pflanzenarten systematisch vernichtet. Seit 1970 wurde etwa die Hälfte aller Tiere ausgerottet. Diesen Prozess nennt man Massenaussterben.
Ein sehr hoher Preis
In der Geschichte der Erde gab es bisher fünf Massensterben, bei dem jedes Mal rund 70 bis 90 Prozent aller Tiere und Pflanzen (und andere Lebewesen, die nicht in diese Kategorie passen) von der Erde verschwunden sind. Das letzte Massensterben hat ein gewaltiger Komet ausgelöst, der auf die Erde gekracht war und die Dinosaurier auslöschte. Jetzt befinden wir uns am Beginn des sechsten Massenaussterbens, verursacht von uns alleine. Wie schnell dieses Massenaussterben geht, wie viele Arten am Ende sterben und ob auch wir zu den aussterbenden Arten zählen, ist noch offen. Wie in der Klimakrise gilt auch hier: Wir sind spät dran, aber könnten noch das Schlimmste abwenden. Aber nicht mehr lange. Wie viel Zeit uns noch bleibt, ist sehr schwer abzusehen.
Gerardo Ceballos und andere fassten unsere Lage 2017 in der Publikation „Biological Annihilation“ so zusammen: „Das sechste Massenaussterben (ist) bereits da, und das Zeitfenster für wirkungsvolle Handlungen ist sehr klein, vermutlich zwei oder drei Jahrzehnte im besten Fall.“ Und weiter: „Die Menschheit wird letztendlich einen sehr hohen Preis zahlen für die Vernichtung der einzigen Ansammlung von Leben, die wir im Universum kennen.“
Es kann recht demotivierend sein, den Blick auf alle großen ökologischen Probleme zu weiten. Die gute Nachricht ist aber: Die Probleme sind nicht vollkommen losgelöst voneinander. Viele Ansätze, die in der Bekämpfung der Klimakrise helfen, helfen auch bei der Bewältigung anderer Probleme. Es braucht jedoch einen etwas weiteren Blickwinkel, um auch wirklich alle großen Probleme gleichzeitig anzugehen.
Ein Maßstab, der alle planetaren Grenzen gleichzeitig erfasst, ist der allgemeine Ressourcenverbrauch. Das heißt die gesamte Menge an Dingen, die wir jedes Jahr ausbuddeln, abholzen oder verbrennen. Dazu gehören auch fossile Brennstoffe, aber eben nicht nur. Die maximal erträgliche Grenze des Verbrauchs liegt bei etwa 50 Milliarden Tonnen. Diese Marke haben wir in 1990er-Jahren überschritten (siehe Grafik) – bis jetzt ohne erkennbare Anstrengungen, wieder unter die Grenze zu kommen.
Man kann das Bild der planetaren Grenzen auch noch erweitern. Denn einen gewissen Ressourcenverbrauch benötigen wir, um unsere Grundbedürfnisse zu decken. Das heißt um sicherzustellen, dass es allen Menschen auf diesem Planeten gut geht. Wir dürfen diesen Spielraum jedoch nicht überstrapazieren, denn sobald wir zu viele Ressourcen verbrauchen, also zu viel konsumieren, droht der Zusammenbruch der lebenserhaltenden Systeme. Es gibt für den Konsum also eine Untergrenze und eine Obergrenze. Eine sinnvoll organisierte Wirtschaft zielt darauf ab, allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen, ohne die planetaren Grenzen zu überschreiten. Wie sieht aussehen müsste, beschreibt die Theorie der sogenannten Donut-Ökonomie, (siehe Grafik unten) die innerhalb dieser Grenzen einen ökologisch sicheren und sozial gerechten Handlungsraum umreißt.
Text: Manuel Oestringer von der Klimacamp-Redaktion
Grafiken: Felix Jörg Müller CC BY-SA 4.0,Wikimedia-commons / Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) / Jason Hickel (vom Klimacamp zur Verfügung gestellt) / DoughnutEconomics CC BY-SA 4.0, Wikimedia-commons
Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29): Tag 134 – und weiter geht’s!
(28): Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27): Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26): Wenn alles kippt
(25): Besuch im Camp
(24): Ein Konstanzer Traum
(23): Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22): Die Kirche und das Camp
(21): Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20): Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19): Diese Woche? Klimawoche!
(18): Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17): Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16): Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15): Ein Plädoyer für Offenheit
(14): Was kostet Anwohnerparken?
(13): Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht
Die Fridays for Future haben, wie der überwiegende Teil der Umweltverbände haben scheint es nicht realisiert, dass Umweltengagement unbedingt mit Friedensarbeit einhergeht. Auch darüber, dass, wenn wir weiter so gegen Russland von der Drohung zur (Kriegs)tat schreiten, mehrere hunderttausend junge Menschen zur Wacht an Memel oder Wolga abkommandiert werden müssen. Es wird als Folge den Verlust von (Energie)Nachfrage in Deutschland bedeuten. Von den Atomstrom-, Kohle- und Gasvorkommen profitieren vor Ort (an der russischen) Grenze europäische Armeen und Hilfstruppen in Zelten und Kasernenstädten. Die Ukraine wird allein mehr Söldnerbedarf haben, als Afghanistan in den zwanzig zurückliegenden Jahren. Das hat übrigens schon der frühere Arbeitgeberpräsident Hanss-Martin Schleyer vor langer Zeit vorgerechnet, was die Eroberung des Ostraums an Belastungen mit sich bringt. In einer Rezension zu Erich Später: Villa Waigner, Hanns Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag (disskursiv, 30.09.2010) kommt manches zu Tage, dem wir uns heute verschließen. Etwa eine Notiz Späters: „… Die radikale Studentenschaft der Karls-Universität wird letztendlich zur Kaderschmiede des deutschen Vernichtungsapparates. Ab 1941 überlegen Heydrich und hochrangige SSler die Einrichtung einer SS-Universität in Prag. Hier sollte das Personal für den Völkermord geschult werden. Gegründet wurde schließlich eine „Reichsstiftung“ an der Universität, die „für die Bedürfnisse des Besatzungsapparats forschen und lehren (sollte)“. Man darf sich nicht mehr Ahnungslos geben und von den Müttern der Republik erhoffen, dass sie warme Socken für den Dienst an der Front stricken. Eher vielleicht fragen, was aus der „Reichsstiftung“ wurde und welche Folgen solche Kriegsphantasien für die Umwelt- und Energiepolitik haben.
http://www.disskursiv.de/2010/09/30/ich-bin-alter-nationalsozialist-und-ss-fuhrer-hanns-martin-schleyers-prager-jahre/