Der Klimacamp-Blog (33): Aufstand der letzten Generation

Was bewegt junge Leute, ihr Leben für ein Gespräch mit potentiellen Bundeskanzler:innen aufs Spiel zu setzen?  Letzten Monat war Henning Jeschke von der Gruppe Aufstand der letzten Generation zu Gast auf dem Konstanzer Klimacamp, der mit anderen Leuten genau das gemacht hat: Um ein Gespräch mit den Kanzlerkandidat:innen zu bekommen, waren sie in einen Hungerstreik gegangen. Aber sind solche Streiks oder – wie jetzt angekündigt – Straßenblockaden wirklich adäquate Formen des Protests?

Eigentlich ist es ja absurd. Hierzulande ertrinken wir geradezu in Essen und Luxusgütern, während Leute auf der anderen Seite der Erde von ausreichend Nahrung nur träumen können. Gerecht ist das nicht, aber rechtfertigt das, dass sich vergangenen Spätsommer sieben junge Menschen in den unbefristeten Hungerstreik begaben und so ihr Leben und ihre Gesundheit riskierten? Und das nur für ein Gespräch über den Klimawandel, ein Thema, das seit Greta ohnehin in aller Munde ist?

Und wieder einmal sind wir mittendrin in einer Diskussion, die wie so oft am eigentlichen Thema völlig vorbei geht. Denn egal, was man von der Aktion an sich halten mag, die Tatsachen liegen auf der Hand. Und die sehen alles andere als rosig aus, wenn wir ihnen einmal ins Gesicht blicken: Überschwemmungen, Waldbrände, Dürren, Wasser- und Nahrungsmittelknappheit auch hier in Deutschland. Und zwar nicht nur einmal, sondern regelmäßig.

Die Welt ist ein einziges Pulverfass, in dem lange schwärende Konflikte sich an Existenzkrisen ganzer Völker entzünden. Was, wenn es morgen im Supermarkt nicht nur kein Klopapier, sondern auch keine Lebensmittel mehr gibt? Eine erwärmte Erde kann bei weitem nicht mehr alle Menschen ernähren. Doch wie wird entschieden, wer überlebt und wer nicht?

Viele von uns haben längst vergessen, wie es ist, Wasser rationieren zu müssen, vor leeren Supermarktregalen zu stehen und nicht zu wissen, ob man den Winter überstehen wird. Wie es ist, alles in Fluten und Flammen zu verlieren.

Kein Land ganz auf Kurs

Wo man auch hinschaut – alles Krise. Und hier geht es längst nicht mehr um Geld, sondern um das nackte Überleben. So absurd sich das momentan noch anhören mag. Dass es so nicht weitergehen kann, steht außer Frage. Und trotzdem steigen entgegen aller Versprechungen die Emissionen Jahr um Jahr munter weiter. Trotzdem werden wirtschaftliche Interessen über Klima- und Umweltschutz gestellt, ungeachtet dessen, dass es sich dabei um unsere Lebensgrundlagen handelt, dass die nötigen Technologien und Maßnahmenpläne zur Rettung der uns bekannten Welt zum überwiegenden Teil längst da sind und nur noch umgesetzt werden müssten. Kein einziges Land findet sich wissenschaftlich bestätigt auf einem Kurs, der die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt.

Um in Bildern zu sprechen: Ich habe zunehmend den Eindruck, dass viele Leute die Klimakatastrophe immer noch als ein etwas außer Kontrolle geratenes Lagerfeuer wahrnehmen, während in Wahrheit schon der ganze Wald brennt. Wie schlimm es tatsächlich steht und wie wichtig es ist, dass wir uns bestmöglich an Schadensbegrenzung versuchen, so lange es noch geht, habe ich erst wirklich begonnen zu verstehen, als ich mich intensiver damit beschäftigt habe.

Die Forderung der früheren Hungerstreikenden nach einem ehrlichen, öffentlichen Gespräch über die Tatsachen, die in Zukunft durch Klimakrise und Artensterben unseren Alltag bestimmen werden, ist im Grunde kein absurder Gedanke, sondern dringend notwendig. Denn wir müssen uns vergegenwärtigen, wie wichtig es ist, dass wir schnell und entschlossen handeln. Und wir müssen uns auf eine Grundlage verständigen, bevor wir uns in den Details der Maßnahmenplanung verlieren. Wir brauchen ein klares gemeinsames Ziel vor Augen, um nicht den Weg aus den Augen zu verlieren, der uns mit der größten Wahrscheinlichkeit in die lebenswerteste aller möglichen Zukünfte führt.

Gegen die Lebensmittelverschwendung

Und wenn die früheren Hungerstreikenden – wie im Gespräch mit Olaf Scholz Mitte November angekündigt – in den nächsten Wochen tatsächlich massiven und friedlichen zivilen Ungehorsam starten, um zumindest die unnötigsten Emissionen und Zerstörung unserer Lebensgrundlage durch die momentane Landwirtschaft einzudämmen, würde ich mich sehr freuen, wenn dieses Mal die inhaltliche Forderung im Zentrum der öffentlichen Debatte stünde.

Denn im Grunde ist es doch traurig, dass die Dinge so schlimm stehen, dass immer mehr Menschen sich gezwungen sehen, ihr eigenes Wohlbefinden, ihre Ausbildung, ihre Freiheit und sogar ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um auch in Zukunft das Recht auf ein Leben in Würde zu haben. Wir sollten ihnen zuhören, statt immer nur über ihre Köpfe hinweg darüber zu diskutieren, ob diese und jene Aktionsform jetzt gerechtfertigt ist oder nicht. Und nicht länger das eigentliche Thema weitgehend unangetastet lassen – die Frage nämlich, welche Fakten die Menschen zu solch verzweifelten Aktionen treiben. Und ob wir unserem Handeln nicht schleunigst eine andere Richtung geben sollten.

Der Aufstand der letzten Generation fordert, dass ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung erlassen wird und baldmöglichst Maßnahmen für eine Agrarwende bis 2030 ergriffen werden. Falls das Gesetz nicht beschlossen wird, wollen sie diese Woche mit groß angelegtem zivilen Ungehorsam den öffentlichen Druck erhöhen.

Text: EIleen Blum von der Klimacamp-Redaktion
Foto oben (Plakate am Konstanzer Klimacamp im September 2021): Pit Wuhrer

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29): Tag 134 – und weiter geht’s!
(28): Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27): Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26): Wenn alles kippt
(25): Besuch im Camp
(24): Ein Konstanzer Traum
(23): Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22): Die Kirche und das Camp
(21): Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20): Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19): Diese Woche? Klimawoche!
(18): Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17): Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16): Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15): Ein Plädoyer für Offenheit
(14): Was kostet Anwohnerparken?
(13): Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht