Der Klimacamp-Blog (52): Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil 1
Noch immer messen Ökonom:innen, Financiers und Politik:innen unser Wohlergehen an einer einzigen Kennziffer – dem Bruttoinlandsprodukt. Dieses erfasst den Gesamtwert aller Güter, Waren und Dienstleistungen, die innerhalb eines Zeitraums geschaffen beziehungsweise erbracht wurden. Aber wie sinnvoll ist das? Und wie kommen wir da raus? Das fragt sich der Autor unseres heutigen Klimacamp-Blogs.
Liebe Mitglieder der Bundesregierung! Ihr habt es gerade wirklich nicht leicht. Krisen an allen Ecken und Enden und noch dazu versucht ihr die ganze Zeit, den ökologischen Kollaps mithilfe von Wirtschaftswachstum abzuwenden – falls ihr ihn überhaupt abzuwenden versucht. Das habe ich nämlich noch nicht ganz verstanden. Aber wie dem auch sei: Vermutlich wisst ihr mittlerweile ja selbst, dass es dieses viel beschworene grüne Wachstum nur bei Bäumen gibt. Aber wie könnt ihr aus dem Wirtschaftswachstum aussteigen ohne Massenarbeitslosigkeit und fette Rezension?
Damit euch dieser Weg etwas leichter fällt und ihr im Kabinett nicht noch mehr graue Haare bekommt, habe ich folgende Anleitung geschrieben. Folgt dieser Anleitung am besten Schritt für Schritt und verhindert noch in eurer Amtszeit einen Zusammenbruch ganzer Ökosysteme! Bereit? Dann auf geht‘s!
Schritt 1: BIP nicht mehr als Indikator nehmen.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst, wie viel Geld innerhalb eines Quartals umgesetzt wurde, und ist der Indikator schlechthin, um die Wirtschaftslage zu bewerten. Wie ihr vermutlich zu eurem eigenen Leidwesen wisst, muss sich jeder Wirtschaftsminister daran messen lassen, wie stark das BIP während seiner Amtszeit ansteigt.
Das Problem mit dem BIP besteht darin: Es ist kein sonderlich sinnvoller Indikator, um eine Aussage darüber zu treffen, wie gut es der Bevölkerung geht. Wenn ich schwer krank werden würde und mir teure Medikamente kaufen muss um zu überleben, steigt das BIP. Wenn es einen Ölunfall gibt wie die Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon, und dieser teuer aufgeräumt werden muss, wächst das BIP. Wenn wir unsere Rüstungsausgaben hochfahren und neue Panzer herstellen, steigt das BIP. Wenn eine einzige Person für tauend Menschen konsumiert und tausend Menschen kein Geld für den Konsum haben, bleibt das BIP stabil. Und doch sind all diese Beispiele gesamtgesellschaftlich absolut nicht wünschenswert.
Robert Kennedy, der Bruder des ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten fasste die Kritik am BIP schon vor 60 Jahren zusammen: „Das BIP misst weder unseren Verstand noch unseren Mut, unsere Weisheit, unsere Bildung, weder unser Mitgefühl noch die Liebe zu unserem Land … Kurz, es misst alles außer dem, was das Leben lebenswert macht.“
Es gibt andere Indikatoren wie den Genuine Progress Indikator (den Indikator echten Fortschritts), die versuchen, das BIP durch Einbezug von sozialen und ökologischen Kosten zu korrigieren. Das ist sicherlich ein großer Fortschritt, doch letztendlich bleibt wohl die Aussage, dass man das Wohlbefinden der Menschen nicht mit einem einzigen Indikator messen kann. So werden heute schon andere Indikatoren berücksichtigt, aber das BIP steht trotzdem noch viel zu sehr im Fokus.
Übrigens: Neuseeland, Schottland und Island haben allesamt bereits angekündigt, das BIP nicht mehr als Fortschrittsindikator zu verwenden.
Schritt 2: Geplante Obsoleszenz beenden
In den 1920er Jahren bildete eine Reihen von Glühbirnenherstellern unter Führung von Generell Electrics ein Kartell und vereinbarte heimlich, die durchschnittliche Lebenszeit der Glühbirnen von 2500 auf 1000 Stunden zu reduzieren. Der Trick funktionierte: Die Glühbirnen gingen schneller kaputt, in der Folge stieg die Nachfrage an.
Ähnliche Tricks beobachten wir heutzutage an allen Ecken und Enden unseres Wirtschaftssystems. Handys, die alle paar Jahre ausgetauscht werden müssen, Waschmaschinen, die anstatt 20 bis 30 Jahre nur noch 7 Jahre halten und so weiter. Dabei sind all diese Geräte technisch in der Lage, deutlich länger zu funktionieren. Aber es werden Schwachstellen eingebaut, damit die Geräte kaputt gehen und in den meisten Fällen nur zu horrenden Preisen repariert werden können. Jede:r kennt die Probleme.
Wie können wir dieses Problem lösen? Zum Beispiel indem Garantiezeiten verlängert werden, damit Smartphones nur noch mit einer Zehnjahresgarantie verkauft werden dürfen. Ein zusätzliches Recht auf Reparaturfähigkeit würde ebenfalls helfen.
Das Faszinierende an dieser Maßnahme: Sie ist verblüffend einfach, steigert das allgemeine Wohlbefinden und würde richtig viel nützen. Würden Smartphones und Waschmaschinen viermal länger halten als bisher, würden 75 Prozent weniger verbraucht. Es gäbe damit auch einen um 75 Prozent reduzierten Materialeinsatz.
Schritt 3: Werbung zurückfahren
Werbung funktioniert, indem sie uns einredet, dass uns etwas fehlt. Und dass nur der Kauf des beworbenen Produkts diese (oft vermeintliche) Lücke stopft. Um dieses Ziel zu erreichen, werden allerhand psychologische Tricks eingesetzt und unser Verhalten ausspioniert. Kaufen wir das Produkt, beginnt der Kreislauf von vorne.
Macht uns das glücklich? Natürlich nicht. Das ist auch das Ergebnis einer Untersuchung von Chloé Michel und drei weiteren Ökonomen, die in einer umfassenden Studie feststellten, dass die allgemeine Zufriedenheit im Land sank, wenn die Werbeausgaben stiegen.
[Kurzer Einschub für die Bundesregierung: Glückliche Menschen im Land heißt glückliche Wähler:innen, die euch dann mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder wählen!]
Abgesehen davon, dass es uns unglücklich macht, ständige eingeredet zu bekommen, dass uns etwas fehlt, und davon, dass unsere Demokratie untergräbt, wer unser Verhalten die ganze Zeit ausspioniert (siehe Cambridge Analytica), um uns zielgenauer mit Werbung zu umgarnen, bringt uns Markting auch dazu, Dinge zu kaufen, die wir gar nicht brauchen (oft mit Geld, das wir gar nicht haben). Aus ökologischer Sicht ist das höchst unsinnig.
Das wissen auch die Verantwortlichen. Eine Befragung unter Manager:innen ergab, dass 59 Prozent der Befragten der Meinung waren, dass sie durch Werbung Kund:innen dazu bringen, Dinge zu kaufen, die sie gar nicht benötigen.
Dabei wird Werbung oft mit geplanter Obsoleszenz kombiniert – zum Beispiel bei Smartphones. Auf der einen Seite reden uns die Marketingfirmen ein, dass unser Smartphone veraltet ist; Und auf der anderen sorgen die Technikabteilungen der Konzerne durch ständige Updates dazu, dass das Betriebssystem fast unbenutzbar langsam wird. Und dann lässt noch der verklebte, fest eingebaute Akku nach …
Falls Vertreter:innen der Stadt Konstanz mitlesen: Es gibt bereits einige Städte, die begonnen haben, Werbung zurückzudrängen. In Paris ist Werbung in der Nähe von Schulen verboten, und in São Paolo darf auf öffentlichen Flächen nicht mehr geworben werden. Das Ergebnis: Eine hübschere Stadt mit glücklicheren Bewohner:innen. In diesem Sinne, liebe Stadträt:innen: Das wäre doch auch was für hier!
PS (1): Diese Anleitung gilt vorrangig für die reichen Staaten im globalen Norden.
PS (2): Über die nächsten drei Schritte zum Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum (Gemeinschaftliche Nutzung anstatt Besitz, Stopp der Essensverschwendung, Jobgarentie und Arbeitszeitverkürzung) informiert der Klimacamp-Blog 53 am kommenden Mittwoch.
Text: Manuel Oestringer von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Foto (Explosion auf der Deepwater Horizon 2010): Wikimedia Commons
Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht