Der Klimacamp-Blog (54): Fakten oder Meinung?

Der Prozess der Erarbeitung der Klimaschutzstrategie in Konstanz fand vorletzte Woche, am 30. März, mit der Vorstellung der Strategie für die Bevölkerung einen interessanten Abschluss. Ich durfte für Fridays for Future auf dem Podium sitzen und einen kurzen Impulsvortrag halten. Ziel der Veranstaltung war es, die Konstanzer Bürger:innen über die Klimaschutzstrategie zu informieren und ihnen die eigenen Handlungsoptionen aufzuzeigen.

Dafür hielt zunächst der Freiburger Meteorologe Dirk Schindler einen Vortrag über die Klimafolgen in Baden-Württemberg, in dem sehr deutlich wurde, dass auch Baden-Württemberg und Konstanz sehr direkt von der Klimakrise betroffen sind. Anschließend stellte Lorenz Heublein, der Klimaschutzmanager der Stadt Konstanz, die Klimaschutzstrategie vor und berichtete, welche Maßnahmen die Stadt bereits eingeleitet hat. Danach sprach noch Hans Hertle vom Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu), das die Klimaschutzstrategie ausgearbeitet hat. Er verdeutlichte die Dringlichkeit einer schnellen und umfassenden Veränderung der kommunalen Klimaschutzpolitik und erteilte Gas als Brückentechnologie eine klare Absage. Anschließend durfte ich noch einen Impulsvortrag halten, danach gab es eine Bürger:innenfragerunde.

Zuerst das Positive …

Die Veranstaltung hat gemischte Gefühle bei mir ausgelöst. Hier  zunächst die positiven Aspekte: Erstmal ist der Umstand, dass es eine umfassende Information für die Konstanzer Bürger:innen gab, sehr erfreulich. Die Umsetzung der Klimaschutzstrategie wird das Leben aller Konstanzer:innen beeinflussen und benötigt ihre Bereitschaft zur Veränderung, insofern ist eine Bürger:innenbeteiligung unbedingt erforderlich. Aus meiner Perspektive wäre es zudem sehr wünschenswert, die Bürger:innen auch aktiv in den Prozess der Entscheidungen miteinzubeziehen und nicht nur passiv über die Ergebnisse zu informieren.

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Außerdem war der Charakter der Veranstaltung überwiegend von Sachlichkeit und wissenschaftlichen Fakten geprägt, dazu trugen insbesondere die beiden Referenten aus der Wissenschaft, Schindler und Hertle, bei. Solche sachlichen, konstruktiven Veranstaltungen sind der richtige Weg, um eine vernünftige Diskussion über Klimapolitik jenseits von absurden Tempolimitdiskussionen der FDP zu führen.

70 Prozent der Emissionen stammen von hundert Konzernen

Leider legte die Veranstaltung jedoch einen starken Fokus auf der Eigenverantwortung der Bürger:innen. Es entstand der Eindruck, die Stadt könne selbst sehr wenig für die Klimaneutralität 2035 tun, da dies vor allem die Aufgabe der Konstanzer Bürger:innen sei. Eine Behauptung, die in dreierlei Hinsicht etwas absurd anmutet: Zunächst hat die Stadt einen großen Einfluss auf die Emissionen, die in Konstanz entstehen. Auf 20 bis 50 Prozent des Energieverbrauchs vor Ort (ohne Verkehr) hat die Stadt einen direkten Einfluss. Hinzu kommen Regulationsmöglichkeiten wie Anreize für private Klimaschutzbemühungen, eine konsequente Verkehrswende, Förderung von Sharing-Systemen etc. Von einem mangelnden Einfluss der Stadt auf die Treibhausgasemissionen kann also nicht die Rede sein.

Des Weiteren ist es auch auf übergeordneter Ebene nicht zielführend, bei der Lösung der Klimakrise auf individuelle Verhaltensänderungen zu setzten. Denn zum einen sind für 70 Prozent der globalen Emissionen seit 1988 nur hundert Unternehmen verantwortlich. Dort anzusetzen klingt also wesentlich vielversprechender (auch wenn das natürlich außerhalb der kommunalen Möglichkeiten liegt).

Zudem sind individuelle Verhaltensänderungen in ausreichendem Ausmaß sehr langsam, insbesondere wenn vermögende Akteur:innen mit Mechanismen wie Werbung dagegen arbeiten und fossile Energien durch die Bundesregierung subventioniert werden. Diese Zeit haben wir angesichts der aktuellen klimawissenschaftlichen Erkenntnisse nicht, wie der vergangene Woche erschiene IPCC-Bericht nochmals deutlich machte! Insofern wird der Klimaschutz auf persönlicher Ebene und in der breiten Masse vermutlich nur durch unterstützende politische Lenkungsmaßnahmen möglich sein.

Flucht vor der eigenen Verantwortung?

Das führt zum Dritten und absurdesten Punkt des Problems. Nachdem die Stadtverwaltung auf der Veranstaltung zwei Stunden lang erklärt hat, wie wichtig eine unterstützende Bürger:innenschaft ist, kam in der Fragerunde mit den Bürger:innen die Frage auf, wann man Förderungen für seine Haussanierung erwarten könne. Die Antwort lautete: „Anfang 2023“. Gegenwärtig kann man sein Haus als Bürger:in ohne ausreichendes Vermögen also gar nicht klimafreundlich sanieren. Das gleiche galt für die Frage, ob und wann das eigene Haus an ein Wärmenetz angeschlossen werde, damit man – falls dies nicht der Fall sei – selbst beispielsweise eine Wärmepumpe installieren könne. Auch hier hieß es, dass man dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erfahren könne.

Insofern erscheint die Betonung der individuellen Verantwortung ein bisschen wie die Flucht vor der städtischen Verantwortung. Klar ist natürlich, dass es ohne Mitwirkung der Bevölkerung nicht gehen wird und dass es zudem äußerst hilfreich ist, wenn sich Bürger:innen aktiv beteiligen (und sich gerne auch unbequem für mehr Klimaschutz einsetzen). Aber meines Erachtens müsste die Verantwortung wie folgt verteilt werden –und dies wurde in der Veranstaltung leider nicht deutlich:

– Stadtverwaltung und Gemeinderat sollten durch Push- und Pull-Maßnahmen ein klimafreundliches Verhalten so einfach wie möglich gestalten und gleichzeitig durch sozialen Ausgleich dafür sorgen, dass die notwendigen Veränderungen die Geringverdienenden entlasten.

– Die Stadtbevölkerung muss diese notwendigen Veränderungen mittragen, sofern die sozial gerecht gestaltet sind.

So viel zu meiner Kritik. Insgesamt war die Veranstaltung aber interessant; weitere Info- und Diskussionstermine dieser Art halte ich für begrüßenswert.

Zwei Gedanken zum Schluss:

Zum einen machte Hans Hertle in seinem Vortrag sehr deutlich, dass die Nutzung von Wasserstoff etwa zur Wärmeerzeugung im Vergleich zur Nutzung von erneuerbarem Strom aus wissenschaftlicher Sicht aus Effizienzgründen keinen Sinn ergibt und politisch nicht unterstützt werden sollte. Leider fand Oberbürgermeister Uli Burchardt es für sinnvoll, diese einfach nachvollziehbare Rechnung in seinen Abschlussworten zur Meinungsfrage zu machen. Bei der Frage nach der effizientesten Lösung geht es allerdings nicht um Meinungen, sondern Fakten. Äußerungen wie die des OB schwächen das Vertrauen in die Wissenschaft und sind für die klimapolitischen Diskurs genauso hinderlich wie die postfaktischen FDP-Argumente gegen ein Tempolimit.

Außerdem findet sich in der Einleitung des Ifeu-Berichts der sehr interessante Satz: „Modellergebnisse zeigen, dass eine komplette Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Treibhausgas-Emissionen im zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht in hinreichendem Maße gelingen kann.“ Das bedeutet, dass eine funktionierende Klimaschutzstrategie einen Rückgang des Wirtschaftswachstums enthalten muss. Dieser notwendige Punkt, wurde bei der Vorstellung der Konstanzer Klimaschutzpläne leider ignoriert. Es ist zu fürchten, dass es in diesem Bereich noch an Vorstellungskraft mangelt. Es ist an uns Bürger:innen, dafür zu sorgen, dass sich das ändert.

PS: Die Präsentationen der Veranstaltung „Klimaneutral – aber wie?“ können hier heruntergeladen werden.

Text: Frida Mühlhoff
Illustration: aus der Präsentation von Dirk Schindler; Foto: Pit Wuhrer

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht