Der Klimacamp-Blog (55): Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
Am Dienstag vor einer Woche, am 5. April, haben mehrere Personen in der Konstanzer Innenstadt Plakate an die Fensterscheiben von Bankfilialen gekleistert. Sie schließen sich damit solidarisch dem Aufstand der letzten Generation an. Aber warum? Worum geht es dabei? Und was bewegt Menschen, zu den Mitteln eines nicht ganz legalen, aber zivilen Protests zu greifen?
Lasst es mich erklären.
Was wir in den nächsten zwei bis drei Jahren tun, wird über die Zukunft der Menschheit entscheiden. So hat das sinngemäß David King formuliert, der ehemalige wissenschaftliche Chefberater der britischen Regierung im Bereich Klima. Das heißt: Wir alle sind die letzte Generation, die den totalen Klimakollaps noch aufhalten kann. Wir wollen aber nicht die letzte Generation sein, die gescheitert ist.
Wenn wir nicht handeln, werden etwa 50-75 Prozent der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2100 aufgrund extremer Hitze und Feuchtigkeit „lebensbedrohlichen klimatischen Bedingungen“ ausgesetzt sein; so steht es im sechsten IPCC Sachstandsbericht. Die momentane CO2-Konzentration in unserer Atmosphäre ist wahrscheinlich die höchste, seit es Menschen auf der Erde gibt.
Aber das ist nicht mal unser einziges Problem. Durch die Art, wie wir Menschen mit dieser Erde umgehen, haben wir ein Massenaussterben verursacht, das schlimmer ist als das, an dem die Dinosaurier zu Grunde gegangen sind. Und einmal ganz abgesehen davon, dass ich es schon an und für sich furchtbar schrecklich und ungerecht finde, wenn wir Menschen systematisch andere Lebewesen auf diesem Planeten töten und ausrotten, sind auch wir nur ein Teil der Natur und wie alle anderen Lebewesen auch auf funktionierende Ökosysteme angewiesen.
Fragt euch einfach mal: Was sind wir Menschen ohne das Essen, das auf unseren Feldern wächst? Ohne sauberes Wasser in den Flüssen und Seen? Ohne den Sauerstoff, den die schrumpfenden Wälder dieser Erde tagtäglich für uns bereitstellen? Wir sind auf eine große gesunde Natur angewiesen, um zu überleben. Und dennoch tun wir gerade alles um sie unwiederbringlich zu zerstören.
Nein, das ist kein Weltuntergang. Auch wenn es sich vielleicht so anhört. Die Welt wird weiter existieren. Nur dann eben ohne uns und den Großteil des Lebens auf dieser Erde.
Und wir Menschen sind schuld.
Wir alle – du und ich – sind die letzte Generation, die diesen totalen Kollaps noch aufhalten können. Und an diesem historischen Moment sind wir alle an einem Punkt, an dem wir uns fragen müssen: Angenommen, ich hätte die Chance die Welt zu retten. Würde ich es tun?
Über zwei Grad hinaus
Das genau ist der Punkt, an dem wir jetzt stehen. Unser Problem besteht nicht darin, dass wir nicht wüssten, wo das Problem liegt. Dafür hat die Wissenschaft längst gesorgt. Unser Problem ist auch nicht, dass wir nicht wüssten, wie wir dieses Problem lösen könnten. Dafür haben Technik und wissenschaftliche Studien in weiten Teilen längst gesorgt.Unser momentanes Problem ist, dass wir die Dinge nicht umsetzen. Obwohl glasklar ist, was tun müssten, um uns zu retten. Und dass wir es schaffen könnten.
Denn: Wie bitter wäre es, wenn wir alle sterben müssten, nur weil wir jetzt nicht in der Lage sind, die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten? Hier noch ein paar Fakten, um das ganze Dilemma weiter zu verdeutlichen:
Die physikalische Realität: Wir erreichen die international politisch vereinbarte globale Temperaturerhöhung von 1,5 Grad Celsius spätestens 2030 – wenn weiterhin so viel Treibhausgase emittiert werden. Allein die Gase, die jetzt in der Atmosphäre sind, reichen aus, um uns bis 2050 über 2 Grad hinauszuschießen. Das ist der Stand.
Die Klimakrise tötet
Und was tut die Politik? Sie möchte bis 2045 klimaneutral werden, um das 1,5 Gradgrenze einzuhalten. Dabei ist wissenschaftlich völlig klar, dass das gar nicht geht! Es liegt auf der Hand: Die politische Realität geht völlig an der physikalischen vorbei. Und sie wird uns irgendwann einholen. Uns allen ist klar, dass es nicht einfach ist, komplexe Gesellschaften umzustrukturieren und klimaneutral zu machen. Aber noch viel klarer ist, dass wir mit Molekülen nicht verhandeln können.
Wälder brennen, Wüsten breiten sich aus, Extremwetter und Überschwemmungen wie letztens im Ahrtal nehmen zu, Ernten brechen weg. Die Klimakrise tötet, verdammt noch mal. Sie tötet und sie macht auch künftige Katastrophen immer wahrscheinlicher. „Ich sage Ihnen, dass wir unsere Kinder in einen globalen Schulbus hineinschieben, der mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit tödlich verunglückt“, sagt Hans Joachim Schellnhuber, Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.
Und egal, was überall in Politik und Medien gestreut wird: Wir haben kein Budget mehr! Wir haben kein fucking Budget mehr! Wir haben schon viel zu viel verbrannt!
António Guterres, UN-Generalsektretär, sagte vor kurzem: „Die weltgrößten Verursacher von Treibhausgasen machen sich gerade der Brandstiftung an unserem einzigen Zuhause schuldig.“ Die weltweit größten Verursacher – das sind auch wir in Deutschland.
Das ist ein Notfall. Und wir haben nur noch zwei oder drei Jahre Zeit, unsere Gesellschaft komplett umzustrukturieren. Ansonsten werden die Konsequenzen verheerend sein. Das ist keine Meinung. Das ist wissenschaftlicher Konsens. Wir haben keine Zeit mehr für Versprechen, die ur auf dem Papier stehen. Wir haben keine Zeit mehr, Maßnahmen und Diskussionen auf später zu verschieben. Wir haben keine Zeit mehr, einfach weiter zu machen wie bisher und unser Leben zu leben, als würde nichts geschehen.
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Demos und Petitionen reichen nicht mehr
Die vergangenen Jahre haben gezeigt: Höfliche Gespräche mit Politiker:innen, große Laufdemos, die nach ein paar Stunden wieder vorbei sind, und Petitionen, die feierlich und mit der schüchternen Bitte, sich das mal anzusehen und drüber nachzudenken, überreicht werden, werden uns und die Welt nicht retten.
Es wurden Dinge angestoßen, das ja. Aber wir sind immer noch meilenweit davon entfernt, den Kollaps auch nur einigermaßen aufzufangen. Vor diesem Hintergrund sehen wir – die Menschen des Aufstands der letzten Generation – es als unsere Pflicht an, den Aktivismus auf die nächste Stufe zu heben und in den friedlichen zivilen Widerstand zu treten. Und wir laden euch alle ein, es uns gleich zu tun. Wer mehr über den Widerstand wissen: Heute, Donnerstag, und am Sonntag sind beispielsweise Online-Vorträge geplant.
Blutige Geldwirtschaft
Warum gehen wir jetzt Banken an? Ganz einfach: Weil alles Geld, das in Umweltzerstörung und fossile Energien investiert wird, blutiges Geld ist. Macht bedeutet immer auch Verantwortung. Und in einer Welt, in der Geld alles ist, kommt gerade Banken eine Schlüsselrolle zu.
Um Klimaneutralität zu erreichen, sind Investitionen in gigantischer Höhe erforderlich. Allein in Deutschland bis zu 130 Milliarden Euro jährlich. Gleichzeitig wurden seit dem Klimaschutzabkommen von Paris 2015 insgesamt 144 Garantien für weltweite fossile Projekte vergeben. Das sind fast 12 Milliarden Euro. Und es geht immer weiter.
Deshalb fordern wir:
1. Stoppt alles Geld für die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas! Und jeglichen weiteren Ausbau fossiler Infrastruktur.
2. Gerechte Notfallwirtschaft jetzt!
Die Bundesregierung und die Banken müssen eine Erklärung abgeben, dass sie alle Unterstützung, alle Finanzierung und allen Ausbau von neuer Infrastruktur für die fossilen Brennstoffe Öl, Kohle und Gas in der Bundesrepublik und auf der ganzen Welt einstellen.
Allerspätestens der Krieg gegen die Ukraine und der neue Weltklimabericht zeigen: Das ist jetzt der notwendige Schritt. Kein Geld mehr für Krieg und Zerstörung unserer Gesellschaft! Lassen wir fossiles Öl, Kohle und fossiles Gas weltweit im Boden. Wir brauchen jetzt 100 Prozent erneuerbare Energien. Das können wir nur zusammen schaffen. Wir brauchen einen Umbau und keinen Lieferantenwechsel!
Wir alle sind die letzte Generation, die den totalen Klimazusammenbruch noch aufhalten kann. Unsere Regierung muss endlich anfangen ihren Job zu machen. Denn die aktuellen Pläne bringen uns um.
Wir sind die letzte Generation im Widerstand gegen die Klimakipppunkte. Jede:r von uns muss sich jetzt entscheiden: Verdränge ich weiter die Krise oder gehe ich mit auf die Straße?
Kommt und macht mit. Denn uns bleibt keine Zeit.
Text: Eileen Blum von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Fotos und Video: Aufstand der letzten Generation
Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht
Es wäre sinnvoll, diese Aussagen, die zwar wissenschaftlich verifiziert sind, aber wahrscheinlich noch immer nur von einer Minderheit wirklich geglaubt werden, auf die Konstanzer Kommunalpolitik herunterzubrechen: Am Beispiel der Zersiedelung von Landschaft bzw. der – waren es 27 Bauvorhaben gleichzeitig? – Versiegelung von Boden. Beides Topklimakiller und dem Erhalt von Fauna und Flora nicht zuträglich. Ich kann als regelmässige Zeitungsleserin und Spaziergängerin am Beispiel des Hafner argumentieren. Anfangs twitterte die Stadtverwaltung noch, falls der neue Stadtteil am Hafner nicht realisiert werden könne, müsse eben Wald für ein Neubaugebiet abgeholzt werden. Kurz darauf wurde dann doch der Klimanotstand ausgerufen und die Wiederwahl von Hr. Burchardt zum Oberbürgermeister kann durchaus als Abstimmung über das Projekt Hafner in der Bevölkerung gewertet werden. Mittlerweile haben alle Parteien im Gemeinderat der Überbauung zugestimmt, obwohl die kritischen Stellungsnahmen von BUND und Nabu zumindest die Grünen hätten zu Einsicht bringen müssen. D.h. unterm Strich wurde zwar der Klimanotstand ausgerufen, aber dieses Projekt wurde und wird als „alternativlos“ eingestuft. Und schon haben wir einen neuen Ausgangspunkt bzw. eine neue Baseline, von der aus versprochen wird, den Klimawandel zu bekämpfen. Vergessen sind alle Eingriffe und Schädigungen der Natur, die wir bereits vorgenommen haben und die uns mit in die jetzige Situation gebracht haben. Es bräuchte ein kommunales Gedächtnis, das noch parat hat, wie das war mit den diskutierten Grünbrücken für Wildtiere, die Kleinstschutzgebiete verbinden sollten, der Renaturierung von Strassen, die parallel verlaufen, warum es auch Gegenargumente gegen den Ausbau der B33 gab, etc.pp. Und so läuft es doch auf der ganzen Welt. Für den Erhalt der Art Mensch, wenn die Erde ausgelaugt und unbewohnbar geworden ist, wird es am Ende keine Übergangsfristen geben.