Der Klimacamp-Blog (60): Gasausstieg in Konstanz – ein Übersichtsartikel

Rund um das Thema fossiles Gas überschlagen sich gerade die Ereignisse. Seit Beginn des Kriegs hat Deutschland 9,1 Milliarden Euro für fossile Energien an Russland gezahlt, der Großteil davon für Gas. Und neben diesem Aspekt muss ein Gasausstieg im Zentrum jeder Energiewende stehen. Auch für die Konstanzer Klimaschutzstrategie ist der Gasausstieg die zentralste Maßnahme. Höchste Zeit also, mal ein wenig Ordnung in die Debatte zu bringen und zusammenzufassen, wo wir gerade stehen und was jetzt in Konstanz passieren muss.

Bundespolitisch passieren auch gerade sehr viele relevante Ereignisse, die uns über Jahrzehnte in neue Gasabhängigkeiten stürzen könnten, auf die ich in diesem Artikel aber nicht eingehen werde. Wer eine kurze Einschätzung über die bundespolitischen Entwicklungen lesen will: Lasse Thiele vom Konzeptwerk Neue Ökonomie fasst in einem Twitter-Thread die wichtigsten Ereignisse auch rund um das per Fracking gewonnene Flüssiggas (LNG) zusammen.

Zudem: Es gibt mittlerweile eine Reihe von Studien zum Thema Gasembargo und alle Studien kommen zu dem Ergebnis, dass ein russisches Gasembargo zwar Einschnitte bedeuten würde, aber handhabbar wäre (siehe zum Beispiel hier oder hier). Das Faszinierendste an diesen Studien ist für mich, dass ca. 20 Prozent der momentanen Gasnachfrage durch einfache Verhaltensänderungen einsparbar wären. In Zeiten einer außer Kontrolle geratenen Klimakrise ist das auch nicht schlecht zu wissen, falls sich Regierung und Bevölkerung eines Tages dazu entscheiden sollten, das Problem ernst zu nehmen.

Aber jetzt zu Konstanz.

Die Bedeutung des Gasausstiegs für den Klimaschutz in Konstanz

Rund die Hälfte der ca. 430.000 Tonnen Treibhausgas-Emission, die Konstanz verursacht, stammen vom Heizen. Davon wiederum sind fast 70 Prozent auf das Heizen mit fossilem Gas zurückzuführen; der Rest kommt vom Heizen mit fossilem Öl.

Womöglich unterschätzen diese Angaben sogar die tatsächlichen Treibhausgas-Emissionen, denn in der Vergangenheit wurden die Lecks bei Förderung und Verteilung systematisch unterschätzt. Der Hauptbestandteil von fossilem Gas ist Methan (CH4) einem Treibhausgas, das die Erde etwa 30 mal so stark aufheizt, wie CO2. Dadurch sind diese Lecks sehr relevant. Und obwohl Gas etwas effizienter verbrannt werden kann als Kohle oder Öl, ist es dadurch genauso klimaschädlich oder sogar noch klimaschädlicher.

Daher steht der Gasausstieg im Zentrum der Konstanzer Klimaschutzstrategie. Nach Berechnungen des Instituts für Energie.- und Umweltforschung (Ifeu) Heidelberg muss bis 2035 der Gasverbrauch in Konstanz um 90 Prozent reduziert werden. Immerhin hat das z– umindest dem Wortlaut nach – auch OB Uli Burchardt verstanden. Anfangs des Ukraine-Kriegs schrieb er auf Twitter: „Ich werde ja auch heute noch immer wieder mal gefragt, was es bringen soll, die Stadt Konstanz klimaneutral zu machen. Vielleicht sage ich künftig: wir machen sie gasfrei.

Die Gaspipeline:

Im letztes Jahr gab es intensive Diskussionen und Aktionen von diversen Klimagruppen, weil die Stadtwerke Konstanz planten, das Gasnetz mit einem Pipelinebau an das Schweizer Gasnetz zu erweitern (siehe dazu zum Beispiel den Klimacamp-Blog 23). Offiziell ist die Option noch nicht ausgeschlossen, doch Stadtwerke-Chef Norbert Reuter sagte dazu neulich in einem Interview mit dem Südkurier: „Ich gehe nicht davon aus, dass wir diese zweite Einspeisung bauen müssen.“

Das zu feiern ist allerdings noch zu früh, denn wir erleben noch nicht eine Wärmewende, wie wir sie benötigen. Und die politische Erfahrung hat gelehrt, vorsichtig zu sein. Doch vielleicht können wir vorsichtig optimistisch in die Zukunft blicken. Der Aufsichtsrat der Stadtwerke tagt morgen (am Dienstag, 3. Mai), vielleicht wird auf dieser Sitzung auch über die Gaspipeline entschieden. Klar muss auf jeden Fall sein: Die Erdgaspipeline würde alle Klimaschutzbemühungen torpedieren; sie ist nicht mit einer Energiewende vereinbar.

Fossilfreie Heizungssysteme

Etwas vereinfachend gibt es vier Arten von erneuerbaren Heizungssystemen, die für Konstanz relevant werden: Wärmenetze, Wärmepumpen, Solarthermie und Biomasse.

Wärmenetze sind im Grunde erst mal nur Rohre, durch die Wasser fließt. Dieses Wasser wird dann zum Heizen benutzt. Entweder wird das Wasser zentral aufgeheizt oder im Sonderfall kalte Wärmenetze fließt kaltes Wasser durch die Leitungen, das dann von jedem Haushalt als Wärmemedium benutzt wird, um eine Wärmepumpe effizienter zu betreiben. Falls das Wärmenetz zentral aufgeheizt wird, muss es natürlich auch eine oder mehrere Heizzentralen haben, die das Wasser erwärmen. Das ist in der Regel eine Kombination verschiedener Heizungen. Im Konstanzer Fall sind hierbei Seewärme und Abwasserwärme besonders interessant, abgesehen von den üblichen Heizungen (Wärmepumpe, Biomasse und für seltene Lastspitzen eventuell sogar eine fossile Heizung).

Wärmenetze reichen von wenigen Metern, um einzelnen Häuser miteinander zu verbinden, bis zu vielen Kilometern, um ganze Regionen mit Wärme zu versorgen. Dabei wird zwischen Nahwärmenetzen und Fernwärmenetzen unterschieden, je nach Länge, die Übergänge sind aber fließend. Das überaus praktische an Wärmenetzen ist, dass man durch ein Netz gleich einen ganzen Häuserblock auf erneuerbare Energien umstellen kann. Außerdem müssen die Häuser nicht vorher extra gedämmt werden. So hat man mit Wärmenetzen häufig die Chance, deutlich schneller voranzukommen mit der Wärmewende, als wenn jede:r sich selbst darum kümmern soll, sein Haus zu dämmen und die Heizung zu wechseln. Wärmenetze sind daher zentral, um in 13 Jahren klimaneutral zu werden.

Wärmepumpen entziehen genauso wie ein Kühlschrank mithilfe von Strom der Umgebung Wärme und geben diese an ein Objekt ab. Als Umgebung gibt es verschiedene Möglichkeiten – zum Beispiel Erdwärme (man entzieht der Erde Wärme), Luftwärme (man entzieht der Luft Wärme) oder Seewärme (man entzieht dem See Wärme).

Der Vorteil der Wärmepumpe ist, dass sie im Vergleich zu Stromheizungen etwa viermal so effizient sind. Häufig bietet es sich an, das Gebäude vor dem Einbau der Heizung zu dämmen, um dann eine kleinere Wärmepumpe einzubauen. Neuerdings gibt es jedoch auch zunehmend Wärmepumpen, die auch für ungedämmte Häuser gut funktionieren.

Biomasse ist der große Überbegriff für alle Arten von biologischen Resten. Angefangen von Kuhdung bis hin zu Holz. Relevant sind vor allem Hackschnitzel- Heizungen und Pellet-Heizungen. Das große Problem an Biomasse ist, dass sie nur sehr begrenzt verfügbar ist. Nachhaltig kann nur verheizt werden, was in demselben Zeitraum wieder nachwächst. Außerdem werden in Zukunft größere Teile der Wälder aus der Bewirtschaftung genommen werden müssen, um sowohl dem Artensterben entgegen zu wirken, als auch CO2 aus der Atmosphäre wieder zu binden. Durch das große Waldsterben der letzten Jahre gibt es momentan aber noch relativ viel Holz, das durch Borkenkäferbefall auch nicht zum Bauen geeignet ist.

Solarthermie nutzt Sonnenkollektoren, die sich durch Sonneneinstrahlung aufheizen. Die Wärme wird dann wiederum genutzt, um zum Beispiel einen Warmwasserspeicher aufzuheizen. Früher war Solarthermie eine der Hauptoptionen, um klimaneutral zu heizen. Durch den rapiden Preisfall bei PV-Anlagen, Batteriespeichern und Wärmepumpen ist der Anwendungsbereich kleiner geworden, was sie dennoch nicht obsolet macht. In Dänemark zum Beispiel werden ganze Dörfer über mit Solarthermie aufgewärmten Wärmenetzen beheizt.

Weltgrößte Solarthermie Anlage im dänischen Silkeborg

Heizungsmix für Konstanz:

Das Ifeu Institu hat berechnet, wie der Konstanzer Heizungsmix 2050 aussehen sollte: 12 Prozent Erdgas, 44 Prozent Wärmenetzen (das ist eine Ausweitung um 260 Prozent; wie das Wärmenetz beheizt wird, ist dann nochmal eine andere Frage), 10 Prozent Solarthermie, 21 Prozent Wärmepumpe und 13 Prozent Biomasse.

Wärmenetze in Konstanz

Momentane Wärmenetze: Im Energienutzungsplan wurde 2018 eine Übersicht angefertigt mit allen Wärmenetzen in Konstanz (siehe Abbildung). Diese Abbildung ist zwar etwas veraltet, ich vermute jedoch, dass sie sich nicht grundlegend verändert hat. Schließlich heißt es in der Klimaschutzstrategie: „Beim Ausbau der Wärmenetze im Bestand sind die meisten vorgeschlagenen Projekte (siehe Energienutzungsplan) noch nicht umgesetzt.“

Die Abbildung zu den momentanen Wärmenetzen ist insofern interessant, als man erkennt, dass es auf der einen Seite sehr wenige sind. Auf der anderen Seite sieht man noch viele Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK). Dabei werden meistens fossile Brennstoffe verbrannt, um Strom zu erzeugen und die anfallende Abwärme zum Heizen genutzt. Das erhöht zwar etwas die Effizienz und wird deshalb auch heute noch vom Bund gefördert. Da man aber immer noch fossilen Brennstoffe verbrennt, ist das keine Option, um klimaneutral zu werden.

Zukünftige Wärmenetze in Konstanz

Gerade für Hausbesitzer:innen, die aufgrund der Klimakrise, des Kriegs oder der hohen Gaspreise demnächst die Heizung wechseln wollen, ist es wichtig zu wissen, ob es in Zukunft bei ihnen ein Wärmenetz geben wird. Davon wird dann abhängen, ob sie noch bis zr Fertigstellung des Netzes warten, oder ob sich bereits jetzt um Ersatz (vor allem Wärmepumpe) kümmern müssen, und dann einem eventuellen Wärmenetz auch nicht mehr zur Verfügung stehen würden.

Die Stadt und die Stadtwerke haben hierzu in der Vergangenheit immer gesagt, dass sie das noch nicht wissen und diese Infos erst in ein paar Jahren da sein werden, wenn der Masterplan Wärme fertig ist. Diese Info verwundert mich etwas, denn bereits seit vier Jahren gibt es den Energienutzungsplan, der bereits kartografiert hat, welche Quartiere wie viel Energie benötigen und wo daher ein Wärmenetz sinnvoll ist.

Der Masterplan Wärme wird diese Information noch genauer bereitstellen können, nur haben wir sicherlich keine Zeit zu warten, bis dieser fertig ist, bevor wir anfangen Wärmenetze zu bauen. In der Abbildung sind die rot schraffierten Gebiete als Vorranggebiete für Wärmenetze ausgezeichnet. Meine Vermutung ist daher: Wenn das Haus in einem der rot schraffierten Gebiete steht, dann wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten Jahren ein Wärmenetz kommen (oder sollte zumindest kommen). Wenn das Haus außerhalb der rot schraffierten Gebiete steht, dann wohl eher nicht. Die rot schraffierten Wärmenetz Gebiete sind:

Geschwister-Scholl-Schule (Fürstenberg)
– Verkehrslandeplatz Nord (Industriegebiet)
– Berchen Gebiet (Wollmatingen)
– Brückenkopf Nord bis Benediktinerplatz (Petershausen-West)
– Nördlicher Bereich des Stadtteils Paradies
– Altstadt-Süd in Verbindung mit Stadelhofen (Altstadt)
– Ortsteil Litzelstetten

Die dunkelblaue Linie ist übrigens der Abwasserkanal der Stadt, der sich im orange eingefärbten (nicht schraffierten Bereich) gut für Abwasserwärme nutzen würde. Diese orangene Fläche umfasst 11 Prozent der Konstanzer Häuser, die 20 Prozent der Wärme in Konstanz verbrauchen und die alle potenziell mit Abwasserwärme beheizt werden könnten.

Fazit

Die Wärmewende ist zentral, um klimaneutral zu werden und um uns endlich von fossilen Brennstoffen unabhängig zu machen. Damit hier endlich etwas mehr Schwung in die Umsetzung kommt, muss schnellstmöglich angefangen werden, in die bereits identifizierten Vorranggebiete zu investieren. Das ist eine der wichtigsten Klimaschutzmaßnahmen, die die Stadt und die Stadtwerke umsetzen können. Zeitgleich sollte natürlich endlich die extrem dämliche Debatte um einen Ausbau des Gasnetzes beendet werden. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, die Gasnetze in den nächsten Jahren zurückzubauen.

Text: Manuel Oestringer von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Illustrationen: 
Klimastadtplan Konstanz Klimapositiv / Energienutzungsplan / https://www.energywatchgroup.org/wp-content/uploads/EWG_Erdgasstudie_2019.pdf / Energieatlas Bayern / Argon Sunmark (vom Klimacamp zur Verfügung gestellt). 

 

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(59) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil III
(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht