Der Klimacamp-Blog (65): Können Klimabewegungen und Gewerkschaften zusammen Ziele erreichen?
Letzte Woche saß ich als Klimaaktivist auf einem vom ver.di-Ortsverein Medien+Kunst Konstanz organisierten Podium über die Zukunft der Gewerkschaften. Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie es gelingen kann, dass Arbeitskämpfe und Klimaschutz Hand in Hand gehen und wir für alle Menschen ein gutes Leben innerhalb planetarer Grenzen organisieren können.
Hängen Klimaschutz und der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen zusammen? Natürlich. Mit zu den Hauptgründen, warum so wenig beim Klimaschutz passiert, zählt die extreme Machtkonzentration in den Händen einer kleinen reichen Elite. Diese hat ein großes Interesse daran, den Status Quo zu erhalten, und kann die Folgen der ökologischen Zerstörung an die (marginalisierte) Bevölkerung auslagern. Dieselbe reiche Elite kontrolliert die Produktionskapazitäten, entscheidet also damit, was produziert wird. Zudem feiert sie ihren Reichtum durch klimaschädlichen Konsum und verstärkt diese Konsummuster durch ihre Vorbildfunktion.
Außerdem zerstört die von ihr geschaffene extreme Ungleichheit den sozialen Zusammenhalt, verhindert wirkungsvolle Klimaschutzmaßnahmen und erlaubt es derselben reichen Minderheit, Desinformationskampagnen zu starten. Man denke nur an die absurden, jahrzehntelang aufrchterhaltenen Behauptungen, dass Blei im Benzin nicht gesundheitsschädlich sei, Rauchen keinen Krebs verursache und der Klimawandel ist nicht menschengemacht sei. All das bündelt sich im weltweit verfolgten Konzept des unendlichen Wirtschaftswachstums, das momentan fast den kompletten zusätzlichen finanziellen Reichtum in den Hände weniger konzentriert – auf Kosten der Ausbeutung von Umwelt und Menschen. Siehe dazu die folgende Grafik:
Wirtschaftswachstum ist der Haupttreiber der ökologischen Zerstörung. Alles deutet darauf hin, dass mit weiterem globalen Wachstum ein Leben innerhalb der planetaren Grenzen nicht möglich ist. Das ergab beispielsweise eine gerade veröffentlichte Studie von 23 Wissenschaftler:innen. In ihr heißt es: r um hier eine große Zusammenfassung zu zitieren, die untersucht hat, warum so wenig gegen die Klimakrise getan wird: „Das Ausmaß und die Geschwindigkeit des fortschreitenden Klimawandels ist … ein Symptom einer ‚funktionierenden‘, aber hochgradig unnachaltigen, globalen Ökonomie.” (siehe den Beitrag „Three Decades of Climate Mitigation“. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch eine andere Untersuchung.
Zukunftsorientierte Ansätze …
Die Lösung dieser Probleme liegt teilweise in Arbeitskämpfen: Um aus der Wachstumsschlaufe auszusteigen, muss die Produktion – und damit die Arbeit – reduziert werden. Dazu gehören zahlreiche Begleitmaßnahmen: Umverteilung von oben nach unten, ein anderes Finanzsystem, ein Schuldenerlass, Demokratisierung der Arbeitswelt, Aufbau effizienter Versorgungssysteme für alle. Viele, wenn auch nicht alle dieser Maßnahmen, sind auch ein Anliegen der Gewerkschaften.
Diese Verbindung zwischen Arbeitskampf und Klimakrise ist jenem (kleinen) Teil der Bevölkerung bekannt, der sich ausführlicher mit dem Thema Klimakrise beschäftigt. In der Praxis jedoch sind die beiden Aspekte nicht so leicht zu verknüpfeb. Doch es gibt Ausnahmen. Vor zwei Jahren zum Beispiel forderten ver.di und Fridays for Future gemeinsam eine Verkehrswende und einen bundesweiten Tarifvertrag für Beschäftigte im ÖPNV. Und es gibt auch Geschichten von Belegschaften, die zusammen mit Klimagruppen demonstrieren, weil ihre Betriebe (zur Erzeugung schädlicher Güter) geschlossen werden sollen und die nun die Produktion gesellschaftlich nützlicher Dinge fordern. Das zeigt etwa das Beispiel einer Kooperation von Bosch-Arbeiter:innen und Klimaaktivist:innen in München.
… und rückwärtsgewandtes Beharren
Das sind hoffnungsvolle Projekte. Dennoch ist es in der Praxis häufig schwierig, eine starke Allianz zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung zu formen. Das liegt auf der einen Seite darin, dass viele Gewerkschaften den Status Quo erhalten wollen, statt sich aktiv in die Transformation einzubringen. In Sachen Kohleausstieg war die Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE), die Kohlearbeiter vertritt, fast ein größerer Widersacher als der Energiekonzern RWE.
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Zudem sind auf allgemeiner und theoretischer Ebene die Verbindungen Beziehungen zwischen Klimakrise und Arbeitskampf zwar leicht erkennbar, auf lokaler und praktischer Ebene aber nicht so einfach umzusetzen. Nicht jeder Kampf für bessere Bezahlung ist ein Kampf für Klimaschutz, weil höhere Löhne nicht zwangsläufig zu mehr Klimaschutz führen, sondern oft erstmal zu mehr Konsum.
Was also tun? Auf der einen Seite ist es wichtig, dass sich Gewerkschaften ein Stück weit von der unmittelbaren Betriebsarbeit lösen und stärker den politischen Kontext berücksichtigen. Das ist auch ohne Klimakrise nötig, da viele unregelmäßig und prekär Beschäftigte kaum noch Zugang zu den Gewerkschaften haben und die Verhandlungsstärke der Gewerkschaften gerade sinkt. Im Klimakontext ist es ohnehin nötig, eine gesamtgesellschaftliche sozial-ökologische Transformation zu fordern.
Den Widerstand neu organisieren
Das setzt eine Bewegung von unten voraus. Für mich heißt das: die ökologischen und sozialen Bewegungen müssen lokale Projekte gemeinsam erkämpfen. Ein besserer und fahrscheinloser ÖPNV, damit Arbeitende besser zum Betrieb kommen. Ein Recht auf Homeoffice, damit die Arbeit besser wird und das Verkehrsaufkommen sinkt. Umverteilung des Wohnraums, damit innerhalb des bestehenden Gebäudevolumens genügend bezahlbare Wohnungen für alle entstehen. Regionalisierung der Produktion und des Verkaufs. Verringerung der Arbeitszeit. Demokratisierung des Betriebs. Projekte gibt es genügend, doch fast alle leiden etwas unter dem Grundproblem, dass diese Forderungen deutlich über reine tarifliche Lohnforderungen hinaus gehen.
Die andere Schwierigkeit sehe ich darin, dass die Arbeitskämpfe seltener und schwächer geworden sind, dass das Wort Arbeitskampf als linker Kampfbegriff verpönt ist und dass viele Menschen glauben, dass Arbeitskonflikte sie nicht betreffen. Dabei zählen sich deutlich weniger Menschen zur Unterschicht, wie dort – statistisch gesehen – sind. Als Akadamiker:in denkt man nicht, dass man einen Arbeitskampf führen muss (man ist ja kein:e Arbeiter:in), auch wenn viele wissenschaftliche Mitarbeiter:innen miserabel bezahlt werden und unter zu großem Druck leiden. Und die in wirklich prekären Verhältnissen lebenden Menschen beteiligen sich – weil isoliert und uninformiert – ohnehin kaum an Arbeitskämpfen.
Der Widerstand, so sehe ich das, muss in jedem Fall neu organisiert werden. Einerseits tragisch, denn wir haben in der Klimafrage keine Zeit mehr, und auch die soziale Frage drängt zu sehr schnellem Handeln. Andererseits aber vielleicht auch eine Chance, um die großen politischen Themen unserer Zeit anzugehen.
Die Zeit läuft ab
Wir werden in den nächsten Jahren also zwei Trends erleben: einen absolut dramatischen und schrecklichen, und einen optimistisch stimmenden, weil er den Aufbau einer neuen Gesellschaft ermöglicht. Einerseits nimmt die Ungleichheit weiter zu und wird dafür sorgen, dass viele Menschen weiter verarmen. Andererseits gewinnt auch die Klimakrise an Fahrt und wird alles bisher Erlebte als Pillepalle verblassen lassen. Beides sind Dynamiken, die viele Menschen in Existenznot bringen werden. Mit einer gut aufgestellten sozial-ökologischen Bewegung kann es uns gelingen, diese Entwicklungen für tatsächliche Systemveränderungen zu nutzen. Selbstverständlich wird dies jedoch nicht sein. Trotz großer Armut und Klimakatastrophe ist es der Gegenseite bis jetzt häufig gelungen, aus diesen beiden Trends die vollkommen falschen Schlüsse zu ziehen und diese der Bevölkerung zu verkaufen.
Schaffen wir es, eine starke Bewegung aufzubauen, die die Klimakatastrophe und die dramatische soziale Ungleichheit als zwei Seiten derselben Medaille sieht? Und kämpfen wir mit der Vehemenz existenzbedrohter Menschen? Davon wird es abhängen, ob wir eine Zukunft auf diesem Planeten haben oder nicht. In jedem Fall müssen wir sehr schnell sein, denn das Zeitfenster für 1,5 Grad und damit dem Vermeiden der größten Kipppunkte schließt sich gerade sehr sehr schnell.
Text: Manuel Oestringer von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Grafik: Aus dem Buch „Weniger ist mehr“ von Jason Hickel, Oekom-Verlag, 2022
Fotos aus der ÖPNV-Tarifrunde 2020 von ver.di und FFF (oben: Hannover, unten: Stuttgart): © ver.di
Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(64) Zwei Stunden pro Woche für das Camp!
(63) Was will die „letzte Generation“?
(62) CETA oder Klima
(61) Klima-Bahn oder Betonbahn?
(60) Gasausstieg in Konstanz – ein Übersichtsartikel
(59) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil III
(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht