Der Klimacamp-Blog (80): Weder Kinderkram noch Grüne RAF
Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) twitterte: „Wer sich auf Straßen festklebt, möchte Politik und Gesellschaft erpressen. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Das gilt auch für die Klimabewegung. Die Aktionen sind strafbar.“ Ähnlich argumentiert auch ein Kommentator des Klimacamp-Blogs 79, der es „geradezu anmaßend“ fand, dass ich das im Grundgesetz verankerte Widerstandsrecht für unsere „Zwecke in Anspruch“ nehme.
Dieses Mal möchte ich es als Erwiderung weitgehend bei folgendem Kommentar belassen, den ich vor drei Monaten in der taz gelesen habe; geschrieben hat ihn der Politologe Claus Leggewie:
„Die vehemente Form des Auftretens von Klimaschützern darf allerdings deren politisches Engagement nicht abqualifizieren, in einem demokratischen Dialog schließen sich vielmehr drei Fragen an:Ist die Inszenierung von radikalen Protesten gegen unterlassenen Klimaschutz als Notwehr inhaltlich nachvollziehbar? Ist sie demokratisch legitim? Ist sie geeignet, Klimaschutz zu verbessern und zu beschleunigen? (…)
Die von Klimaaktivisten geforderten Maßnahmen von der Agrarwende bis zur Verkehrswende sind allesamt gut zu begründen und bei entsprechend veränderter Prioritätensetzung technisch wie finanziell machbar.
Die politischen Eliten sollten sich hüten, mit der Kritik am „unpassenden“ Auftreten radikaler Protestgruppen deren Zielsetzungen zu desavouieren – und erst recht, sie als radikale Minderheiten abzuwerten, deren Forderungen von den „Menschen draußen im Lande“ nicht geteilt würden. Die Zustimmung zu engagierterem Klima- und Artenschutz ist bekanntlich sehr breit. Die Frage an die vehementen Klimaaktivisten lautet also, ob sie diese Unterstützung nutzen oder sie durch ungeeignete Protestaktionen aufs Spiel setzen wollen. Die Forderung an die politischen Repräsentanten lautet dann, die existenziellen Motive der Protestbewegung zu erkennen und sie nicht als Kinderkram oder ‚grüne RAF‘ zu denunzieren, sondern auch dem eigenen politischen Handeln zugrunde zu legen.“
Einfach zusammengefasst: Was wir fordern ist fundiert, machbar und gut begründet. Auch wenn es oft nicht so dargestellt wird, steht der Großteil der Bevölkerung hinter unseren Forderungen nach politischer Veränderung hin zu einer gerechteren ökologisch nachhaltigen Welt. (Auch wenn nicht zwingend hinter der Aktionsform – aber dazu an anderer Stelle mehr.)
Die Politik sollte also aufhören, sich hinter der Kritik an der Aktionsform zu verstecken, sondern handeln, als hinge unser Leben und der Fortbestand unserer Gesellschaft beziehungsweise der Zivilisation generell davon ab. Denn im Grunde tut es genau das.
Unser Ziel ist es mitnichten, die Politik oder gar die Gesellschaft zu erpressen. Im Gegenteil.
Was wir als Letzte Generation fordern, ist nichts anderes als das, was die Wissenschaft als unabdingbar notwendig erachtet, wenn wir eine Chance haben wollen, auch in ein paar Jahrzehnten noch halbwegs gut und komfortabel zu leben, ohne in Naturkatastrophen, Wasser- und Nahrungsmittelkrisen und daraus resultierenden gesellschaftlichen Spannungen zu versinken.
Es geht uns nicht darum, eigene Meinungen durchzusetzen. Zumindest wenn man die Frage „Wollen wir eine Zukunft auf diesem Planeten?“ eher als rhetorische denn als tatsächliche Frage interpretiert. Aber wer weiß, vielleicht nehmen Olaf Scholz und insbesondere Christian Lindner das Ganze auch zu wörtlich und haben für sich selbst (und dummerweise gleichzeitig für uns andere mit) entschieden: „Wer braucht schon eine Zukunft, wenn man stattdessen heute ohne Tempolimit Auto fahren kann?“
Text: Eileen Blum vom Konstanzer Klimacamp
Bild: Verkehrsblockade der Letzten Generation am 6. September in Stuttgart (Quelle: https://letztegeneration.de/presse/)
Die Klimacamp-Blogs werden von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(78) Die Hoffnung stirbt, die Aktion beginnt
(77) Harakiri oder Amoklauf?
(76) Mehr Gas beim Klimaschutz, weniger in der Leitung
(75) Motorboot fährt Klima tot
(74) Es geht weiter!
(73) (K)ein Grund zu feiern
(72) Ein Jahr Klimacamp
(71) Große Hektik, wenig Zukunft
(70) Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe?
(69) Warm- oder Kaltbaden? Ein Dilemma
(68) Der klimaneutrale Weinhändler
(67) Was der Deutschlandfunk berichtet
(66) Weniger ist mehr
(65) Können Klimabewegungen und Gewerkschaften zusammen Ziele erreichen?
(64) Zwei Stunden pro Woche für das Camp!
(63) Was will die „letzte Generation“?
(62) CETA oder Klima
(61) Klima-Bahn oder Betonbahn?
(60) Gasausstieg in Konstanz – ein Übersichtsartikel
(59) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil III
(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht
Sehr geehrter Herr Michels,
Bzgl. der Frage, ob die mutwillige Blockade von Straßen durch „Klimaschützer“ den Tatbestand der Nötigung erfüllt – bzw. erfüllen kann – verweise ich bespielhaft auf eine Entscheidung des Amtsgerichts München (nachzulesen in der FAZ vom 17. September 2022). Das Gericht hat Straßenblockierer gemäß Jugendstrafrecht wg. Nötigung verwarnt.
Bzgl. der Frage, ob das Blockieren von Straßen seitens der „Klimaschützer“ dadurch legitimiert werden könne, weil es im Sinne des GG eine Widerstandshandlung zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland sei, möchte ich hier zunächst den vollen Wortlaut des entsprechenden GG-Artikels zur Kenntnis geben:
Artikel 20
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Dieser Artikel bietet den Bürgern die verfassungsrechtliche Grundlage für mögliche Widerstandhandlungen gegen eine Regierung, für den Fall – und ausschließlich für diesen Fall -, dass diese Regierung die freiheitlich demokratische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen will; dies aber nur für den Fall, „wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“.
Wenn wir den zur Debatte stehenden vorliegenden „Fall“ betrachten, so kann festgestellt werden, dass die jetzige Bundesregierung NICHT beabsichtigt, die „verfassungsmäßige Ordnung“ der Bundesrepublik zu beseitigen. Ferner kann festgestellt werden, dass es zahlreiche rechtliche und politische Möglichkeiten gibt, Einfluss auf die Politik zu nehmen, um die Politik der Regierung zu beeinflussen – auch in Sachen Klimaschutz. Des Weiteren ist festzustellen, dass die derzeitige Bundesregierung auch von einer Partei gebildet wird, die sich ausdrücklich dem Politikfeld Umwelt- und Klimaschutz widmet und für den Klimaschutz eintritt. Ferner ist festzuhalten, dass das Thema Klimaschutz (1) auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen und in allen Massenmedien omnipräsent ist, es (2) eine kaum noch zu überschauende Zahl an Maßnahmen (einschließlich entsprechender Subventionen) und Gesetzen gibt, die sich ausdrücklich dem Klimaschutz widmen.
Somit kann festgestellt werden, dass ein „Widerstandsfall“ nach Artikel 20 GG nicht vorliegt.
Die Tatsache bzw. der Umstand, dass politische Vorstellungen und Forderungen nicht so (schnell) umgesetzt werden, wie es „die“ „Klimaschützer“ wollen, ist noch keine Legitimation für die Berufung auf Artikel 20 GG.
Zudem möchte ich anmerken, dass es die Logik der „Protestökonomie“ von Straßenblockaden geradezu zwingend erfordert, dass Gesetze gebrochen werden, denn nur so wird die erforderliche und gewünschte Aufmerksamkeit erzielt, die bei friedlichen und angemeldeten Demonstrationen und Kundgebungen von den Protestierenden allem Anschein nach als offensichtlich nicht erreichbar angesehen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Krause
Die korrekte juristische Einordnung hängt – wie immer – am konkreten Fall; gut zusammengefasst etwa hier:
https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/frage-an-fischer-blockade-noetigung-widerstand-klimaaktivisten/
Unabhängig davon, ganz ohne juristische Betrachtung:
Natürlich nervt es, wenn man in einem Stau steht. Noch mehr, wenn er absichtlich verursacht ist.
Es nervt aber auch (mich jedenfalls noch ein gute Stück mehr) wenn eine Gesellschaft mit offenen Augen gegen die Wand fährt.
> Aber dies ändert nichts daran, dass Straßenblockaden Nötigung sind.
Könnte sein. Ein Urteil dazu fand ich nicht. Spricht dagegen.
> Und es ändert auch nichts daran, dass Ihr Vorgehen nicht durch das Widerstandsrecht nach GG gedeckt sind.
Mhm. Da bin ich anderer Rechtsauffassung. Haben Sie eine Begründung dafür?
Sehr geehrte Frau Blum,
Ihre Forderungen mögen gut begründet sein. Aber dies ändert nichts daran, dass Straßenblockaden Nötigung sind. Und es ändert auch nichts daran, dass Ihr Vorgehen nicht durch das Widerstandsrecht nach GG gedeckt sind.
Nur weil etwas „richtig „ist, bedeutet dies nicht, dass man „freie Hand“ hat, sich über geltendes Recht zu stellen.
mfg
peter krause