Der Klima-Blog (87): Zeit für neue Aktionen!

„Die Erde hat womöglich einen sicheren Klimazustand verlassen (…), oberhalb von 1,5°C besteht eine deutlich erhöhte Gefahr, eine Vielzahl von Kipppunkten zu überschreiten, insbesondere das irreversible Abschmelzen größerer Eisschilde.“ Das steht in einem aktuellen Beitrag der wissenschaftlichen Publikation „Science“. Und weiter: „Die aktuelle Klimapolitik führt zu einer Erderhitzung zwischen 2 und 3°C. Diese Erhitzung würde vermutlich mehrere Klimakipppunkte auslösen.“ Die Zeit drängt also. Aber was unternimmt Konstanz?

Nüchtern fasst diese neue umfassende Analyse aller Kippelemente im Klimasystem unsere Lage zusammen. Kippelemente sind so etwas wie die Organe unseres Klimasystems. Überschreiten wir sie, erleben wir das Klimaäquivalent von Organversagen.

1,5°C ist sozusagen der letzte Zaun, bevor wir uns auf einem Minenfeld von Kipppunkten begeben. Dennoch rast unser Auto gerade mit Höchstgeschwindgkeit darauf zu. Darum befinden wir uns in einem Klimanotstand. Sobald man jedoch die wissenschaftliche Welt verlässt, ist von einem Klimanotstand nichts mehr zu spüren. So hält etwa der Konstanzer Gemeinderat fest, dass er nicht vor hat, die Gesamtanzahl an Parkplätzen zu reduzieren, sondern diese nur verlegen will. Und die Stadtwerke schreiben – mitten in einer Zeit der Erdgasknappheit – ihre Kund:innen mit dem Slogan an: „Erdgas – eine ideale Energie: Erdgas ist vielseitig, wirtschaftlich, bequem und schont die Umwelt“.

Dabei legt die vom Gemeinderat beschlossene Klimaschutzstrategie fest, dass die Gesamtanzahl an Autos bis 2035 halbiert werden soll und der Erdgasverbrauch auf nahe Null fallen muss. Aber was passiert? Man schreibt auf dieses oder jenes etwas Öko drauf. Zum Beispiel wenn man stolz verkündet, dass in einem Jahr die Fahrradstraße zum Döbele verlängert und noch eine zweite zum Hörnle errichtet werden soll. Nett, aber als Jahresbilanz etwas mager. Gewöhnen wir uns jetzt daran, dass immer Klimaziele verfehlen werden? Dabei sind diese Jahre jetzt entscheidend: Ob wir 2035 oder 2040 klimaneutral werden, ist wichtig. Aber viel wichtiger ist, ob wir es schaffen, bis 2025 unsere CO2-Emissionen zu halbieren. Denn momentan stoßen wir viel mehr CO2 aus.

Genug gelabert

Momentan deutet nichts darauf hin, dass wir dieses so wichtige Zwischenziel in drei Jahren auch nur ansatzweise erreichen. Denn dafür müsste man das Gelaber weglassen und endlich mal loslegen mit dem Klimaschutz. Ist es etwa zu teuer, den Stephansplatz umzubauen? Ein Schild mit der Aufschrift „Parken verboten“ reicht. Geht über Nacht. Auf dem Radweg der alten Rheinbrücke staut sich der Verkehr. Etwas blaue Farbe würde genügen, und schon wäre eine Autospur in eine Fahrradstraße umgewandelt. Die Wärmewende kommt nicht voran, weil der Wärmenetzplan nicht fertig ist und deshalb niemand weiß, wo sich ein Wärmenetz am meisten lohnt.

Die Klimakrise eskaliert, aber was wir erleben, ist eine radikale Realitätsverweigerung in Form eines „weiter so“. Darum haben wir die letzten 438 Tage Tag und Nacht protestiert. Bei Sonne, Regen und Schnee. Wir haben unzählige Gespräche mit Passant:innen geführt, Vorträge gehalten, Diskussionsrunden veranstaltet. Das Klimacamp war Druckmittel und Basis für alle Klimagruppen zugleich. Und obwohl wir begeistert sind, wie viele Menschen das Klimacamp mit uns ermöglicht haben, zeigt der politische Stillstand doch eigentlich nur, in was für absurden Zeiten wir eigentlich leben. Man hat sich daran gewöhnt, dass Jugendliche und Erwachsene Tag und Nacht protestieren, damit die Menschen in Regierungsverantwortung ihre Verantwortung auch wahrnehmen und alles in ihrer Macht stehende zu tun, das Überleben auf dem Planeten zu sichern. Und man hat sich daran gewöhnt, dass sie genau das nicht tun.

Kein Platz für Autos

Jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns wieder daran erinnern, was eigentlich normal ist. Wir bauen das Klimacamp ab, weil sich zu viele Menschen daran gewöhnt haben, dass ein paar Idealist:innen hinter dem Münster sitzen und sich Sorgen um ihre Zukunft machen. Es ist Zeit für neue Aktionen. Zeit, dass wir die Stadt daran erinnern, dass sie noch die Möglichkeit hat, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und dass manche dieser Entscheidungen unangenehm sein werden. Dass Menschen mit Autos sich nicht freuen, wenn die Parkpreise erhöht werden und es weniger Parkplätze gibt, ist uns auch klar. Ja, tut uns leid. Wir verstehen, dass das nervt. Aber wir haben in dieser Stadt keinen Platz für Autos. Und wir haben sicherlich kein CO2-Budget mehr dafür. Wir müssen jetzt handeln!

Das Klimacamp hat uns stark gemacht. Wir haben viele Freundschaften geschlossen und uns neu organisiert. Jetzt ist es aber an der Zeit, dass wir das Camp abbauen und mit neuen Aktionen alle daran erinnern, was hier eigentlich gerade auf dem Spiel steht.

Du hast Lust, dich dabei einzubringen? Dann komm doch vorbei. Unser Plenum findet ab sofort, also ab heute, wieder im Café Mondial statt – jeweils dienstags um 18 Uhr.

Text: Manuel Oestringer von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Foto (das Klimacamp wird aufgelöst): Pit Wuhrer

Veranstaltungshinweis:
Mittwoch, 26. Oktober 2022, 19.30 Uhr: Luise und Felix von Fridays for Future Konstanz erläutern die Ursachen der Klimakrise. Diese zwingt schon heute viele Menschen, ihre Heimat zu verlassen, und wird in Zukunft einer der Haupt-Fluchtgründe sein. Doch was sind die naturwissenschaftlichen Hintergründe der Klimakrise? Welche Folgen verursacht sie bereits und welche sind in Zukunft zu erwarten? Was hat es mit den sogenannten Kipppunkten auf sich und warum ist das 1,5 Grad Ziel so wichtig? Die Veranstaltung findet im Rahmen der Ausstellung “Klimaflucht” statt, siehe dazu das Faltblatt_Ausstellung_Klimaflucht. Ort: Bürgersaal, Stephansplatz Konstanz

Die Klima-Blogs werden von Aktivist:innen des bisherigen Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Die Serie wird auch nach dem Ende des Camps fortgesetzt.
Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(86) Klimakrise und Gesundheit
(85) Mythos Überbevölkerung, Teil 2
(84) Mythos Überbevölkerung, Teil 1
(83) Second Hand ist erste Wahl
(82) Klimastreik: Noch ist es nicht zu spät
(81) Es brennt
(80) Weder Kinderkram noch Grüne RAF
(79) Gefährliche Eingriffe?
(78) Die Hoffnung stirbt, die Aktion beginnt
(77) Harakiri oder Amoklauf?
(76) Mehr Gas beim Klimaschutz, weniger in der Leitung
(75) Motorboot fährt Klima tot
(74) Es geht weiter!
(73) (K)ein Grund zu feiern
(72) Ein Jahr Klimacamp
(71) Große Hektik, wenig Zukunft
(70) Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe?
(69) Warm- oder Kaltbaden? Ein Dilemma
(68) Der klimaneutrale Weinhändler
(67) Was der Deutschlandfunk berichtet
(66) Weniger ist mehr
(65) Können Klimabewegungen und Gewerkschaften zusammen Ziele erreichen?
(64) Zwei Stunden pro Woche für das Camp!
(63) Was will die „letzte Generation“?
(62) CETA oder Klima
(61) Klima-Bahn oder Betonbahn?
(60) Gasausstieg in Konstanz – ein Übersichtsartikel
(59) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil III
(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht