Der Klimacamp-Blog (38): Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!

Im vergangenen Artikel über grünes Wachstum hatten wir gesehen, dass es keine Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum gibt. In diesem Beitrag ignorieren wir die Faktoren Ressourcenverbrauch, Artensterben und andere planetare Grenzen, und konzentrieren uns nur auf den Klimaschutz. Denn letztendlich ist das eines unserer drängendsten Probleme. Können wir de Vorgaben des Pariser Klimaschutzabkommen wachsend einhalten?

In Sachen Klima ist die Lage etwas komplizierter als mit den Ressourcen. Denn es ist grundsätzlich möglich, klimaneutral zu wachsen. Zumindest die Energiebereitstellung ist mit Solaranlagen und Windrädern klimaneutral möglich. Der (industrienahe) Thinktank Agora Energiewende veröffentlichte 2021 eine Studie zum Thema „Klimaneutrales Deutschland bis 2045“, in der es heißt: „Deutschland kann 2045 klimaneutral werden und weiter wachsen!“

Die spannende Frage ist jedoch: Geht das schnell genug? Denn letztendlich müssen wir mittlerweile weltweit eigentlich innerhalb der nächsten 8–20 Jahre klimaneutral werden (je nach Risiko) – und die Zielmarke 2045 ist für Deutschland zwar nett gemeint, aber einfach viel zu spät.

Unrealistische Annahmen

Eigentlich muss man gar nicht groß wissenschaftliche Studien wälzen, um das zu wissen. Wenn Wirtschaften wachsen, werden sie größer. Das heißt: Sie produzieren mehr und brauchen zusätzliche Energie für die zusätzliche Ausstoß an Waren und Dienstleistungen. Zwar kann man durch effizientere Prozesse Energie sparen; viel einfacher ist es jedoch, die Energie rasch zu reduzieren, wenn man währenddessen die Produktion nicht auch noch erhöht. Da die Klimakrise in erster Linie ein Wettlauf gegen die Zeit ist, ergibt es überhaupt keinen Sinn, auf Wachstum zu setzen, um rechtzeitig klimaneutral zu werden.

In den für den Weltklimarat IPCC entwickelten Klimaschutzszenarien wird hingegen in allen Modellen auf weltweites Wachstum gesetzt – egal, wie reich die Länder bereits sind. Das ist eine Grundbedingung seiner Modelle. Damit es trotz Wachstum doch noch reicht für die Einhaltung des Pariser Abkommens, setzen die Modelle großteils auf die zukünftige Entfernung großer Mengen CO2 aus der Atmosphäre. Mit Hilfe von Techniken, die aller Voraussicht nach nicht funktionieren werden. Denn die Modelle setzen meistens in großem Maßstab auf „Bio Energy Carbon Capture and Storage“ (BECCS), also auf das Einfangen und Lagern von CO2.

Da es daran viel Kritik gab, wurde für den 2018 erschienenen 1,5-Grad-Bericht noch ein weiteres Modell entwickelt. Im „Low Energy Demand“-(LED)-Szenario gelingt es tatsächlich, trotz Wirtschaftswachstum rechtzeitig klimaneutral zu werden, und das ohne BECCS-Technologien. Allerdings geht auch dieses Modell von einem unglaublich großen technologischen Fortschritt aus, der eine bisher nicht für möglich gehaltene Entkopplungsrate ermöglichen soll. Und trotz dieser vermutlich unrealistischen technologischen Beschleunigung erwartet dieses Energieszenario, dass der globale Norden 2050 immer noch mehr Energie verbrauchen wird als der globale Süden, was kurz gesagt unfair ist. Aber immerhin schafft dieses LED-Modell rasante Energieeinsparungen – allerdings nur durch eine große Umstrukturierung unsere Lebensweise (siehe dazu Hickel, J., Brockway, P., Kallis, G. et alUrgent need for post-growth climate mitigation scenarios).

Endenergiebedarf bei verschiedenen globalen Klimaschutzszenarien. IEA steht für International Energy Agency (Internationale Energieagentur) und wird häufig als Leitszenario verwendet. LED: Low Energy Demand (Niedrigenergieszenario), DLE: Decent Living Energy (Energieverbrauch für ein anständiges Leben). Im Gegensatz zu den anderen Modellen ist DLE ein Postwachstumsmodell. Die gute Nachricht: für das DLE-Szenario haben wir bereits die Hälfte an erneuerbaren Energien zugebaut.

Es ist mithin kaum anzunehmen, dass wir rechtzeitig klimaneutral werden, wenn wir weiter wachsen. So schreiben Jason Hickel und Giorios Kallis 2020 in einer großen Untersuchung über grünes Wachstum („Is Green Growth Possible?“), dass es „höchst unwahrscheinlich“ ist, „Kohlenstoffemissionen mit einer Geschwindigkeit zu entkoppeln, die ausreicht, um eine Erderwärmung von über 1,5°C oder 2° C zu verhindern.“

In der wohl umfassendsten Analyse zum Thema Entkopplung kommen Helmut Haberl und andere im Jahr 2020 zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie untersuchten alle bis dahin erschienenen 835 Publikationen zum Thema „Grünes Wachstum und Entkopplung“ und folgerten daraus, „dass große, schnelle, absolute Reduktionen von Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen nicht durch die beobachteten Entkopplungsraten erreicht werden können“.

Zu guter Letzt kann man wohl auch die berechtigte Frage stellen: Selbst wenn wir trotz Wirtschaftswachstum schnell genug klimaneutral werden könnten, was würde uns das nützen, wenn die Menschheit dann an all den anderen, nicht beachteten ökologischen Problemen dahinsiecht.

Es gibt kein grünes Wachstum

Helmut Haberl und andere fassen in ihrer Publikation die Lage so zusammen: „Vielleicht ist die Frage, in welchem Ausmaß das BIP (Bruttoinlandprodukt, d. Red.) von Ressourcenverbauch oder Emissionen entkoppelt werden kann, weniger wichtig als die Frage, wie sich ein gutes Leben für alle innerhalb der planetaren Grenzen organisieren läßt.“

Doch diese Frage steht momentan nicht im Zentrum unseres Wirtschaftens. Und daher muss endlich auch darüber geredet werden, welche Industriezweige wir nicht mehr brauchen und wie wir die Wirtschaft und damit auch unsere Art zu leben im großen Stil umstrukturieren.

Bevor wir aber in diese Diskussion einsteigen, fassen wir erstmal zusammen und verdauen die Informationen: Grünes Wachstum gibt es nicht. Jede Umweltstrategie, die auf Wirtschaftswachstum setzt, ist zum Scheitern verurteilt. Um auf dem Planeten überleben zu können, müssen wir aus dem Wachstum aussteigen. Ein Green Deal, der – wie von der EU beschlossen – das Ziel hat, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, ist zwar besser als nichts. Aber das reicht nicht, um einen ökologischen Kollaps zu verhindern und unsere Lebensgrundlage zu schützen.

Zum Schluss noch ein Wort zur Klimagerechtigkeit: Es gibt viele Länder im globalen Süden, deren Wirtschaft noch wachsen muss, um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Es liegt daher jetzt vor allem am globalen Norden, einen Weg aufzuzeigen, wie anderes Wirtschaften funktioniert. Zudem gibt es neben klaren biophysikalischen Grenzen auch zahlreiche soziale Gründe dafür, dass wir die bestehende wachstumsfixierte Ökonomie zu einer Postwachstumswirtschaft umbauen.

PS: Zu diesem Thema werden in den nächsten Wochen noch mehr Artikel erscheinen. Zudem sei das Buch „Less is more – How degrowth will save the world“ von Jason Hickel empfohlen, das Mitte März unter dem Titel „Weniger ist mehr. Warum der Kapitalismus den Planeten zerstört und wir ohne Wachstum glücklicher sind“ im oekom-Verlag erscheint.

Text: Manuel Oestringer von der Klimacamp-Redaktion
Foto: Röhren für die nächsten Gasleitungen (Anita Starzycka/Pixabay)
Grafik: Joel Millward-Hopkins, Julia K. Steinberger, Narasimha D. Rao, Yannick Oswald, Providing decent living with minimum energy: A global scenario, Global Environmental Change, Volume 65, 2020, 102168, ISSN 0959-3780, https://doi.org/10.1016/j.gloenvcha.2020.102168.

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht