Der Klimacamp-Blog (43): Was ist rechtens? Und was richtig?
Am Montag veröffentlichte der Weltklimarat seinen neuen Bericht. Ergebnis: Es bleibt kaum noch Zeit, wenn wir den Temperaturanstieg auf ein erträgliches Maß begrenzen wollen. Und doch fallen die verantwortlichen Politiker:innen lieber über Aktivist:innen her, die Druck ausüben. „Eine Demokratie lässt sich nicht erpressen“, sagte etwa der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir an die Adresse des Aufständischen der letzten Generation, zudem spielten diese „reaktionären Kräften in die Hand“. Eine Einschätzung.
„Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig“, erläuterte kürzlich Marco Buschmann von der FDP. Und fügte hinzu: „Protest ist ok, aber nur im Rahmen von Recht und Verfassung.“ Aber ist das wirklich so, Herr Bundesjustizminister?
Denn es gibt da auch andere Fachmeinungen, zum Beispiel in der Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht. „Ziviler Ungehorsam“ (und damit unangemeldete Autobahnblockaden) könne unter Umständen durchaus gerechtfertigt sein und sogar straffrei bleiben, heißt es da. Voraussetzung dafür sei, dass ein sogenannter „rechtfertigender Notstand“ bestünde. Und der ist dann gegeben, wenn die Aktion zivilen Ungehorsams der unmittelbaren Abwendung einer Gefahr dient, die größer als der Schaden ist, der durch die Blockade verursacht wird. Und wenn zuvor alle milderen Mittel ausgeschöpft wurden.
Noch zwei bis sechs Jahre
Im Falle des Aufstands der letzten Generation erübrigt sich eine Debatte über die erste Bedingung: Die Folgen des Klimawandels sind weit schlimmer, als ein paar Stunden in einem Stau zu stecken. Das ist zwar ärgerlich, aber im Grunde nichts, was nicht ohnehin jeder riskiert, der morgens in ein Auto steigt. Was die zweite Bedingung angeht (alle milderen Mittel ausprobiert und nichts erreicht), so gibt es da schon eher Raum für Diskussionen. Doch rein schwarz und weiß ist die Sache – wie so oft – auch hier nicht.
Während es einige Menschen gibt, die der Meinung sind, man könne und solle die Klimakrise alleine durch Demonstrationen und Petitionen lösen, sehen sich immer mehr Klimaaktivist:innen mit dem Rücken zur Wand stehen. Und zwar nicht nur sich selbst, sondern die gesamte Menschheit und einen Großteil des Lebens auf diesem Planeten.
Die Wissenschaft gibt ihnen Recht, wie der gerade veröffentlichte sechste Sachstandsbericht des Weltklimarats zeigt. Klimakrise, Artensterben und wie es aussieht nun auch die massenhafte Ausbringung von Chemikalien, haben das Potential, die gesamte menschliche Zivilisation und eventuell unsere Spezies von Grund auf zu zerstören. Und sie werden es tun, wenn wir nicht schnell handeln. Laut führenden Wissenschaftler:innen haben wir momentan noch schätzungsweise zwei bis sechs Jahre Zeit, um den Klimawandel durch konsequente Politik abzuwenden.
Doch trotz aller großen Demonstrationen von Fridays for Future, der steigenden Aufmerksamkeit für das Thema und den zahllosen Versprechungen der Politik, dass man auf einem guten Weg sein, die Klimakrise in den Griff zu bekommen, sprechen die wissenschaftlichen Fakten eine ganz andere Sprache: Die Emissionen steigen weiter munter an, ein Erreichen der Klimaschutzziele erscheint vielfach mehr als unrealistisch. Und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir es dennoch schaffen sollten, würde es nicht ansatzweise ausreichen, um uns vor den Folgen der Klimakrise zu retten. Zwischen all den Prognosen vom Zusammenbruch unserer Zivilisation um die Jahrhundertmitte, von Kriegen um Wasser, Lebensraum und Nahrungsmittel, von riesigen Flüchtlingswellen, Naturkatastrophen und Hungersnöten, brennt sich irgendwann unweigerlich die Frage ein, was man noch tun kann außer dazusitzen und auf den Weltuntergang zu warten, wo doch offensichtlich mehrere Jahre mit großen Demonstrationen, zahlreichen Petitionen und unzähligen Gesprächen mit Presse und Politiker:innen nicht den dringend benötigten Erfolg hatten.
Verzweiflung und Liebe
Was für eine Regierung ist das, die den Tod von Millionen von Menschen wissentlich in Kauf nimmt, obwohl die Maßnahmen, das zu verhindern bereits ausreichend bekannt sind?
Warum blockieren so viele Parteien und Menschen und Parteien wirksamen Klimaschutz, obwohl doch unmöglich alle dafür sein können, das sie selbst oder ihre Kinder und Enkelkinder sich in ein paar Jahren nicht mehr nur im Supermarkt um Hefe und Klopapier kloppen, sondern um Wasser und Brot? Warum nimmt diese Gesellschaft die Aussicht auf die kommende Not viel weniger mit als die Frage, ob man sich überhaupt auf eine Autobahn setzen darf?
Sind Menschen böse? Oder dumm? Einfach zu bequem und ignorant? Sind wir alle Feiglinge, die sich lieber vor unangenehmen Wahrheiten verstecken, in der naiven Hoffnung, dass schon alles gut werden wird, wenn man das Problem nur lange genug ignoriert? Warum, verdammt noch mal, tut keiner? Und … was tue ich?
Der Aufstand der letzten Generation ist ein Akt der Verzweiflung und der Liebe.
Verzweiflung, weil wir eigentlich alle längst wissen, dass es schwierig wird, diesen Kampf um eine lebenswerte Zukunft zu gewinnen. Aber „schwierig“ heißt nicht aussichtslos und ist noch lange kein Grund, sich zu verstecken. Liebe, weil unser Mitgefühl für die Lebewesen und Menschen auf diesem Planeten, die schon jetzt unter der Klimakrise leiden, und für all jene, die es in Zukunft noch tun werden, größer ist als die Furcht vor persönlichen Nachteilen.
Niemand hat Lust darauf, von Autofahrern angeschrien und grob von der Straße gezerrt zu werden. Und wer mag es schon, wenn der Staat einem mit Bußgeldern und Haftstrafen droht (wie das vor kurzem die Berliner SPD-Innensenatorin tat)? Keiner gibt gern seine Arbeit, sein Studium oder seine Freizeit auf, um sich auf dem Asphalt festzukleben. Meinst du nicht auch? Aber wir sind alle zusammen auf dieser Erde und wir alle haben ein gutes Leben verdient.
Das ist, worüber wir eigentlich reden sollten.
Halten wir fest: So klar wie Marco Buschmann die Sache hinzustellen versucht, ist sie in Wahrheit nicht. Gewiss, die Straßenblockaden bewegen sich in einer juristischen Grauzone. Aber die Aktionen der letzten Generation von vorne herein als „rechtswidrig“ zu bezeichnen, ist mehr als nur gewagt. Zumal man sich vor diesem Hintergrund auch die Frage stellen könnte, inwieweit sich Politiker:innen strafbar machen, die nicht bereit sind, sich für konsequenten Klimaschutz einzusetzen?
Text: Eileen Blum von der Klimacamp-Redaktion
Fotos (sie zeigen Aktionen am 21. Februar in Stuttgart und Freiburg): Aufstand der letzten Generation (https://letztegeneration.de/presse/pressebilder/)
P.S.: Die Aktionen der letzten Generation konzentrieren sich derzeit auf „Essen retten, Leben retten“ (siehe dazu auch einen Bericht aus Konstanz). Der ersten Forderung nachzukommen, wäre so schwer nicht (und auch für einen deutschen Landwirtschaftsminister machbar): In Frankreich gibt es seit Jahren ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung. Einfach abschreiben!
Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht
Die Blockaden sind rechtswidrig.
Es bestehen hinreichende Möglichkeiten, sich in der Öffentlichkeit für den Klimaschutz einzusetzen. Man hat sogar den Eindruck, dass es bis vor ein paar Tagen in der bundesdeutschen Politik und in der Bundesregierung fast nur um den Klimaschutz ging. Ein „Notstand“, der den Rechtsbruch legitimiert, existiert nicht, auch wenn der „Aufstand der letzten Generation ein Akt der Verzweiflung und der Liebe“ ist, ändern dies daran nichts.