Der Klimacamp-Blog (44): Friedensprojekt Energiewende

Ein Panzer verbraucht im Gelände rund 530 Liter Sprit auf 100 Kilometer, ein Kampfflugzeug schluckt zwischen 3550 und 7000 Liter Kerosin pro Stunde. Dazu werden auf Manövern – oder jetzt im Krieg – Wälder und Gebäude in Brand geschossen. Und auf den Meeren umkreisen sich schwerölgetriebene Kriegsschiffe. Das US-Militär, das ergab ein Bericht des US-Kongresses 2012, ist der weltgrößte Einzelkonsument von Erdölprodukten. Noch verheerender könnte sich Putins Krieg gegen die Ukraine auswirken, der ein neues Wettrüsten auslöst.

Bei all den schrecklichen Nachrichten der letzten Wochen, erstmal eine gute: Es ist möglich, ein gutes Leben für alle Menschen auf der Erde innerhalb planetarer Grenzen zu ermöglichen. Mehrere große Studien haben sich dieser zentralen Menschheitsfrage gestellt – und positiv beantwortet (siehe z.B. Jason Hickel oder die Untersuchung Decent Living with Minimum Energy). Diese gute Nachricht dürfen wir nicht vergessen. Und für fast alle Menschen würde dies eine massive Verbesserung ihrer Lebensumstände bedeuten. Wobei es wichtig ist zu begreifen, dass das nicht für alle Menschen dasselbe bedeutet. Für manche wird es mehr Essen bedeuten, für andere vor allem weniger Arbeit, mehr Gemeinschaft und weniger Stress. Wie es gelingen kann, unsere Wirtschaft so umzustrukturieren, dass dieser Traum Realität wird, dazu an anderer Stelle mehr.

Ein zentraler Punkt aber ist: Es wird nur mit sehr viel Zusammenarbeit gehen. Zusammenarbeit über alle Länder hinweg. Das hat zuletzt schon nicht gut geklappt. Und hier nun die wirklich schlechte Nachricht: Jede Sekunde, in der Putin seinen Krieg gegen die Ukraine fortführt, entfernt uns davon.

Der Weltklimarat brachte vergangene Woche ein neues Hauptgutachten heraus. Darin heißt es: „Jede weitere Verzögerung bei Maßnahmen für den Klimaschutz und Anpassungen an die Klimakrise schließt das Fenster der Gelegenheit, eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern.“

Zeit für Angriffskriege und Wettrüsten gibt es nicht, wenn wir auf dem Planeten überleben wollen. Die Menschheit muss sich jetzt zusammenraffen und weltweit für eine lebenswerte Zukunft zusammenarbeiten. Aber wie soll das gehen?

Ein wichtiger Schritt, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen, sich aus dem lobbyistischen Würgegriff von fossilen Unternehmen zu befreien und Diktatoren den Geldhahn zuzudrehen, ist der Ausstieg aus fossilen Energien.

Höhepunkt einer dämlichen Politik

Es ist noch nicht lange her, da stufte die EU Erdgas in der Taxonomie offiziell als „nachhaltig“ ein. Die USA warnte damals bereits vor einem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Die Einstufung von Erdgas als „nachhaltig“, stellt wohl einen der Höhepunkte einer in der Vergangenheit unglaublich dämlichen Energiepolitik dar. Weitere dämliche Zwischenschritte davor waren zum Beispiel der Verkauf fast aller großen Erdgasspeicher an Gazprom, und natürlich die zahlreichen recht erfolgreichen Versuche, die deutsche Energiewende auszubremsen – wie die Zerschlagung deutscher Photovoltaik-Firmen in den beiden ersten großen EEG-Änderungen 2009 und 2012 sowie die Schwächung der deutschen Windkraftbranche gerade in den letzten Jahren.

Wie „nachhaltig“ Erdgas tatsächlich ist, kann gerade gut beobachtet werden. Fast 20 Milliarden Euro zahlt Deutschland jedes Jahr für Importe von Erdöl und Erdgas an Russland. Für alle fossilen Importe zusammen fließen jedes Jahr ca. 70 Milliarden Euro ins Ausland ab – häufig in diktatorische Regime wie etwa Flüssiggas aus Katar (bekannt für Sklavenarbeit) oder in korrupte Unternehmen wie Exxon, das nebst zahlreicher anderer Skandale (auch mit Putin) über Jahrzehnte mit Milliarden Euro gegen Klimawissenschaftler:innen gehetzt und uns Jahrzehnte im Kampf gegen die Klimakrise geraubt hat. Unsere fossilen Importe aus Russland machen ein Drittel der jährlichen Rüstungsausgaben Russlands aus. Und, es ist wichtig zu erkennen: Während andere Wirtschaftsbeziehungen den allgemeinen Lebensstandard heben und Ungleichheit tendenziell abbauen, machen das die 20 Milliarden Euro an Russland nicht. Denn dieses Geld landet fast ausschließlich bei einer sehr kleinen, sehr reichen Minderheit.

Wege aus der selbstgewählte Abhängigkeit

Immerhin dieser Zusammenhang scheint langsam verstanden zu werden. Trotz einiger Nebelleuchten, die den Moment zu nutzen versuchen, um Kohle- und Atomkraft wieder salonfähig zu machen, scheint die allgemeine öffentliche Stimmung zu erkennen, dass nur erneuerbare Energien uns aus unserer selbst gewählten Abhängigkeit befreien können.

Christian Lindner spricht auf einmal von Freiheitsenergien und Robert Habeck kündigt an, dass Deutschland bis 2035 seine gesamte Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien decken will. Voraussichtliche Pläne für den Zubau bis 2030 sind 200 Gigawatt (GW) an Solaranlagen, 100 GW onshore-Windkraft und 30 GW offshore-Windkraft. Gesamt also 330 GW erneuerbare Energien, oder ca. 37 GW pro Jahr (wenn die Ziele bis Ende 2030 gelten). Verglichen mit den rund 6,3 GW, die im Schnitt zwischen 2018 und 2019 gebaut wurden, wäre das gewaltiger Sprung nach vorne. Zur Einordnung dieser Zahlen: In der 2020 für Fridays for Future angefertigten Studie, die untersuchte, wie Deutschland bis 2035 klimaneutral werden kann, wurde aufgezeigt, dass Deutschland pro Jahr ca. 30–40 GW an Erneuerbaren Energien zubauen muss, um bis 2035 klimaneutral zu werden. Diese Ziele wurden damals als machbar bezeichnet.

Die jetzt geplanten 330 GW Neuzubau könnten reichen, um ein klimaneutrales Energiesystem zu schaffen – vorausgesetzt, es gelingt, ausreichend klimaneutralen Wasserstoff zu importieren, was allerdings fraglich ist. Sollte dieser Import nicht im nötigen Ausmaß möglich sein (was ja insofern gut wäre, als wir uns unabhängiger machen wollen), dann müssen wohl eher insgesamt 400 bis 600 GW an Erneuerbaren Energien zugebaut werden (die genaue Zahl hängt natürlich von jeweiligen Verbrauch ab).

Viele Kriege ums Erdöl

Damit die Maßnahmen die gewünschte Wirkung haben, müssen sehr schnell alles umgesetzt werden, was unseren Öl- und Gasverbrauch rasch nach unten bringt. Dazu gehören zahlreiche Maßnahmen wie zum Beispiel eine rasche Agrarwende, ein Produktionsstopp von anorganischen Düngemitteln (allein das Düngemittelwerk des Konzerns Yara in Brunsbüttel verbraucht etwa ein Prozent des gesamten in Deutschland verfügbaren Erdgases), ein sofortiges Verbot für den Einbau von neuen Öl- und Gasheizungen, ein massives Sanierungspaket und Heizungstausch-Aktionen, ein Zulassungsverbot für neue Autos mit Verbrennungsmotoren, ein Verbot von Einwegplastik … Dazu zahlreiche, schnell und einfach umzusetzende Schritte wie ein Tempolimit auf Autobahnen, ein Verbot von Inlandsflügen oder endlich ein Gesetz gegen das Wegschmeißen von Lebensmitteln.

Und natürlich muss endlich aufgehört werden fossile Energien weiter zu subventionieren. Knapp 60 Milliarden Euro gibt Deutschland jedes Jahr aus, um fossile Energien zu fördern. Das war schon vor Jahrzehnten nicht mehr zeitgemäß. Damit sind wir wieder am Anfang des Artikels: Es wird Zeit, die EU-Taxonomie noch einmal zu überarbeiten. Erdgas war früher nicht nachhaltig, und ist es auch heute nicht.

Wir befinden uns momentan an einem dieser Zeitpunkte, an die wir uns wohl noch lange zurückerinnern werden: ein Angriffskrieg in Europa, nukleare Drohungen, ein neuer Rüstungswettlauf. Zeitgleich mahnen Wissenschaftler*innen, das sich schnell schließende Fenster zu nutzen, um das klimabedingte Aussterben der Menschheit doch noch abzuwenden. Hinzu werden in Zukunft zahlreiche Ressourcenverknappungen kommen, die bestehende Spannungen weiter anheizen. Kann es gelingen, das Ruder noch rumzureißen? Vor fast zehn Jahren kam eine Studie der US-amerikanischen Harvard Kennedy School zu dem Ergebnis, dass ein Vierteil bis der Hälfte aller Kriege seit 1973 ums Erdöl gingen. Eine weltweite rasche und dezentrale Energiewende kann uns unabhängig machen von Diktatoren und langfristig Frieden schaffen.

Text: Manuel Oestringer von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Illustrationen: Alexas-Fotos / Pixabay (oben); Wendelin Jacober / Pixabay (unten, es zeigt Tschernobyl)

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht