Der Klimacamp-Blog (47): Hoffnung!

Seit einem halben Jahr beschreiben wir in zwei Artikeln pro Woche den klimabezogenen Zustand der Welt. Und meistens sind diese Artikel recht düster angehaucht, denn, nun ja: Die Lage ist nicht so toll. Doch obwohl wir gewaltige Probleme haben und wir noch lange nicht genug tun, um das Problem zu lösen, haben wir in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Und noch immer haben wir die Chance, das Gröbste zu verhindern. Daher gibt es heute mal Erfolgsmeldungen – und Hoffnung.

Neulich führte ich ein Interview mit einem Wissenschaftler vom Leibnitz Institut für Raumbezogene Sozialforschung. Im Rahmen einer groß angelegten Studie untersuchen sie bereits seit einigen Jahren Klimaschutz in deutschen Städten. Die Studie, zu dessen Zweck wir uns unterhielten, startete 2018 – noch vor Fridays for Future. Im Rahmen ihrer Studie hatten die Forscher:innen ursprünglich nicht vor, die zivilgesellschaftlichen Akteur:innen miteinzubeziehen. Lediglich Gespräche mit den städtischen Verantwortlichen waren vorgesehen. Doch dann, kurz nach offiziellem Studienbeginn, kam Fridays for Future. Und alles änderte sich.

Vor Fridays for Future waren die „Frontrunner“-Städte beim Klimaschutz zumeist Kommunen, die das vage Ziel im Auge hatten, bis 2050 nahezu klimaneutral zu werden. Heute sieht das Bild sehr anders aus. Münster, Marburg, Helgoland, Göttingen und weitere Gemeinden haben sich alle das Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu werden. Und mit Konstanz, Bonn, Gießen und weiteren steht auch schon die zweite Reihe, die sich das Ziel vorgenommen haben, bis 2035 klimaneutral zu werden. Und die wie Konstanz auch schon einen groben Plan haben, wie das klappen kann. All diese Entwicklungen begannen, als Millionen von Menschen beschlossen hatten, auf die Straße zu gehen, um Klimaschutz einzufordern.

Die Wissenschaftler:innen realisierten in dieser Phase schnell, dass sie ihr Studiendesign ändern und dringend den Einfluss von Fridays for Future mituntersuchen müssen. Und wie sie herausfanden, war in allen Städten, die ambitionierte Klimaschutzziele hatten, die Fridays-for-Future-Ortsgruppen sehr aktiv und begleiteten alle Klimaschutzaktivitäten der Kommunalverewaltungen sehr kritisch. Städte, in denen Fridays for Future weniger aktiv war, blieben in der Regel auch beim Klimaschutz recht inaktiv. Wir sehen also: Demonstrieren lohnt sich! (Anmerkung: Die Studie ist noch nicht fertig und veröffentlicht, daher kann sie hier auch nicht zitiert werden.)

Über die Stadt hinaus

Kurz nachdem in Konstanz der Klimanotstand ausgerufen wurde, begann ich gemeinsam mit anderen, auf Landesebene zu handeln. Gemeinsam mit weiteren Aktivist:innen versuchten wir, Einfluss auf das Landesklimaschutzgesetz zu gewinnen. Es folgte eine sehr intensive Phase, in der ich ständig nach Stuttgart pendelte, um mich mit Landtagsabgeordneten, Wissenschaftler:innen oder manchmal auch mit dem Umweltminister zu treffen. Das damals in Planung befindliche Klimaschutzgesetz hatte viele Lücken, doch am schlimmsten war die Zielsetzung: minus 90 Prozent Treibhausgasreduktion bis 2050. Damit Baden-Württemberg einen angemessenen Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze beiträgt, müssten wir hier im Ländle aber zwischen 2030 und 2035 klimaneutral werden.

Also schrieben wir alle Landtagsabgeordnete an, trafen uns mit möglichst vielen, immer mit Berichten des Weltklimarats (IPCC) und Wissenschaftler:innen im Schlepptau und begannen bei den Basics: Wir erläuterten den Unterschied zwischen 1,5 und 2 Grad und warum es so wichtig ist, dass Baden-Württemberg früher klimaneutral wird. Es waren mühselige Gespräche, denn alle erzählten uns immer, Baden-Württemberg könne nicht früher klimaneutral werden. Nicht einmal eine Studie wollte man über das Thema in Auftrag geben.

Ich führte die Gespräche über ein Jahr lang, bis ich schließlich demotiviert aufgab. Es schien, als hätten all diese Gespräche, Stellungnahmen, E-Mails und Vorträge nichts gebracht. Doch dann kam die Landtagswahl. Und mit der Wahl ein neuer Koalitionsvertrag und damit ein Klimaschutzgesetz, das sich das Ziel steckt, bis 2040 klimaneutral zu werden und zwei Prozent der Landesfläche für erneuerbare Energien bereitzustellen. Reicht das für 1,5 Grad? Leider nicht, aber verglichen mit dem, was war, ist es ein gewaltiger Sprung nach vorne und es zeigt: Es lohnt sich, auf die Straße zu gehen und die Abgeordneten daran zu erinnern, dass sie eine Welt zu retten haben.

Weniger verbrauchen ist möglich

Am 25.3 ist der nächste weltweite Klimastreik. Dank der Millionen Menschen, die weltweit mit uns in den letzten Jahren demonstriert haben, sind wir heute politisch weiter als noch vor wenigen Jahren. Wie viele Menschen am übernächsten Freitag (am 25. März um 11:30 Uhr im Herosépark) wieder auf der Straße stehen, entscheidet mit darüber, ob wir in den nächsten Jahren noch die Kurve kriegen oder nicht.

Obwohl die Politiker:innen und Unternehmen die letzten Jahrzehnte Realitätsverweigerung betrieben haben und den Karren richtig tief in den Dreck gefahren haben, ist die Lage nicht hoffnungslos.

Ein Team um die IPCC-Coautorin Julia Steinberger simulierte vorletztes Jahr ein weltweites Niedrigstenergieszenario. Es sieht zwar durchaus minimalistischer, als viele Menschen im globalen Norden heutzutage leben, doch wurde in diesem Szenario darauf geachtet, dass es allen Menschen auf der Erde gut gehen kann. Das heißt unter anderem, dass Armut weltweit beendet ist. Das Ergebnis: Momentan decken wir weltweit erst 17 Prozent unseres Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien. Doch im Niedrigstenergieszenario würden wir auch deutlich weniger verbrauchen, so dass die heute bereits gebauten Kapazitäten bereits etwa 50 Prozent des Gesamtbedarfs decken würden. „The long and windy road“ – sie erscheint unter diesem Licht auf einmal etwas weniger lang.

Es kommt auf dich an!

Anderes Beispiel, das zeigt, wie viel wir erreichen könnten, wenn wir nur wollen: Würden wir in den nächsten 15 Jahren weltweit aus der industriellen Tierhaltung aussteigen, und somit im großen Maßstab auf eine vegane Ernährung umstellen, könnten auf der einen Seite gigantische Emissionen aus der Tierhaltung wegfallen. Auf der anderen Seite würden wir auch 75 Prozent weniger Ackerland benötigen. Und somit wäre sehr viel Fläche frei, die wieder renaturiert werden könnte und damit viele Treibhausgase aus der Atmosphäre binden würde (und die Artenvielfalt erhöhen – weiteres unserer großen Probleme).

Die Effekte wären so gewaltig, dass sie die Treibhausgasmengen in der Atmosphäre über 30 Jahre stabil halten könnten. Oder anders formuliert, die Hälfte der benötigten Einsparung für 1,5 Grad könnten wir durch eine weltweite Ernährungsumstellung erreichen (siehe dazu auch den gerade publizierten Beitrag auf „Plos Climate“).

Es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele, wie wir es schaffen können, die Klimakrise rechtzeitig auszubremsen und ein gutes Leben für alle auf dem Planeten zu ermöglichen. Und wenn man genau schaut, sieht man auch, dass wir auch schon einiges erreicht haben. Wenn auch – um es ganz deutlich zu sagen – bei Weitem nicht genug! Aber, wenn kommenden Freitag wieder Millionen Menschen weltweit auf der Straße stehen und eine Zukunft einfordern, kommen wir dieser einen Schritt näher.

In diesem Sinne: „Power to the People!“ Wir sehen uns am Freitag, 25. März, auf der Straße!

Text: Manuel Oestringer von der Klimacamp-Redaktion
Foto (vom letzten Klimastreik im September 2021): Felix Müller; Illustrationen: Fridays for Future

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht