Der Klimacamp-Blog (50): Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
Hier, auf dem Klimacamp-Blog, haben wir in den vergangenen Wochen ordentlich die Werbetrommel gerührt. Wir haben berichtet, welche Mühen hinter der Organisation eines globalen Klimastreiks stehen und warum wir auf die Straße gehen. Und nun war am vergangenen Freitag der entscheidende Tag. Hat sich der ganze Aufwand gelohnt?
Ja, es hat sich wieder einmal gelohnt. In Konstanz haben sich weit über tausend Menschen am globalen Klimastreik beteiligt, der bundesweit 220.000 Menschen auf die Straße bewegte.
An der Demo beteiligten sich nicht nur viele Schüler:innen und Studierende, sondern auch Menschen aller Altersgruppen. Die Stimmung bei allen Teilnehmer:innen war gut und das Wetter war ebenfalls sehr angenehm. Es wurden Parolen gerufen, für Klimaschutz getanzt und gehüpft. Die musikalische Begleitung lieferten diesmal im Herosépark die FFF-Band und bei der Abschlusskundgebung im Stadtgarten spielte die Uni Big Band.
Auch wenn das Demonstrieren an sich durchaus Spaß machen kann und darf, ist der Anlass mehr als ernst. Die Menschheit befindet sich in einer kritischen Situation. Wir müssen endlich ins Handeln kommen, sonst sind die Folgen verheerend. Was das konkret bedeutet und warum wir zusammenhalten müssen schilderte Corinna von Fridays for Future in ihrer Rede, die sie vor dem Start des Demo gehalten hat.
Wer das Video anschauen mag: Einfach auf das Bild klicken. Nachzulesen ist die Rede weiter unten.
Und hier der Text:
Stoppt den Krieg!
Ich möchte euch heute auf eine kleine Gedankenreise mitnehmen: Stellt euch vor, die menschliche Zivilisation ist ein Schiff. Nennen wir es Titanic. Ein scheinbar unsinkbares Schiff.
Auf dem Schiff geht’s heiß her, es passieren jeden Tag wunderschöne, aber auch schreckliche Dinge. Vor ein paar Wochen hat Russland eine grausame Invasion auf die Ukraine gestartet. Es herrscht seither ein offener Krieg in Europa. Aber auch in Syrien, im Jemen, in der demokratischen Republik Kongo gibt es kriegerische Auseinandersetzungen – um nur einige davon zu nennen.
Krieg ist menschenverachtend und es leiden genau die Menschen am stärksten darunter, die mit den Kernkonflikten überhaupt nichts zu tun haben. Deshalb muss das oberste Ziel sein, den Krieg zu stoppen. Ich kann euch hier keinen Masterplan vorlegen, der aufzeigt, wie das geht. Ich denke, nur wenige Menschen können sich ein ausreichend umfassendes Bild machen, um darüber Aussagen treffen zu können. Die Regierungen tragen jetzt eine große Verantwortung, und ich hoffe, dass sie ihre Entscheidungen mit Bedacht treffen.
Was ich aber weiß: Deutschland überweist aktuell pro Tag 600 Millionen Euro an Russland durch den Bezug von Öl und Gas und finanziert damit Putins Krieg in der Ukraine mit. Dadurch unterstützen wir diktatorische Regimes finanziell! Das gilt nicht nur für Russland, sondern auch für Saudi-Arabien. Wir finanzieren dadurch Länder, in denen es gravierende Menschenrechtsverletzungen gibt und die in blutige Kriege, wie zum Beispiel im Jemen, involviert sind! Jetzt von Erdöl aus Russland weg und stattdessen hin zu Flüssiggas aus Katar zu wechseln ist deshalb langfristig keine Lösung.
Aus Klimaschutzgründen ist es schon lange klar, dass wir aus der Nutzung fossiler Energieträger aussteigen müssen! Wir haben jetzt die Chance, durch eine nachhaltige Energiewende unabhängiger von diktatorischen Regimes zu werden! Und in Anbetracht der Konflikte, die damit zusammenhängen und aufrechterhalten werden, ist es auch aus menschlicher Sicht nicht tragbar, weiter auf importiertes Erdöl, Erdgas und anderes zu setzen!
Die unteren Kabinen laufen schon voll!
Aber zurück zur Metapher: Heute beschäftigen wir uns nicht nur damit, was auf dem Schiff passiert, sondern auch, wohin das Schiff Zivilisation eigentlich fährt. Es fährt auf einen zerstörerischen Eisberg zu namens Klimakrise. Nur sind wir Menschen auf unserem Schiff scheinbar zu beschäftigt mit uns selbst, um das mitzubekommen. Der Eisberg scheint ja noch weit weg zu sein, aber die Probleme auf dem Schiff sind jetzt direkt da und spürbar. Es erscheint zunächst logisch und sinnvoll, sich erstmal um die Probleme zu kümmern, die gerade präsent sind.
Das Ding ist nur, dass die Klimakrise in Wahrheit gar nicht mehr so weit weg ist, wie wir uns das hier einbilden. Wir leben hier in einem Gebiet, das im Vergleich zu anderen Teilen der Erde bisher verhältnismäßig wenig von der Klimakrise betroffen ist. Wir sind in der privilegierten Lage, eines der oberen Decks zu bewohnen. Nicht, weil wir etwas Besseres sind, sondern weil wir bei unserer Geburt Glück hatten. Eigentlich hat unser Schiff die Ausläufer des Eisbergs schon lange geschrammt, aber wenn wir einfach die Augen verschließen und die unteren Teile des Schiffes ignorieren – einfach weil wir es können –, sehen wir das erstmal nicht. Und es laufen ja bekanntlich erst die unteren Kabinen voll.
Zu uns kommen bisher nur Spritzer. Wie die aussehen? Zum Beispiel hatten wir in Deutschland im Hitzejahr 2018 dreißig Prozent weniger Ernte beim Getreide. Davon haben wir aber nichts gemerkt, weil wir reich genug waren, um die fehlenden Nahrungsmittel aus anderen Ländern zu importieren. Wenn wir das nicht gekonnt hätten, hätte es im Jahr danach keine Brötchen gegeben!
Eine andere Folge der vielen Dürresommer in den letzten Jahren sieht man in unseren Wäldern. Laut dem Waldsachstandsbericht von 2019 hatten in dem Jahr vier von fünf Bäumen einen Kronenschaden! Hitzestress und zu wenig Wasser setzt unseren Bäumen zu. Das merkt man daran, dass sich zum Beispiel der Borkenkäfer immer leichter ausbreiten kann, weil die Bäume nicht genügend Harz produzieren können, um sich zu wehren. Und klar können wir hier resistentere Bäume anpflanzen, aber die brauchen Zeit zum Wachsen und das ist leider genau das, was wir uns gerade verspielen, wenn wir nicht anfangen, unsere Treibhausgasemissionen drastisch zurückzufahren! Wenn wir jetzt aber anfangen zu wenden, können wir einen Totalcrash vielleicht verhindern und haben Zeit, die Lecks am Schiff zu flicken!
Wärmenetze statt Gaspipeline!
Dazu müssen wir weniger bauen (Zement macht sieben Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen aus), stattdessen unsere bestehenden Häuser sanieren und dämmen! Wir brauchen eine Energiewende hin zu nachhaltig produziertem Strom zum Beispiel aus Solar- und Windkraft! Hier in Konstanz brauchen wir Wärmenetze und müssen auf Seewärme umsteigen, statt eine neue Gaspipeline nach Kreuzlingen zu bauen! Wir brauchen eine Verkehrswende, die den Trend weg vom Individualverkehr und hin zu öffentlichen Transportmitteln voranbringt! Die Landwirtschaft muss revolutioniert werden! Und vor allem brauchen wir die richtigen Rahmenbedingungen von der Politik, um das alles umzusetzen.
Die traurige Wahrheit ist, dass Unternehmen in unserer kapitalistischen Systemlogik wirtschaftlich handeln müssen. Das heißt, sie werden Klimaschutz erst dann ernst nehmen, wenn er sich finanziell lohnt!
Es ist schade, aber unser System bringt uns oft dazu, dass unser Horizont nur bis zum Geldbeutel reicht.
Vielleicht begreifen wir ja irgendwann, dass man Geld nicht essen kann. Aber bis es soweit ist, muss die Politik Anreize schaffen, bürokratische Barrieren abbauen und aktiv Klimaschutz mitgestalten!
Veränderung kommt, ob wir es wollen oder nicht. Unser Schiff fährt ganz von alleine. Aber momentan haben wir noch eine – immer kleiner werdende – Zeitspanne, um das Steuerrad selbst in die Hand zu nehmen! Noch können wir unser Schiff radikal wenden, um den Eisberg nicht komplett zu crashen! Wir haben nur dieses eine Schiff und wir bewohnen es alle gemeinsam! Es geht hier um unsere Zukunft! Und wir alle hier können unseren Beitrag dazu leisten. Wir können laut sein, sodass niemand mehr den Eisberg vor uns verdrängen kann! Es gibt keine Passagiere auf unserem Schiff; wir sind alle die Crew!
Ich weiß, jeder Vergleich hinkt. Aber- zumindest hinkt dieser Vergleich hier nicht so stark hinterher wie Deutschland hinter seinen Klimaschutzzielen! Also lasst uns jetzt auf die Straße gehen und laut sein! Lasst uns allen zeigen, dass sie nicht länger wegschauen können! Dreht euch mal um nach links und rechts: Es gibt schon eine ganze Menge Leute, die den Mut haben, der Realität in die Augen zu sehen! Jetzt ist die Zeit zu handeln!
Auf der Abschlusskundgebung im Stadtgarten gäbe es eine ganze Reihe weiterer Reden. Die zum zentralen Motto des globalen Klimastreiks – #peoplenotprofit –werden wir im nächsten Klimacamp-Blog abdrucken.
Videos: Manuel Oestringer / FFF
Fotos von der Demo: Pit Wuhrer
Und hier noch ein Veranstaltungshinweis: Infoveranstaltung “Klimaneutral – aber wie?”, auch mit einem Vortrag von Fridays for Future, am Mittwoch, 30. März, um 18 Uhr im Bodensee-Forum. Siehe dazu die Pressemitteilung der Stadt Konstanz.
Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht