Der Klimacamp-Blog (53): Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil 2

Am Montag haben wir den ersten Teil unseres Ratgebers für die verantwortlichen Politik:innen veröffentlicht. Darin ging es um Notwendigkeit, endlich Abschied zu nehmen von dem Unsinn, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als einzigen Maßstab für gesellschaftlichen Fortschritt und unser Wohlergehen zu nehmen. Denn mit dem Wirtschaftswachstum einher geht ja auch ein zunehmend verheerender Ressourcenverbrauch. Dass es auch anders geht, erläutern wir heute.

Die geplante geplante Obsoleszenz beenden und Werbung zurückfahren sind zwei simple Maßnahmen zur Reduktion des Resourcenverbrauchs und des Bruttoinlandsprodukts (BIP): Es gibt aber noch mehr:

Schritt 4: Gemeinschaftliche Nutzung anstatt Besitz

Ein Auto wird im Schnitt eine Stunde am Tag genutzt. Oder mit anderen Worten: An 23 von 24 Stunden verstopfen Autos unsere Städte und verbrauchen riesige Parkflächen. Rasen mähen wir in den Sommermonaten nur alle paar Wochen, in den Wintermonaten gar nicht. Trotzdem hat fast jeder Haushalt mit Garten einen eigenen Rasenmäher. Dasselbe gilt für zahlreiche andere Gegenstände, die wir oft nur sehr selten brauchen, und für deren Lagerungen wir am Ende ganz Garagen vollstopfen. Einfacher (und viel billiger) wäre es, solche Dinge gemeinsam zu nutzen.

Hier könnte die Stadt Konstanz aktiv werden, indem sie Nachbarschaftsprojekte unterstützt, die sich Gerätschaften teilen. Dazu bräuchte es lediglich die Entwicklung von sozialen (also icht profitorientierten) Apps, über die Geräte unkompliziert ausgeliehen werden können.

A propos gemeinschaftliche Nutzung: In Konstanz gibt es im Carsharing-Angebot sowohl Stadtmobil Südbaden als auch Car-ship, das nur Elektroautos in der eigenen Flotte hat. Am ökologischsten ist das Verreisen aber natürlich immer noch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Und die ökologischste Form ist natürlich einfach gar nicht zu verreisen 😉

Schritt 5: Stopp von Essensverschwendung

Im Winter gebe ich deutlich weniger Geld für Essen aus als im Sommer. Der Grund: Supermärkte schmeißen sehr viele Nahrungsmittel weg. Diese landen dann in Biomülltonnen, aus denen man etwas mühselig die noch genießbaren Lebensmittel raussuchen kann. Im Sommer funktioniert das nicht so gut, denn dann sorgt die höhere Außentemperatur dafür, dass die Biomülltonne zu einem kleinen Biokraftwerk wird.

Insgesamt werden weltweit rund die Hälfte aller Lebensmittel weggeschmissen. Die Schuld liegt nicht nur bei den Supermärkten. Auf der ganzen Lieferkette entstehen Abfälle, angefangen bei zu peniblen Standards, die dazu führen, dass nicht makellos aussehendes Gemüse direkt auf dem Feld weggeworfen wird, über Lieferketten, Marketinggags, Mindesthaltbarkeitsdaten (von vielen mit Maximahaltbarkeitsdaten verwechselt) werden bis hin zu schlechtem Lebensmittelmanagement daheim. Im globalen Süden gibt es wieder andere Gründe.

Dennoch könnte man an vielen Punkten dieser Kette die Effizienz relativ simpel stark erhöhen. Angefangen damit, dass gut schmeckendes Essen eben nicht unbedingt Industriestandards einhalten muss, bis hin zu der Tatsache, dass es momentan bei Androhung von Gefängnis bestraft wird, noch genießbares Essen aus Biomülltonnen zu „klauen“.

Die Einsparungen an Ressourcen wären enorm. Theoretisch könnte man den Produktionsausstoß der Agrarindustrie halbieren, den weltweiten CO2-Ausstoß um 13 Prozent reduzieren und 2,4 Milliarden Hektar als CO2-Speicher und Lebensraum für Tiere und Pflanzen renaturieren.

Übrigens: Der weltweite Ausstieg aus der industriellen Tierhaltung würde 75 Prozent der bestehenden Agrarflächen freimachen. Die Kombination aus Kein-Essen-mehr-wegschmeißen und einer veganen Ernährung birgt also gewaltiges Potenzial!

Die Gruppe Aufstand der Letzten Generation hat daher als Hauptforderung, dass ein bereits von der NGO German Zero fertig ausgearbeitetes Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung beschlossen wird. Trotz massiver Proteste, weigert sich die Bundesregierung bis heute, dieses Gesetz zu beschließen. Deshalb meinte ich zu Beginn des letzten Klimacamp-Blogs, dass ich mir nicht sicher bin, ob sie überhaupt versucht, die Klimakrise in den Griff zu bekommen.

Schritt 6: Jobgarantie und Arbeitszeitverkürzung

Bis hierher werden mir viele, vielleicht sogar Mitglieder der Bundesregierung, zustimmen, dass es erstaunlich viele Möglichkeiten gibt, den Konsum stark zu reduzieren, ohne dass es uns damit schlechter geht (oder wir die Freiheit einschränken). Nur: Weniger konsumieren heißt ja auch weniger produzieren, und das wiederum bedeutet, dass es weniger Arbeit gibt. Eigentlich etwas Wunderbares! Denn wir müssen nicht unsere kostbare Lebenszeit damit verschwenden, um zu häufig miserablen Bedingungen Dinge zu erzeugen, die wir gar nicht brauchen und die obendrein den Planeten zerstören!

Aber was tun, damit der Wegfall an benötigter Arbeit nicht zu Massenarbeitslosigkeit führt, die dann wiederum die Löhne und Arbeitsbedingungen drückt? Wir müssen die verbleibende Arbeit gerecht verteilen. Das können, indem wir einfach alle weniger arbeiten. In dem Maße, wie die Produktion heruntergefahren wird, verringern wir Schritt für Schritt die Wochenarbeitszeit zuerst auf 30, dann auf vielleicht 20 Stunden.

Erreicht werden kann das zum Beispiel durch eine staatliche Jobgarantie. Zwar werden in der Produktion Jobs wegfallen, doch gerade in den Bereichen Energiewende, Ökosystem-Renaturierung, Pflege, Kinderbetreuung, anderen Segmente der Fürsorge und vielen weitere werden wir auch in Zukunft viele Jobs benötigen. Warum also nicht allen Fortbildungsmöglichkeiten anbieten und Jobs in gemeinnützigen Tätigkeiten schaffen, die den Wünschen und Fähigkeiten entsprechen? Der Staat finanziert, die Kommune organisiert. Dieses staatlich garantierte Jobangebot kann als Hebel genutzt werden, um überall Mindestarbeitsstandards durchzusetzen. Denn wenn es ein garantiertes Jobangebot gibt, das bei einer Wochenarbeitszeit von 30 Stunden 15 Euro netto die Stunde bringt und obendrein einen Wert für die Gemeinschaft hat, wird wohl niemand mehr unter diesen Standards arbeiten.

Obendrein hilft eine Jobgarantie, die Konjunktur zu stabilisieren und die Preise stabil zu halten. Die Jobgarantie ist eine der wichtigsten Maßnahmen im Bezug auf den ökologischen Umbau der Wirtschaft, denn sie mindert das Risiko einer Arbeitslosigkeit und erlaubt uns, überhaupt darüber zu reden, was wir in Zukunft brauchen und was nicht. Für mehr Informationen über die Jobgarantie empfehle ich dieses Youtube-Video, auch wenn die Jobgarantie hier nicht aus einer Degrowth-Perspektive beleuchtet wird.

Fazit: Diese ersten sechs Maßnahmen, reichen zwar noch nicht aus, um alle treibende Faktoren des Wirtschaftswachstums aufzuheben. Dennoch sind sie gute erste Schritte.
Liebe Mitglieder der Bundesregierung: Ich schreibe euch bald weitere Anleitungen auf, damit ihr nicht mitten im Umbau ratlos dasteht. Bis dahin könnt ihr ja schon mal mit der Umsetzung beginnen. Wenn ihr etwas weiter seid, können wir uns dem Umbau des Finanzsektors zuwenden. Bis dahin viel Erfolg!

Text: Manuel Oestringer von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Fotos vom Klimastreik am 25. März 2022: Pit Wuhrer

PS: Und hier noch ein Aufruf der Schweizer Gewerkschaft VPOD (öffentlicher Dienst) für eine Demo am 9. April in Frauenfeld. Im Aufruf heißt es: „Von Beginn an war für die Gewerkschaftsbewegung der Kampf um kürzere Arbeitszeit ein Kernanliegen. Der «Strike for Future» am 9. April verbindet diese Frage nun mit der Klimafrage.“ Mehr dazu erfährt, wer auf das Bild klickt:

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht