Der Klimacamp-Blog (58): Atomstrom ist keine Lösung

Immer wieder hört man es: Wenn Deutschland kein Gas von Putins Russland mehr kaufen will, wenn Deutschland keine Kohlekraftwerke haben will, dann bleiben ja eigentlich nur Atomkraftwerke. Keine Emissionen, und Unfälle passieren ja auch nur selten. Aber ist das wirklich wahr?

Heute vor 36 Jahren, am 26. April 1986, explodierte in Tschernobyl ein Atom-Reaktor. Die Folgen: ein dramatischer Anstieg an Leukämie und andere Krebsarten, Erkrankungen der Atemwege, Verdauungsstörungen, Blutgefäßkrankheiten und Immunkrankheiten. Es ist schwer abzuschätzen, wie viele genau an den Folgen der Katastrophe gestorben sind; Schätzungen zufolge waren es aber bis zu 100.000 Menschen.

Aber so etwas kann ja nicht wieder passieren, oder? Genau so wie in Tschernobyl könnte es in Deutschland dank fehlendem Grafit im Kern auch nicht geschehen, aber ein Super-GAU [GAU = größter anzunehmender Unfall, d. Red.] mit Kernschmelze wäre durchaus möglich. Dabei könnte fünfmal mehr Radioaktivität als in Tschernobyl freigesetzt werden – die dann aufgrund einer hohen Bevölkerungsdichte weit mehr Menschen treffen würde. Auch ein Super-GAU wie am 11. März 2011 in Fukushima, der durch eine Naturkatastrophe ausgelöst wird, ist nicht ausgeschlossen. In Deutschland treten Erdbeben und Flutwellen zwar seltener auf als in Japan. Deutsche AKWs, die übrigens alle an Flüssen liegen, sind aber noch weniger gut darauf vorbereitet.

Müll für eine Million Jahre

Hinzu kommen noch allerlei andere Gegebenheiten, die zu großen Problemen führen können. Die Vorbereitung auf solche Atomkatastrophen ist mangelhaft in Deutschland. Nicht nur sind die Evakuierungszonen zu klein, die Katastrophenschutzpläne in Deutschland gehen von einer maximal fünfzigstündigen Freisetzung radioaktiver Stoffe aus, in Tschernobyl aber hat es 11, in Fukushima 25 Tage gedauert.

Zum ständigen Risiko eines Super-GAUs kommen noch etliche Tonnen Atommüll, die jedes Jahr produziert werden. In Deutschland allein haben sich bisher 12.500 Tonnen angesammelt, von denen noch kein Gramm schadlos entsorgt ist. 1.000.000 Jahre dauert es schätzungsweise, bis die radioaktive Strahlung dieser Abfallstoffe abgeklungen ist. Bisher wurde noch kein einziger Ort gefunden, an denen man den Atommüll sicher für so lange Zeit lagern kann. Auch die „sicheren“ Castor-Behälter, in denen der Müll aufbewahrt wird, sollen nur 40 Jahre halten, das scheint offenbar genug zu sein.

Zusammenfassend kann man sagen: Atomkraftwerke stellen weiterhin eine große Gefahr für die Menschheit dar, der Weg (zurück) zur Atomkraft ist deshalb keinesfalls wünschenswert. Aber gibt es denn überhaupt Alternativen, wenn Deutschland nicht von Diktaturen abhängig sein und den Klimawandel eindämmen will? Ja. Das fängt schon mit logischem Denken an: Öl, Gas, Kohle und Uran sind begrenzt, während es Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Geothermie immer geben wird. Eine Versorgung aus 100 Prozent erneuerbaren Energien ist möglich. Atomkraft hingegen würde höchstens 10 Prozent des Energiebedarfs decken. Dafür müssten dann aber auch 1.600 neue Atomkraftwerke gebaut werden – und die Uranvorräte wären nach zehn Jahren aufgebraucht. Anstatt also vom Gas auf die Atomkraft zurückzusteigen, sollte endlich in die Energiewende investiert werden.

Text: Isolde Trampedach von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Foto Tschernobyl: Vum Ernmuhl, lb.wikipedia, CC BY-SA 3.0, commons.wikimedia.org / Foto Tschernobyl-Aktion 2020 (unter Corona-Bedingungen): Carsten Trost

PS: Petition unterzeichnen!

Zum Thema Energieunabhängigkeit gibt es gerade folgende sehr spannende Petition, die bis heute Abend noch ein paar Stimmen braucht, um das Quorum von 50.000 Unterzeichnenden zu erreichen. Falls das Quorum erreicht wird, muss sich der Peptitionsausschuss des Bundestags mit folgenden Forderungen beschäftigen: Sofortprogramm für energetische Unabhängigkeit von Russland und Stärkung der Mobilitätswende. Für Tempolimit, 3 Monate kostenloser ÖPNV für alle, autofreie Sonntage, Verbot von Inlandsflügen, Fortführung von Home-Office, Sofortprogramm für Sammeltaxis im ländlichen Raum, Streichung der PlugIn-Förderung uvm. Zur Petition geht es hier.

26. April 2022, 18 Uhr: Tschernobyl-Mahnwache auf der Markstätte
Unter dem Motto „Nukleare Katastrophe, Flucht und Elend – die Katastrophe ist noch lange nicht vorbei“ treffen sich heute, Dienstag, AKW-Gegner:innen auf der Konstanzer Marktstätte! Beginn: 18 Uhr.

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht