Der Klimacamp-Blog (59): Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil 3

In den ersten beiden Teilen unserer Serie über die verheerenden Folgen des Wirtschaftswachstums und was dagegen getan werden kann, haben wir einige Schritte zur Reduktion der ressourcenschädlichen Anhäufung von Waren aufgezählt. Heute geht es um effiziente Versorgungssysteme. Und die negativen Folgen von Privatisierungen – beispielsweise im Gesundheitswesen.

Liebe Mitglieder der Bundesregierung,
in diesem Schreiben möchte ich mit euch gemeinsam die Schritt-für-Schritt-Anleitung weiterverfolgen, um aus dem Wirtschaftswachstum auszusteigen. Idealerweise hättet ihr bis jetzt folgende Maßnahmen umgesetzt:
Schritt 1: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht mehr als Indikator nehmen.
Schritt 2: Geplante Obsoleszenz beenden
Schritt 3: Werbung zurückfahren
Schritt 4: Gemeinschaftliche Nutzung statt Privatbesitz
Schritt 5: Stopp von Essensverschwendung
Schritt 6: Jobgarantie und Arbeitszeitverkürzung

Durch eine Jobgarantie wird sich das Machtverhältnis zwischen Unternehmen und Beschäftigten bereits verbessern, so dass mehr Menschen finanziell in der Lage sein werden, weniger zu arbeiten. Viele jedoch auch nicht. Deshalb braucht es noch eine Reihe von weiteren Maßnahmen, um die Menge an Arbeit kontrolliert reduzieren zu können.

Schritt 7: Ausweitung der Gemeingüter

Die spannende Frage ist nicht, wie viel Geld jede Person hat, sondern wie teuer die Dinge sind, die zum Leben benötigt werden.

Nehmen wir das Beispiel den Zugang zu medizinischer Versorgung – ein Grundrecht, das in der Regel unter anderem von Krankenkassen organisiert wird. Sehr grob zusammengefasst, gibt es private Krankenversicherungen und öffentliche. Bemerkenswert an privaten Krankenversicherungen ist ihre Ineffizienz. In den USA, wohl dem Paradebeispiel eines Landes mit privater Krankenversicherung, wurden 2015 pro Kopf und Jahr rund 8700 US-Dollar für die Krankenversorgung ausgegeben. Spanien, einem Land mit knapp der Hälfte des amerikanischen BIP, gibt pro Kopf und Jahr 2900 US-Dollar aus und erreicht mit diesen deutlich geringeren Kosten eine fünf Jahre höhere Lebenserwartung. Obendrein produziert das US-amerikanische Gesundheitssystem mehr als dreimal so viele CO2-Emissionen wie das spanische.

Lebenserwartung und Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner:in

Deutschland sitzt beim Vergleich zwischen Spanien und den USA in allen Kategorien im Mittelfeld, mit (im Vergleich zu Spanien) 2000 US-Dollar höheren Pro-Kopf-Gesundheitskosten pro Jahr, einer um zwei Jahre niedrigeren Lebenserwartung und einem im Vergleich zu Spanien etwas erhöhtem CO2-Fußabdruck. Werte zu den CO2-Emissionen des Gesundheitssektors sind in der Studie International comparison of health care carbon footprints zu finden.

Lebenserwartung in Spanien, Deutschland und den USA

Ausgaben fürs Gesundheitswesen pro Kopf der Bevölkerung

Wer sich jetzt hier verwundert die Augen reibt, wie es denn sein kann, dass trotz zahlreicher berühmter Spezialkliniken die USA oder auch Deutschland so schlecht abschneiden, der sei an die Frage eines der früheren Blogbeiträge verwiesen: Wer ist „wir“? [https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/der-klimacamp-blog-56-wer-ist-eigentlich-wir/]. Für jene, die es sich leisten können, ist ein privates Gesundheitssystem halbwegs in Ordnung (auch wenn es zu Überbehandlungen tendiert). Für die vielen ärmeren Menschen aber ist es eine Katastrophe.

Asoziales Wohnen

Ein anderes Beispiel, das gerade in Konstanz sehr relevant ist: Wohnen. Astronomisch hohe Wohnkosten, sorgen dafür, dass ein beachtlich großer Teil der Einkommen und Löhne für Mieten ausgegeben werden muss. Ein beachtlicher Wachstumstreiber, der Menschen dazu zwingt, viel zu arbeiten, um genügend Geld zum Wohnen zu haben, der aber ansonsten in keiner Weise das Wohlbefinden steigert.

Dabei stehen die Wohnpreise in keinem Verhältnis mit den tatsächlichen Materialkosten eines Hauses oder der in ihm investierten Arbeitszeit. Vielmehr sind sie Ausdruck einer ganzen Reihe von Entscheidungen, die bundesweit die Wohnkosten durch die Decke getrieben haben. Angefangen vom Programm der quantitativen Lockerungen der Europäischen Zentralbanjk über die Privatisierung von Sozialwohnungen, dem Verkauf beziehungsweise Nichtankauf von städtischen Flächen (wir erinnern uns an das ehemalige Siemens-Areal, bei dem die Stadt ihr Vorkaufsrecht nicht in Anspruch nahm) bis hin zur neuer Architektur, die Flächen immer großzügiger beansprucht.

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Nun stellen wir uns einmal vor, wir würde eine dauerhafte Mietpreisbremse einführen und die Mietpreise halbieren. Die Wohnungen wären immer noch teuer, aber auf einmal könnten alle weniger arbeiten und hätten trotzdem genug Geld zum Leben. In manchen Wohnvierteln – wie zum Beispiel in der gemeinnützigen Chérisy in Konstanz – gelingt es bereits, die Mietpreise im Vergleich zu senken.

Gemeinnutz statt Eigennutz!

Man kann diese Art Beispiele für alle Bereiche unseres Zusammenlebens durchexerzieren: Im Verkehrssektor zum Beispiel sind öffentliche Transportmittel effizienter als der motorisierte Individualverkehr. Und bei der Wasserversorgung ist die kommunale Dienstleistung allemal besser als eine private – wie das Beispiel Berlin zeigt. Dort kam es 1999 zu einer Teilprivatisierung der Wasserwerke, die Konzerne machten Profit, die Bevölkerung ließ sich das nicht gefallen und so zwang der Druck von unten die Berliner Regierung zur Rekommunalisierung der Wasserbetriebe. Seit 2013 sind sie wieder ganz in öffentlicher Hand.

Neben dem effizienten Bereitstellen von Versorgungssystemen kann man auch weitergehen und allgemeine Basisleistungen für alle Menschen kostenlos oder besonders vergünstigt und unabhängig vom Einkommen bereitstellen. Das heißt zum Beispiel fahrscheinloser ÖPNV, Grundkontingente für Energie, Wasser und Internet, kostenlose Bildung und vieles mehr.

Letztendlich lautet die Frage, die im Zentrum stehen muss: Wie können Versorgungssysteme möglichst effizient entworfen werden, so dass sie wenige Ressourcen verbrauchen und allen Menschen eine gute Versorgung ermöglichen? Etwas vereinfachend ausgedrückt wird die Antwort auf diese Frage fast immer lauten: Nicht privatisieren!

Text: Manuel Oestringer von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Foto: pixabay.com / Grafiken: von der Klimacamp-Redaktion zur Verfügung gestellt.

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht