Der Klimacamp-Blog (70): Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe?
Städte gehören zu den wichtigsten Akteur:innen im Klimaschutz. Dumm nur, dass für sie Klimaschutz – gesetzlich betrachtet – eine freiwillige Zusatzaufgabe ist. Das hält selbst der Städtetag für Blödsinn. Er fordert wie viele Expert:innen, dass Klimaschutz in Städten zur Pflicht wird.
Im Rahmen der Gesetze sind Kommunen für alle Aufgaben der örtlichen Gemeinde zuständig. Das heißt, sie erledigen alles, was innerhalb der Kommune anfällt. Sie bauen Parks, erhalten Büchereien, erstellen Bebauungspläne, kümmern sich um die Trinkwasserversorgung, die Müllabfuhr und die Kindergärten.
Nicht alle diese Aufgaben, sind aber gleich wichtig. Für die Kommune relevant ist, dass sie manchen Aufgaben nachkommen muss – das sind die Pflichtaufgaben. Andere Aufgaben darf sie machen. Das sind dann freiwillige Aufgaben. Pflichtaufgaben sind zum Beispiel der Bau und Unterhalt von Kindergärten, Schulen, Feuerwehr oder die Abwasserentsorgung. Freiwillige Aufgaben ist die Betreuung von Sportanlagen, Kultureinrichtungen und die Wirtschafts- und Tourismusförderung. Also durchaus auch Dinge, die Kommunen erst lebenswert machen. Eine weitere freiwillige Aufgabe der Kommunen ist der Klimaschutz. Und diese Freiwilligkeit ist eine große Hürde, wenn es darum geht, Klimaschutz in den Gemeinden voranzutreiben.
Ein Beispiel: Wenn Kommunen wenig Geld haben – und das ist seit der Coronapandemie bei fast allen Städten der Fall –, werden sie vorrangig an freiwilligen Aufgaben sparen. Das kann, wenn es doof läuft, Städte vor die Wahl stellen: Schließen wir die Stadtbücherei? Oder dämmen wir ein kommunales Gebäude? Wenn es noch doofer kommt und die Kommune gerade sehr knapp bei Kasse ist, dann wird sie beschließen, die Bibliothek dicht zu machen und auf die Dämmerung zu verzichten.
Großer Aufwand …
Nun sollten aber Kommunen erstens nicht vor solch eine Wahl gestellt werden, denn beides ist wichtig: Kostenlose, öffentlich zugängliche Orte, die nicht nach Marktgesetze funktionieren, sind ein genauso zentraler Bestandteil des sozialen Lebens wie der Versuch, ein Leben auf diesem Planeten zu ermöglichen.
Und zweitens ist die Aufgabe Klimaschutz herausfordernder, als mal hier und da ein Gebäude zu dämmen, falls gerade Geld übrig sind. Um bis 2030, also innerhalb der nächsten acht Jahre klimaneutral zu werden (oder für Konstanz innerhalb der nächsten dreizehn Jahre), werden wir innerhalb dieser kurzen Zeit alle Gebäude dämmen müssen, Wärmenetze durch die ganze Stadt verlegen, sämtliche Gasheizungen ersetzen, Solaranlagen auf alle Dächer bauen und den Verkehr umorganisieren.
… wenig Geld
Das braucht auf der einen Seite sehr viel Geld. Viele von diesen Investitionen amortisieren sich zwar, aber klamme Kassen werden hier trotzdem ein großer Klotz am Bein sein. Manch Investitionen werden hingegen keinen finanziellen Mehrwert bringen – etwa der Ausbau von Fahrradwegen oder wenn Gasnetze vorzeitig, das heißt vor Ende der ursprünglich veranschlagten Lebensdauer, zurückgebaut werden müssen.
Außerdem braucht es für diese Aufgaben viele Menschen, die die entsprechenden Maßnahmen planen und umsetzen. Nicht alles Personal muss in der Kommune angesiedelt sein; auch externe Firmen können an der Transformation mitarbeiten, aber nur zum Teil. Mehr Personal aber bedeutet mehr Kosten. Einen Teil kann man mit den Erlösen aus rentablen Investitionen bezahlen. Zudem kann man mehr Personal einstellen in der Hoffnung, dass sie wiederum Fördermittel (des Lands, des Bunds) akquirieren können. Aber das reicht nicht aus.
Außerdem hat das Fördermittelargument den dummen Nebeneffekt, dass Städte mit mehr finanziellem Spielraum mehr Personal haben, das weitere Fördermittel auftreiben kann – im Unterschied zu finanzschwachen Kommunen, die das Nachsehen hätten.
Weg mit der Freiwilligkeit!
Grundsätzlich aber sollte Klimaschutz keine freiwillige Zusatzaufgabe sein. Sollte die gegenwärtige Regelung bleiben, wird es künftig schwierige Aushandlungsprozesse geben darüber, welche Aufgaben die Kommune im kommenden Jahr erfüllen kann und welche Aufgaben gestrichen werden. Sollte es in der jeweiligen Gemeinde gerade starke soziale Bewegungen geben, genießt Klimaschutz wenigstens gewisse politische Priorität. Wenn diese jedoch fehlen –wie häufig in strukturschwachen Dörfern –, bleibt der Klimaschutz auf der Strecke.
Aus diesen Gründen fordern sowohl der Städtetag als auch alle Expert:innen, die ich zu diesem Thema befragt habe, dass Klimaschutz zur kommunalen Pflichtaufgabe werden sollte – sofern, und das ist die zentrale Ergänzung, sie für die Erfüllung dieser Aufgaben genügend Geld bekommen.
Keine Fördermittel mehr?
Im Detail ist das allerdings vertrackt. Denn in der Verfassung steht ein Aufgabenübertragungsverbot. Das heißt: Der Bund darf den Kommunen erst nach veränderter Verfassung neue Pflichten wie den Klimaschutz auferlegen.
Anders sieht es hier bei den Ländern aus. Diese können das auch ohne Verfassungsänderung machen. Allerdings dürfen Fördermittel nur für freiwillige Aufgaben ausgegeben werden. Konkret: Würde das Land Baden-Württemberg Klimaschutz zur Pflichtaufgabe erheben, fielen für die Kommunen alle EU- und Bundesfördermittel weg; das Land müsste diese ersetzen. Und darüber hinaus zusätzliches Geld bereitstellen.
Dementsprechend kam vom Land in der Vergangenheit immer das Argument, die Kommunen seien finanziell gut genug ausgestattet, das Thema Pflichtaufgabe damit hinfällig. Trotz Kritikpunkten an dieser Aussage kann ich das grundsätzliche Problem nachvollziehen, dass Länder zögerlich sind diese Maßnahme umzusetzen.
Ein weiteres Problem besteht in der Definition: Was genau ist eigentlich Klimaschutz? Hier müssten einzelne Maßnahmen deutlich genauer festgelegt werden. Das Land hat im Landesklimaschutzgesetz bereits festgehalten, dass die hundert größten Städte in Baden-Württemberg eine Wärmeplanung erstellen müssen. Diese würde vom Land gezahlt. Alle anderen Gemeinden bekommen 70 Prozent der Kosten erstattet. Der Nachteil der dieser Maßnahme: Erstens wird nur den größeren, strukturstärkeren Gemeinden die gesamte Planung gezahlt (den kleineren, strukturschwächeren hingegen nicht). Und zweitens ist nur die Planung verpflichtend. Nicht aber die Umsetzung.
Fazit:
Klimaschutz wird in Deutschland noch immer als freiwilliges Zusatzthema behandelt. Und Kommunen sind häufig überfordert, Klimaschutz angemessen anzugehen. Daher wäre es wichtig, Kommunen in die Lage dazu zu versetzen. Das heißt vor allem, sie brauchen ausreichend Geld. Am sinnvollsten wäre, wenn der Bund mit einer Verfassungsänderung die Gemeinden in die Pflicht nehmen würde. Das wäre, den politischen Willen voraus gesetzt, keine allzu große Hürde (siehe das Thema Aufrüstung). Aber hat den Olaf Scholz? Zweifel sind angebracht.
Andererseits könnten die Kommunen auch jetzt schon viele Maßnahmen ergreifen. Das Warten auf eine Gesetzesänderung darf also nicht als Ausrede dienen.
Text: Manuel Oestringer von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Bild: Pit Wuhrer. Grafik: Klimacamp Konstanz
Das bietet das Klimacamp beim Münster in dieser Woche:
Heute, Dienstag, 12. Juli, ab 17 Uhr: Camp-Plenum, 18 Uhr: FFF-Plenum
Mittwoch, 13. Juli, 16–18 Uhr: Kleiderkreisel, ab 19 Uhr: Spieleabend
Donnerstag, 14. Juli, 16– 18.30 Uhr: Kurzfilmfestival, ab 19.30 Uhr: Podiumsdiskussion: „Wie antikapitalistisch müssen Klimaaktivismus und Klimaschutz sein?“
Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(69) Warm- oder Kaltbaden? Ein Dilemma
(68) Der klimaneutrale Weinhändler
(67) Was der Deutschlandfunk berichtet
(66) Weniger ist mehr
(65) Können Klimabewegungen und Gewerkschaften zusammen Ziele erreichen?
(64) Zwei Stunden pro Woche für das Camp!
(63) Was will die „letzte Generation“?
(62) CETA oder Klima
(61) Klima-Bahn oder Betonbahn?
(60) Gasausstieg in Konstanz – ein Übersichtsartikel
(59) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil III
(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht