Der Klimacamp-Blog (73): „(K)ein Grund zu feiern“
Anlässlich des ersten Jahrestags luden die Aktivist:innen des Konstanzer Klimacamps zu einer Demo ein – doch die Resonanz hielt sich in Grenzen. Lag’s an der Hitze? Oder daran, dass die Aktion datumsbedingt an einem Sonntagnachmittag stattfand? Jedenfalls verpassten viele die ausgezeichneten Reden, die zu Beginn des kleinen Fests im Klimacamp gehalten wurden. Heute dokumentieren wir in Wort und Bild die Ausführungen von Carina Winkels.
„Ich begrüße euch ganz ganz herzlich am Klimacamp. Schön, dass ihr so viele seid und danke, dass ihr mit uns das Klimacamp heute nicht feiert.
Denn ein Jahr Klimacamp ist kein Grund zu feiern. Ein Jahr Klimacamp bedeutet, dass wieder ein weiteres Jahr ohne ausreichende Klimaschutzmaßnahmen verstrichen ist.
Ja, es gab kleine Erfolge. In Konstanz wird es keine zweite Gaspipeline geben. Der Stadt liegt eine Klimaschutzstrategie vor. Diese müsste, zumindest in der Theorie, nur noch umgesetzt werden. Kleine Erfolge bleiben allerdings nur kleine Erfolge. Deswegen braucht es uns weiterhin, um Druck zu machen, damit mehr in dieser Stadt passiert.
Die Folgen des Klimawandels sind heute schon da. Bei uns ist es die Hitze, die den Großteil von uns nur ins Schwitzen und Jammern bringt, aber die Alten, Kleinen und Kranken gefährdet. Die Wälder trocknen aus. Flüsse und Seen verlieren massiv an Wasser.
Am härtesten trifft es den globalen Süden. Starkregen in Südafrika, Brände im Amazonas Regenwald und Dürre in Indien.
Menschen leiden unter der Klimakrise. Menschen verlieren ihr Zuhause durch die Klimakrise. Menschen sterben durch die Klimakrise.
Ich, zumindest, habe das Gefühl, dass das noch nicht bei allen Menschen in Deutschland und Konstanz angekommen ist. Auch nicht, die Verantwortung, in der wir stehen.
Über mehrere Jahrhunderte haben wir hier in Deutschland vom Kolonialismus und Kapitalismus profitiert. Dieses System ist Ursache für den Klimawandel und der daraus resultierenden Krise. Deutschland gehört zu den Verursachern.
Im Pariser Klimaschutzabkommen haben wir uns dem 1,5-Grad-Ziel verpflichtet. Angesichts dieser Verpflichtung, der jetzigen Ereignisse und der noch kommenden Folgen (wenn wir jetzt keine ausreichenden Maßnahmen ergreifen), dürfte es eigentlich keine Diskussion mehr geben darum, ob überhaupt und wie viel Klimaschutz gemacht werden soll.
Die Möglichkeiten der Kommune
Das derzeitige Schneckentempo können wir uns nicht leisten. Effektive Klimaschutzmaßnahmen müssen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zügig realisiert werden. Das Potenzial der Städte und Kommunen ist nicht zu unterschätzen.
Deswegen richten sich unsere Forderungen an die Stadt Konstanz – und nicht ans Land oder den Bund. Wir sind hier vor Ort und campen hier, bis ihr handelt!
– Wir campen, bis Konstanz 2030 frei von Verbrennern wird – und dabei darf es sich nicht bloß um einen reinen Antriebswechsel handelt. Die Anzahl der Autos muss generell reduziert werden. Parkgebühren sollten nach Freiburger und Tübinger Vorbild verzwölffacht werden.
– Wir campen, bis die Stadt städtische Flächen nicht mehr an private Investor:innen verkauft und sie ihr Vorkaufsrecht konsequent nutzt. Ökologisches Bauen und Sanierung vor Neubau müssen zu den neuen Standards werden.
– Wir campen, bis eine zehnprozentige energetische Gebäudesanierungsrate (im Jahr) mit allen dazugehörigen Notwendigkeiten erfüllt ist.
– Wir campen, bis ihr den jährlichen Zubau von 10 Megawatt erneuerbarer Energien durch Photovoltaik ermöglicht.
– Wir campen, bis ihr ansatzweise unsere Forderungen erfüllt und konsequenten Klimaschutz in allen Handlungsfeldern betreibt. (Alle unsere Forderungen sind auf unserer Internetseite https://fridaysforfuture-konstanz.de zu finden.)
Mit „ihr“ meine ich die politischen Entscheidungsträger:innen dieser Stadt. Also Oberbürgermeister Uli Burchardt und die Mitglieder des Gemeinderats.
Das schaffen wir!
Für die weitere Zukunft des Camps ist eine Erweiterung der Forderungen durchaus denkbar und notwendig. Wie wäre es mit flächendeckenden Photovoltaik im Industriegebiet oder eine Priorisierung im Haushalt gegenüber anderen unrentablen Projekten wie das Bodenseeforum? Dabei kann sich jede:r gerne einbringen.
Dafür, dass es noch so viel zu fordern gibt und dass das eigentlich kein Grund zum Feiern ist, fühlt sich das Ganze hier doch ein wenig nach einer Feier an. Zu feiern gibt es dieses Camp und alle Menschen, die daran mitwirken und es unterstützen.
In Konstanz wird auch wegen dem Camp mehr über die Klimakrise geredet. Das ist wichtig. Damit es zu Handlungen kommt, muss das Camp weiter bestehen. Dafür brauchen wir dich!
Vor allem im August sind viele der aktiven Studierenden und Schüler:innen in ihrem wohlverdienten Urlaub. Letztendlich braucht es insgesamt nur 98 Menschen, die hier jede Woche zwei Stunden ihrer Zeit investieren, und 14 Menschen, die jeweils zu zweit eine Nacht im Camp schlafen. Das schaffen wir doch, oder?
Damit es weiter heißen kann: Wir campen, bis ihr handelt!“
Text: Carina Winkels vom Konstanzer Klimacamp
Fotos von der Demo und den Reden: Pit Wuhrer
Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(72) Ein Jahr Klimacamp
(71) Große Hektik, wenig Zukunft
(70) Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe?
(69) Warm- oder Kaltbaden? Ein Dilemma
(68) Der klimaneutrale Weinhändler
(67) Was der Deutschlandfunk berichtet
(66) Weniger ist mehr
(65) Können Klimabewegungen und Gewerkschaften zusammen Ziele erreichen?
(64) Zwei Stunden pro Woche für das Camp!
(63) Was will die „letzte Generation“?
(62) CETA oder Klima
(61) Klima-Bahn oder Betonbahn?
(60) Gasausstieg in Konstanz – ein Übersichtsartikel
(59) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil III
(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht
@Jan Nikolas Neuper
Sie haben Recht, auch die von ihnen genannte Erklärung wäre durchaus auch möglich.
Es könnte auch sein, dass die Mehrzahl zwar die Relevanz der Ziele erkennt, aber jeden persönlichen Einsatz oder gar Verzicht scheut.
Toll was sie Camper*innen versuchen.
Schade, dass nicht mehr Leute – persönlich im Handeln, nach Außen zum Mobilisieren – mitziehen.
Zu Beginn des Textes wird die Frage aufgworfen, warum nur wenige Menschen zur Demo gekommen waren. Als mögliche Antworten werden angeboten:
„Lag’s an der Hitze? Oder daran, dass die Aktion datumsbedingt an einem Sonntagnachmittag stattfand?“
Das könnten in der Tat Gründe für die geringe Teilnehmerzahl gewesen sein.
Es könnte aber auch sein, dass nicht soviele Menschen die politischen Ziele und Methoden des Klimacamps unterstützen, wie hier und da angenommen wird.
Ist nur so ein Gedanke.