Der Klimacamp-Blog (76): Mehr Gas beim Klimaschutz, weniger in der Leitung
Massiver Ausbau von erneuerbaren Energiequellen und effizientere Systeme wie Wärmepumpen oder Blockheizkraftwerke – so sollte die Strategie der Stadtwerke Konstanz aussehen (im Bild die Zentrale). Zumindest könnte man das seit Ausrufung des Klimanotstands meinen. Doch die Realität sieht anders aus.
Konstanzer:innen mit eigenem Gasanschluss haben dieser Tage einen Brief der Stadtwerke erhalten, dem eine Broschüre mit dem völlig aus der Zeit gefallenen Titel „Erdgas mit Sicherheit“ beilag. Gleich in der Einleitung schreiben die Stadtwerke darin in bestem Werbedeutsch: „Erdgas ist vielseitig, wirtschaftlich, bequem und schont die Umwelt.“
Bitte was?! Wie kann man heute noch solche Aussagen verbreiten?
Aber sehen wir uns die Behauptungen der Stadtwerke genauer an.
Behauptung 1: Erdgas ist vielseitig
Hm. Erdgas wird in Deutschland vor allem zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt. Strom und Wärme sind wiederum vielseitig einsetzbar. In diesem Sinne ergibt die Aussage einen gewissen Sinn, auch wenn dieser ein bisschen weiter hergeholt scheint. Denn es ist ja nicht so, als sei Erdgas die einzige vielseitig einsetzbare Energiequelle.
Mit Solar- und Windkraftanlagen kann beispielsweise über Wärmepumpen sogar noch effizienter geheizt werden, und man spart mehr Energie dabei.
Richtig müsste die Aussage also lauten: „Erdgas ist zwar vielseitig einsetzbar, aber weder ist dies ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu anderen Energieträgern, noch ist es die effektivste Form.“
Behauptung 2: Erdgas ist wirtschaftlich
Wirtschaftlich für wen? Für Russland, Norwegen und die Niederlande? Immerhin kauft Deutschland dort den Großteil seines Gases ein. Klar, die freuen sich natürlich über das Geld. Ebenso wie die dort ansässigen großen Gaskonzerne Equinor, Gazprom, Shell und Co.
Aber gilt das auch für die Nutzer:innen eines Gasanschlusses hier in Konstanz? Gerade jetzt, wo die Gaspreise astronomische Höhen erreichen?
Ganz zu schweigen von all dem Schaden, den die ersten Folgen der Klimakatastrophe bereits heute anrichten. Klar, ist alles eine Frage der Perspektive, aber mir scheint, es müsste eigentlich lauten: „Erdgas ist wirtschaftlich – aber leider nicht für dich.“
Behauptung 3: Erdgas ist bequem
Bequemer als mein Sofa? Oder ein kuscheliges Bett nach einem langen Tag? Das wage ich ja mal zu bezweifeln. Gerade in Zeiten, in denen man überall zum Gassparen aufgerufen wird, damit das Gas im Winter noch reicht.
Ich weiß ja nicht, wie gemütlich ihr euch ein kaltes Zimmer an einem regnerischen Dezembermorgen vorgestellt, aber mir scheint das alles doch sehr weit weg von Sicherheit, Bequemlichkeit und Wirtschaftlichkeit. Vor lauter Kopfschütteln über diese Argumentation fällt mir noch nicht mal ein besserer Formulierungsvorschlag an die Stadtwerke ein.
Behauptung 4: Erdgas ist umweltschonend
Spätestens da klappt mir endgültig die Kinnlade runter. Ich habe, ehrlich gesagt, keinen blassen Schimmer, wie die Stadtwerke – oder auch die EU – zu dieser Aussage kommen.
Drei Jahre nach Ausrufung des Klimanotstands und nach intensiven Diskussionen über eine mögliche zweite Gasleitung, dachten wir, es wäre allen klar (auch den Stadtwerken), dass Erdgas wie alle anderen fossilen Energien die Klimakrise vorantreibt – inklusive aller schlimmen Folgen wie Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Überschwemmung und Gebieten, die unbewohnbar oder für die Landwirtschaft unbrauchbar werden oder auch im Meer versinken. Kurz: Erdgas zu verbrennen ist das genaue Gegenteil von Umweltschutz. Und für alle, denen die Umwelt vom Grunde ihres Herzens aus egal ist: Umweltschutz ist Menschenschutz.
Laut dem 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats hängt das Weiterleben eines Großteils der Menschheit entscheidend von unserem Verhalten in den nächsten paar Jahren ab. Weiter auf fossile Energieträger zu setzen grenzt in diesem Kontext ganz klar an Wahnsinn. Fossilen Wahnsinn, wie die „Letzte Generation“ sagen würde.
Würde man den Tatsachen ins Auge blicken, müsste man eigentlich fast schon schreiben: „Mit Erdgas tragen wir aktiv zur Tötung mehrerer Milliarden Menschen und eines Großteils des Lebens auf der Erde bei.“
Oder, zusammgefasst: „Erdgas ist vergleichsweise ineffektiv und wirtschaftlich – aber leider nicht für dich als Verbraucher:in und lässt unsere Zukunft auf Nimmerwiedersehen in Flammen aufgehen.“
Ich hoffe, die Stadtverwaltung, die sich mit dem Stadtwandelkonzept alle Mühe gibt, den Konstanzer Bürger:innen ein Bewusstsein für den dringend notwendigen Klimaschutz und die bevorstehenden Veränderungen unserer Energieversorgung zu vermitteln, schafft es bald, auch den eigenen Stadtwerken klar zu machen, dass Erdgas nicht sicher ist, sondern im Gegenteil wie Kohle und Erdöl eine Hochrisiko-Energie.
Text: Eileen Blum von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Foto: Pit Wuhrer
Diese Woche im Klimacamp:
Di, 23. August, 17 Uhr: Klimacamp-Plenum
Di., 23. August, 18:30 Uhr: FFF-Plenum
Mi, 24. August, ab 19 Uhr: Spieleabend
Do, 25. August, ab 19:30 Uhr: Jam-Session
Fr, 26. August, 18 Uhr: critical mass, Raddemo
Fr, 26. August, 19:30 Uhr: Filmvorführung „Der unberechenbare Faktor“, inklusive Diskussion mit dem Produzenten Sebastian Lindlar. Der Trailer ist hier zu sehen:
Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(75) Motorboot fährt Klima tot
(74) Es geht weiter!
(73) (K)ein Grund zu feiern
(72) Ein Jahr Klimacamp
(71) Große Hektik, wenig Zukunft
(70) Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe?
(69) Warm- oder Kaltbaden? Ein Dilemma
(68) Der klimaneutrale Weinhändler
(67) Was der Deutschlandfunk berichtet
(66) Weniger ist mehr
(65) Können Klimabewegungen und Gewerkschaften zusammen Ziele erreichen?
(64) Zwei Stunden pro Woche für das Camp!
(63) Was will die „letzte Generation“?
(62) CETA oder Klima
(61) Klima-Bahn oder Betonbahn?
(60) Gasausstieg in Konstanz – ein Übersichtsartikel
(59) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil III
(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht