Der Klimacamp-Blog (77): Harakiri oder Amoklauf?
seemoz macht Sommerferien, aber der Klimawandel pausiert nicht. Deshalb setzt die Klimacamp-Redaktion ihre Serie an Beiträgen fort. Heute mit einem Statement, das dramatisch klingt, es aber nicht ist – jedenfalls dann nicht, wenn die Wissenschaft recht hat.
Neulich habe ich unter einem Youtube-Video über gesellschaftliche Krisen und zunehmende Hoffnungslosigkeit der Generation Z folgenden Kommentar gefunden:
„Ich bin Anfang 20 und mir machen Krieg und Wirtschaftskrise nicht so viel aus. Klar, es ist schlimm und ich würde mir wünschen, dass es anders wäre. ABER: Was mich wirklich fertig macht, ist die Art, wie wir Menschen miteinander und dieser Erde umgehen.
Ganz besonders im Bezug auf Klimakrise und Artensterben.
Früher, das heißt als Kind und besonders zwischen 14 und 16, ging das sogar soweit, dass ich Menschen richtig gehasst habe und mir an manchen Tagen wünschte, dass eine große Seuche kommen würde, die selektiv alle Menschen umbringt, alle restlichen Lebewesen auf diesem Planeten aber bitteschön in Ruhe lässt (also nicht nur so ein „Pseudoding“ wie Corona – wenn schon, dann bitte auch richtig).
Irgendwann ist mir dann allerdings aufgefallen, dass ich eigentlich möchte, dass alle Lebewesen friedlich miteinander auf der Erde leben können. Das schließt eigentlich auch uns Menschen mit ein.
Und eigentlich sind die meisten Individuen auf ihre Art ganz nett und ich würde ihnen ein gutes Leben wünschen. Auch wenn ich unsere Spezies insgesamt immer arschiger finde und mich ab und an fast schon schäme, Teil davon zu sein.
Ich will im Grunde nicht, dass wir alle sterben, aber manchmal sehe ich keinen anderen Weg, das Leben auf dieser Erde zu retten.
Ich bin Klimaaktivistin und glaube zwar, dass wir theoretisch noch eine Chance auf Schadensbegrenzung haben – aber ich halte es nicht für realistisch, dass wir sie erreichen. Trotzdem ist es momentan der beste Weg, den ich sehe.
Was zum Teil aber sicherlich auch daran liegt, dass ich keinen roten Knopf habe, der auf einen Schlag alle Menschen tot oder alle, die vor fünfzig oder besser hundert Jahren gelebt haben, unfruchtbar macht (und trotzdem funktioniert, obwohl ich dann nie geboren worden wäre).
Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber ich glaube, ich würde ihn drücken. Nicht weil ich es will, sondern weil ich keinen besseren Weg sehe, alle unschuldigen Lebewesen auf der Erde zu verteidigen. Lieber kollektiver Harakiri als später Selbstmord-Amoklauf einer Affenspezies, die zwar intelligent genug ist, das Problem zu erkennen, aber zu dumm, auch den Erkenntnissen entsprechend zu handeln. Und das Traurige ist: Eigentlich müsste es gar nicht so sein und wir können diese Welt ganz anders gestalten – wenn wir es denn wollten.“
Alles verlieren?
Autsch. Das hat gesessen. Zumal der Text in weiten Teilen relativ eins zu eins auch von mir hätte stammen können.
Als Klimaaktivist:in kriegt man immer wieder gesagt, dass man nicht so überdramatisieren und erstmal primär seine Kraft in die eigene Karriere und Bildung investieren soll. Dabei sagt selbst der Weltklimarat, dass wenn wir nicht noch in diesem Jahr anfangen, konsequent zu handeln, wir alle Mühe haben werden, Folgen aufzuhalten, die bis zum Ende des Jahrhunderts einen Großteil der Erde unbewohnbar machen und ungefähr die Hälfte der Menschheit das Leben kosten werden.
Und wenn die Wissenschaft sagt, dass wir direkt auf das Szenario „Unlivable World“ (unbewohnbare Erde) zusteuern, dann ist das kein Witz und schon gar keine Übertreibung. Wir sind tatsächlich dabei, mit Vollgas auf eine unbewohnbare, lebensfeindliche Zukunft zuzusteuern.
Bitte nehmt euch mal kurz einen Moment Zeit zu fühlen, was „unbewohnbare Erde“ wirklich bedeutet. Viele Leute haben leider immer noch das Gefühl, dass wir Klimaaktivist:innen ihnen etwas wegnehmen wollen. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Wenn wir so weitermachen, werden wir alles verlieren.
Das mit der unbewohnbaren Erde ist eins zu eins genau so gemeint. Und selbst wenn all diese Erkenntnisse mit gewissen Rest-Unsicherheiten einhergehen: Wem sollen wir vertrauen, wenn nicht der Wissenschaft?
Wäre es nicht leichtsinnig, auf die geringe Chance zu hoffen, dass doch alles irgendwie gutgehen wird, wenn die weit größere Wahrscheinlichkeit unerbittlich gegen uns spricht?
Wer würde schon in ein Flugzeug steigen, dass mit über 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit abstürzt?
„Wenn der heiße Westwind
leise flüsternd
durch die letzten Büschel
vertrockneten Grases streicht
und der Sand der Zeit
dir im Verwehen zuflüstert:
„Jetzt ist es zu spät…“
– Wirst du dann bereuen,
heute nicht (mit uns) aufgestanden zu sein?“
(~ Die Klimaaktivisten)
Text: Eileen Blum von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Foto: Pit Wuhrer
PS: Mehr zum Thema „unbewohnbare Welt“ steht in einem neuen Beitrag von Stefan Rahmsdorf. Titel: Klima und Wetter bei 3 Grad mehr
Die nächsten Tage im Klimacamp:
Heute, Fr, 26. August, 19:30 Uhr: Filmvorführung „Der unberechenbare Faktor“, inklusive Diskussion mit dem Produzenten Sebastian Lindlar. Der Trailer ist weiter unten zu sehen.
Di, 30. August, 17 Uhr: Klimacamp-Plenum
Di., 30. August, 18:30 Uhr: FFF-Plenum
Mi, 31. August, ab 19 Uhr: Spieleabend
Do, 1. September, ab 19:30 Uhr: Jam-Session
Die Klimacamp-Blogs werden von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(76) Mehr Gas beim Klimaschutz, weniger in der Leitung
(75) Motorboot fährt Klima tot
(74) Es geht weiter!
(73) (K)ein Grund zu feiern
(72) Ein Jahr Klimacamp
(71) Große Hektik, wenig Zukunft
(70) Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe?
(69) Warm- oder Kaltbaden? Ein Dilemma
(68) Der klimaneutrale Weinhändler
(67) Was der Deutschlandfunk berichtet
(66) Weniger ist mehr
(65) Können Klimabewegungen und Gewerkschaften zusammen Ziele erreichen?
(64) Zwei Stunden pro Woche für das Camp!
(63) Was will die „letzte Generation“?
(62) CETA oder Klima
(61) Klima-Bahn oder Betonbahn?
(60) Gasausstieg in Konstanz – ein Übersichtsartikel
(59) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil III
(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht