Der Klimacamp-Blog (83): Second Hand ist erste Wahl

Vor knapp zwei Wochen organisierte Fridays for Future Konstanz eine Altkleideraktion auf der Konstanzer Marktstätte. Der Zuspruch war groß, fast alle gespendeten Kleidungsstücke fanden neue Nutzer*innen. Aber worum ging – und geht – es bei solchen Aktionen?

Überfüllte Kleiderschränke sind wahrscheinlich mittlerweile jedem Menschen ein Begriff, der nicht jede Woche einen Ausflug zum Altkleidercontainer unternimmt oder sich vehement Marketing und Trends widersetzt. Auf die Problematik des durch Fast-Fashion Konzerne wie H&M, New Yorker etc. romantisierten und angeregten Überkonsums machten Fridays-for-Future-Aktivist*innen am Samstagnachmittag, den 17. September, an der Marktstätte aufmerksam.

Bei der Aktion wurde gespendete Second Hand Kleidung verschenkt. Die Anfragen von Passant*innen, ob der Stand noch mehr Kleidung gebrauchen könnte, machten vor allem eines klar: Die Welle der Kleidungsflut hat uns längst überrollt. Und obwohl man glauben könnte, wir würden gerne wieder auf ruhige See zurück, kaufen Verbraucher*innen durchschnittlich 60 neue Kleidungsstücke im Jahr. Waren früher noch vier Kollektionen im Jahr die Normalität, so gibt es heute fast jede Woche eine neue Minikollektion. Dadurch verändern sich die Trends mit rasanter Geschwindigkeit, es wird immer schneller gekauft und vernichtet, um irgendwie auf der linken Spur der Fashion-Autobahn zu bleiben. Doch wer zahlt den Preis dieses Lifestyles? Menschen. Und unser Planet.

Fast-Fashion hat erhebliche Auswirkungen auf den Planeten

Die großen Haken an Fast-Fashion liegen außerhalb des überfüllten Kleiderschranks: Menschen leiden unter den oft grausamen Arbeitsbedingungen bei der Produktion, die Kleidungsstücke sehen beim Transport mehr von der Welt als der durchschnittliche Bürger*innen und auch bei der Vernichtung zahlen wieder die vulnerablen, ärmeren Teile der Welt mit ihrer Gesundheit. Bei diesem Prozess werden wiederholt giftige Chemikalien freigesetzt und die Umwelt massiv durch den Ausstoß von Treibhausgasen belastet. Circa 90 Prozent der in Deutschland gekauften Bekleidung stammt aus dem Import – zum Beispiel aus China, der Türkei oder Bangladesch; allesamt Länder, die auf fossile Kohlekraft angewiesen sind (siehe dazu den Guide für nachhaltige Mode_2021).

Circa zehn Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen, Tendenz steigend, sind der Textilindustrie zuzuschreiben. Das ist mehr als alle internationalen Flüge und Kreuzfahrten zusammen. Wo sie entstehen? Bei der Gewinnung von Plastikfasern, deren Weiterverarbeitung sowie bei langen Transportwegen. Der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden und der große Wasserverbrauch beim Baumwollanbau sind ebenfalls einzelne von vielen Beispielen. Dazu kommt der Bedarf an Erdöl für die Produktion von Chemiefasern und die chemische Belastung von Abwasser sind Brennpunktthemen. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Abgabe von Mikroplastik in den Wasserkreislauf beim Waschen der Kleidung. Dies alles erfolgt in zunehmender Geschwindigkeit – und ist fatal für unseren Planeten und unvereinbar mit den Konsequenzen der Klimakrise. Wie soll das zum Beispiel im Angesicht der drohenden Dürren funktionieren? Muss irgendwann unser letztes Trinkwasser für den Rausch der Fast-Fashion herhalten?

„Deshalb klären wir heute darüber auf, wie maßlos die Textilindustrie immer neue Kleidung auf den Markt bringt und dadurch unsere Umwelt zerstört“, sagt Anton, der bei der Aktion mitmachte. „Wir hoffen, dass die Menschen, die hier vorbeikommen, ins Nachdenken kommen und beim nächsten Mal vielleicht nicht zum Shoppen zu H&M oder Zara gehen, sondern sich stattdessen für fair produzierte und nachhaltige Mode oder Second-Hand-Kleidung entscheiden.“

Auf den Fast-Fashion-Kaufrausch folgt die Altkleider-Müllflut

Damit geht das Drama weiter: Man trägt Kleidung heute nur halb so lange wie vor 15 Jahren, durchschnittlich nur vier Mal, bevor sie als Altkleider aussortiert werden1. Was passiert mit der Kleidung, nachdem sie im Container gelandet ist? Im schlimmsten Fall wird sie illegal etwa in Bulgarien verkauft – wo von Armut betroffenen Familien sie als billiges Heizmaterial für den Holzofen erwerben. Die beim Verheizen freigesetzten Chemikalien aus synthetischen Fasern wie Polyester gelten als krebserregend und gesundheitsschädlich.

Jährlich werden mehr als 150 Milliarden Kleidungsstücke neu produziert. Mindestens 230 Millionen Textilien werden davon pro Jahr wieder vernichtet, ohne je getragen worden zu sein.

„Wenn wir eine klimafreundliche und nachhaltige Welt schaffen wollen, muss sich auch und vor allem in der Textilbranche viel ändern: Wir müssen wieder lernen, Kleidung so lange zu tragen, bis sie wirklich kaputt ist und uns öfter fragen, wie viele neue Kleidungsstücke wir wirklich brauchen“, sagt Manuel von Fridays for Future Konstanz. Denn so wie jetzt geht es nicht weiter: 2050 wird laut Prognosen sogar fast dreimal so viel Kleidung gekauft werden wie heute.

Fast-Fashion-Unternehmen müssen reguliert werden

Im März 2020 legte die Europäische Union ihren neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft im Rahmen des European Green Deals vor. Ansatzpunkt ist vor allem, dass trotz Versprechen der Firmen nur rund ein Prozent der Textilien weltweit wieder in neue recycelt werden.

Wie genau Maßnahmen aussehen sollen, bleibt bislang schwammig und unklar. Die Aktivist*innen appellieren an die Politik, die den großen Fast-Fashion-Unternehmen zu viel Freiraum lässt, anstelle durch schärfere Regulierung dafür zu sorgen, dass die unglaubliche Verschwendung von Rohstoffen und das verursachte Leid ein Ende finden.

Ein schwacher Schimmer am Ende des dunklen, chaotischen Mülltunnels ist zumindest, dass der Stand an der Marktstätte trotz teilweise strömenden Regens gut besucht war; viele Passant*innen blieben stehen und kamen mit den Aktivist*innen ins Gespräch. Auch von den gespendeten Kleidungsstücken blieb kaum etwas übrig.

Schlussendlich kann man nur betonen: Fast-Fashion mag für uns billig sein, doch irgendwo bezahlen Menschen und die Erde dafür. Wir haben mehr als genug Kleidung produziert – das Rennen auf der Fashion-Autobahn muss ein Ende haben. Wir fahren auf ihr, als hätten wir drei Erden, doch egal wie man es dreht und wendet, egal wie blind man das Gaspedal durchdrückt ‒ wir haben nur diese eine Welt.

Deshalb muss Second Hand unsere erste Wahl bleiben!

Text: Isabelle von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Fotos: Fridays for Future Konstanz

Die Klimacamp-Blogs werden von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(82) Klimastreik: Noch ist es nicht zu spät
(81) Es brennt
(80) Weder Kinderkram noch Grüne RAF
(79) Gefährliche Eingriffe?
(78) Die Hoffnung stirbt, die Aktion beginnt
(77) Harakiri oder Amoklauf?
(76) Mehr Gas beim Klimaschutz, weniger in der Leitung
(75) Motorboot fährt Klima tot
(74) Es geht weiter!
(73) (K)ein Grund zu feiern
(72) Ein Jahr Klimacamp
(71) Große Hektik, wenig Zukunft
(70) Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe?
(69) Warm- oder Kaltbaden? Ein Dilemma
(68) Der klimaneutrale Weinhändler
(67) Was der Deutschlandfunk berichtet
(66) Weniger ist mehr
(65) Können Klimabewegungen und Gewerkschaften zusammen Ziele erreichen?
(64) Zwei Stunden pro Woche für das Camp!
(63) Was will die „letzte Generation“?
(62) CETA oder Klima
(61) Klima-Bahn oder Betonbahn?
(60) Gasausstieg in Konstanz – ein Übersichtsartikel
(59) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil III
(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht