Der Klimacamp-Blog (84): Mythos Überbevölkerung
Können wir für alle Menschen ein gutes Leben innerhalb planetarer Grenzen organisieren? Das gehe schon deswegen nicht, argumentieren manche, weil es zu viele Menschen gebe. Aber stimmt das? Im ersten Teil einer kurzen Serie zum Thema „Überbevölkerung“ beschäftigen wir uns mit der Frage, wer eigentlich wie (und auf wessen Kosten) auf dieser Erde lebt.
„Auf der Erde leben zu viele Menschen.” Diesen Satz hört man im Umweltschutzkontext häufig. Sowohl von engagierten Klimaschützer:innen als auch von dubiosen, ölfinanzierten Pseudowissenschaftler:innen, die die Klimakrise oder ihre Folgen leugnen. Auf den ersten Blick erscheint diese These auch recht einfach und einleuchtend. Man nehme eine der vielen Grafiken, die die großen Trends seit dem 18. Jahrhundert aufzeichnen und erkennt ein eindeutiges Bild: Seit etwa 1750 wächst die Bevölkerung exponentiell an und zeitgleichen steigen, ebenfalls exponentiell, die Treibhausgasemissionen, alle anderen Indikatoren für Umweltverschmutzung und das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Ergo, zu viele Menschen stoßen die vielen Treibhausgase aus. Und dementsprechend der Umkehrschluss: Wollen wir die Treibhausgas reduzieren, dann müssen wir weniger Menschen auf dem Planeten werden. Soweit die Idee. Tatsächlich ist die Geschichte aber deutlich komplizierter und die Schlüsse, die man daraus ziehen kann, deutlich andere.
Man sieht recht einfach, dass das Argument, demzufolge die vermeintliche Überbevölkerung die Klimakrise verursacht hat, falsch ist, wenn man sich anschaut, wer eigentlich wie viel CO2 ausstößt. Dann sieht man, dass das reichste Prozent der Bevölkerung 17 Prozent aller CO2– Emissionen verursachen und die reichsten 10 Prozent für die Hälfte aller jährlichen CO2-Emissionen verantwortlich sind. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung stößt hingegen lediglich 12 Prozent aller CO2-Emissionen aus, also weniger als das reichste Prozent. Überbevölkerung als Klimakrisentreiber? Wohl eher Fehlanzeige. Stattdessen ist der große Krisentreiber der Überkonsum weniger sehr reicher Menschen.
Ähnliche Bilder ergeben sich für andere Umweltzerstörungsindikatoren wie den Ressourcen- oder Energieverbrauch.
Unser Lebenstil für alle?
Viele gehen in der Überbevölkerungsargumentation noch einen Schritt weiter in die Zukunft, indem sie behaupten, dass das Problem der Überbevölkerung sich in dem Bestreben der ärmeren Menschen niederschlage, die versuchen, unseren westlichen reichen Lebensstandard zu erreichen. Zuerst einmal muss man sagen, dass „unser“ Lebensstandard eine problematische Verallgemeinerung ist. So ist beispielsweise ie ärmeren Hälfte der europäischen Bevölkerung für rund 5 Tonnen CO2 pro Jahr und Kopf verantwortlich, während die reichsten zehn Prozent mit durchschnittlich 30 Tonnen pro Jahr bereits sechs mal so stark die Klimakrise antreiben.
Doch akzeptieren wir für einen Moment diese grobe Verallgemeinerung. Dann bleibt als nächster methodischer Fehlschluss die Annahme, dass „unser“ Ressourcen- und Energieverbrauch konstant bleibt, während die ärmere Hälfte der Bevölkerung aufholt. Im momentanen Wirtschaftssystem wäre das ein eher unwahrscheinliches Szenario, da der globale Norden (USA, Kanada, Europa, Israel, Südkorea, Australien, Japan, Neuseeland, Hongkong, und einige Inseln) auf Kosten des globalen Südens wächst. Seit Europa ab dem Ende des 15. Jahrhundert begonnen hat, die Welt zu kolonialisieren, ist der größte Teil des globalen Südens wirtschaftlich eher der Dienstleister der frühen Industriestaaten; er dient dem globalen Norden als Absatzmärkte und Quellen für Rohstoffe, die ausgebeutet werden, damit der westliche Kapitalismus sich erneuern und entwickeln kann, wie es Noam Chomsky in „Media Control“ ausdrückt (siehe Lars Schoultz, „Human Rights and United States Policy toward Latin America“, Princeton, 1981, S.7).
Diese ehemals kolonialen Abhängigkeiten bestehen heutzutage weitgehend fort. Jason Hickel bezifferte in einer kürzlich erschienen Studie den Wert dieser ungleichen Handelsbeziehungen auf 10 Billiarden US-Dollar pro Jahr. Anders ausgedrückt gewinnt der globale Norden durch diese Handelsbeziehungen ca. 25 Prozent seines BIPs. Diese ungleichen Handelsbeziehungen sind wichtig um zu verstehen, warum es unwahrscheinlich wirkt, dass wir im momentanen weltweiten Wirtschaftssystem für alle Menschen auf dem Planeten ein gutes Leben innerhalb planetarer Grenzen ermöglichen können.
Gutes Leben in planetaren Grenzen
Wenn der globale Süden in den momentanen Abhängigkeitsverhältnissen also unseren Lebensstandard erreichen würde, dann wohl eher in einem Zukunftsszenario, in dem der durchschnittliche Energie- und Ressourcenverbrauch des globalen Nordens in ganz anderen Dimensionen liegt. Mit den Ergebnissen der Entkopplungsstudien im Hinterkopf, die uns sagen, dass eine absolute Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum nicht möglich ist, ist klar: Dieses ferne Zukunftsszenario wird nie eintreten, denn vorher wird ein großer ökologischer Zusammenbruch der Welt den Großteil der Menschheit auslöschen.
Zu einem fundierteren Ergebnis kommen Julia Steinberger und andere, die im „Living Well Within Limits“ Projekt („Gutes Leben innerhalb Grenzen“) untersuchten, wie nahezu alle Länder der Welt darin abschneiden, ein gutes Leben für die Bevölkerung innerhalb der planetaren Grenzen zu ermöglichen. Dazu definieren sie elf soziale Parameter – von Ernährung über Bildung, sozialer Teilhabe bis hin zu Lebenszufriedenheit – und messen, wie viele planetare Grenzen die jeweiligen Länder jeweils überschreiten, heruntergebrochen auf die jeweiligen Staaten und wie viele soziale Parameter sie erreichen.
Das Ergebnis ist erst einmal ernüchternd. Viele klassische Industriestaaten wie zum Beispiel Deutschland erreichen recht hohe Werte in sozialen Parametern, überschreiten dafür aber alle planetaren Grenzen. Im Gegenzug gibt es andere Länder wie etwa Bangladesch, die zwar keine planetaren Grenzen überschreiten, dafür aber auch nur einen sehr schlechten sozialen Output haben. Die Gegend, in der wir uns befinden müssten – hoher sozialer Output, ohne planetare Grenzen zu überschreiten – ist sehr leer.
Auch wenn dieses Ergebnis sehr bedauerlich ist: Es war – angesichts der erfolgreichen Versuche der letzten Jahrhunderte, nahezu alle Länder der Welt in ein einziges kapitalistisches Weltwirtschaftssystem zu zwängen – erwartbar.
Bei genauerem Hinsehen geben uns diese Daten jedoch auch etwas Hoffnung und zeigen einen Weg, wie es gelingen kann, tatsächlich für alle Menschen auf der Welt ein gutes Leben zu ermöglichen. Denn in der Liste der Staatengruppen gibt es zwischen den klassischen Industriestaaten, die hohen sozialen Output durch Überschreiten aller planetarer Grenzen und Ausbeutung des globalen Südens erreichen, und den ausgebeuteten Staaten des globalen Südens noch eine dritte Kategorie, der es gelungen ist, einen Mittelweg einzuschlagen.
Diese Staaten wie zum Beispiel Costa Rica, Tunesien oder Sri Lanka überschreiten einige planetaren Grenzen nur geringfügig und gleichzeitig fehlt häufig nicht mehr viel Verbesserung, um für alle Menschen der Bevölkerung ein gutes Leben zu ermöglichen. In der Regel wird angenommen, dass es lediglich durch Umverteilung und ohne jegliches weiteres Wirtschaftswachstum möglich sein sollte, alle sozialen Indikatoren zu erreichen, ohne den ökologischen Fußabdruck weiter zu vergrößern.
Würde man diese Länder als Vorbild nehmen, dann ergäbe sich daraus, dass reiche Industriestaaten ihre Wirtschaftsleistung in etwa halbieren müssten, um auf einem Wirtschaftsniveau herauszukommen, das es sowohl allen Menschen auf der Welt ermöglichen könnte, ein gutes Leben zu führen – und innerhalb planetarer Grenzen zu bleiben. Diese Ergebnisse sind allerdings mit etwas Vorsicht zu genießen, da sie sehr stark davon abhängen, wie im einzelnen Versorgungssysteme wie Bildung oder Krankenversorgung organisiert sind, und vor allem, wie stark es gelingen wird, bestehenden Reichtum umzuverteilen.
Fassen wir also zusammen:
- Der große Treiber der Umweltzerstörung ist nicht die Anzahl an Menschen auf dem Planeten, sondern der Überkonsum weniger. Das reichste Prozent stößt mehr Treibhausgase aus, als die ärmere Hälfte der Bevölkerung.
- Im momentanen Wirtschaftssystem ist es nicht möglich, für alle Menschen auf der Erde ein gutes Leben zu ermöglichen.
- In einem anderen Wirtschaftssystem wäre es aber durchaus möglich. Das setzt aber eine Umverteilung von Reichtum voraus und eine Reduktion der Wirtschaftsleistung in wohlhabenden Ländern.
Text: Manuel Oestringer von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Bild (Straßenszene in Afghanistan): Pixabay. Grafiken: Von der Klimacamp-Redaktion zur Verfügung gestellt.
Der zweite Teil erscheint am Freitag.
Die Klimacamp-Blogs werden von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:
(83) Second Hand ist erste Wahl
(82) Klimastreik: Noch ist es nicht zu spät
(81) Es brennt
(80) Weder Kinderkram noch Grüne RAF
(79) Gefährliche Eingriffe?
(78) Die Hoffnung stirbt, die Aktion beginnt
(77) Harakiri oder Amoklauf?
(76) Mehr Gas beim Klimaschutz, weniger in der Leitung
(75) Motorboot fährt Klima tot
(74) Es geht weiter!
(73) (K)ein Grund zu feiern
(72) Ein Jahr Klimacamp
(71) Große Hektik, wenig Zukunft
(70) Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe?
(69) Warm- oder Kaltbaden? Ein Dilemma
(68) Der klimaneutrale Weinhändler
(67) Was der Deutschlandfunk berichtet
(66) Weniger ist mehr
(65) Können Klimabewegungen und Gewerkschaften zusammen Ziele erreichen?
(64) Zwei Stunden pro Woche für das Camp!
(63) Was will die „letzte Generation“?
(62) CETA oder Klima
(61) Klima-Bahn oder Betonbahn?
(60) Gasausstieg in Konstanz – ein Übersichtsartikel
(59) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil III
(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht
Hallo,
Ich versuche mal diese Fragen so gut es in einem Kommentar geht zu beantworten:
„Was ist die Reichtumsverteilung und was ist Reich?“
Man unterscheidet sich Vermögen und Einkommen. Einkommen, ist das, was jährlich dazukommt, Vermögen ist das, was die Menschen bereits haben. Für die reichsten Menschen ist Vermögen relevanter, deshalb hier eine kleine Übersicht der Vermögen:
Das reichste 1,1% der Weltbevölkerung besitzt ein Vermögen von über 1 Mio US Dollar, die reichsten 11,1 % besitzen ein Vermögen von über 100 000 US Dollar, und die Ärmere Hälfte der Weltbevölkerung ein Vermögen von unter 10 000 US Dollar.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/384680/umfrage/verteilung-des-reichtums-auf-der-welt/
Die Ärmere Hälfte der Weltbevölkerung besitzt 2% des weltweiten Vermögens. Die reichsten 10% besitzen 76 % des Vermögens.
2018 besaßen die reichsten 28 Menschen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.
Zum Einkommen lässt sich sagen: Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung erhält 8% des jährlichen weltweiten Einkommen, die Reichsten 10% erhalten etwa die Hälfte des weltweiten Einkommens.
Zahlen beiseite: Die Vermögensverteilung entspricht in etwa einer exponentiellen Kurve. Sehr wenig Vermögen für den Großteil der Weltbevölkerung. Bei etwa dem reichsten Prozent beginnt die Vermögenskurve sehr sehr stark zu wachsen, mit dem Großteil des Vermögens beim reichsten 0,1% des reichsten Prozentes. Da man keine Abbildungen in die Kommentare einfügen kann:
Eine grafische Darstellung des Vermögenszuwachses der letzten 40 Jahre befindet sich hier (Abbildung 9):
https://wir2022.wid.world/www-site/uploads/2021/12/Summary_WorldInequalityReport2022_German.pdf
„Was ist Arm?“
Hier gibt es einige Definitionen. Kurze Übersicht:
Extreme Armut wird definiert mit einem täglichen Einkommen von unter 1,9 US Dollar, bei amerikanischen Verhältnissen. Also das relative Einkommen hat eine Kaufkraft von 1,9 US Dollar in den USA. Die 1,9 US Dollar entsprechen dem Einkommen, das zur Verfügung steht wenn in England 35 Menschen mit einem einzigen Mindestlohneinkommen überleben müssen. Also so extrem, dass man sich nicht ausreichend ernähren kann.
Da die 1,9 US Dollar Linie keine sinnvolle Angabe macht, gibt es einige andere Definitionen. Eine häufig angeführet Linie ist ein tägliches Einkommen von 7,4 US Dollar am Tag, da man mit diesem Einkommen eine normale Lebenserwartung erreicht.
Andere wiederum sagen, da man US Preise nimmt, sollte man auch die US Armutslinie von 15 US Dollar am Tag nehmen.
Nehmen wir die 7,4 US Dollar Linie, dann haben 2013 etwa 4 Milliarden Menschen, also die Hälfte der Weltbevölkerung unter dieser Linie gelebt.
Es ist hervorzuheben, dass extreme Armut kein „natürlicher“ menschlicher Zustand ist. In der Menschheitsgeschichte waren Menschen meistens in der Lage Grundbedürfnisse zu befriedigen, außer, wenn sie von Gemeinschaftsgütern abgeschnitten waren oder ihre Arbeit durch eine herrschende Klasse angeeignet wurde.
Der Kapitalismus hat extreme Armut geschaffen. Das ist aber kein Alleinstellungsmerkmal, auch andere Gesellschaftssysteme haben extreme Armut geschaffen. Wie gesagt ist das jedoch in der menschlichen Geschichte eine Ausnahme.
Quellen:
https://www.jasonhickel.org/blog/2019/2/3/pinker-and-global-poverty
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0305750X22002169
„Was ist ein gutes Leben?„
Das ist natürlich eine sehr philosophische Frage und natürlich stark abhängig von der jeweiligen Gesellschaft.
In den erwähnten Studien werden für ein gutes Leben 10 Indikatoren definiert.
Lebenszufriedenheit, nach der Cantril Skala (Einer Skala von 0 bis 10),
eine gesunde Lebenserwartung von 65 Jahren, Ernährung (2700 kcal Nahrung pro Person und Tag),
Zugang zu sanitären Anlagen (min 95% der Bevölkerung) ,
Einkommen (95% der Bevölkerung verdienen pro Tag mehr als 1,9 US Dollar am Tag),
Elektrizität (95% der Bevölkerung hat Zugang zu Elektrizität),
Bildung (95% der Bevölkerung haben eine weiterführende Schule besucht),
Sozialer Zusammenhalt (90% der Bevölkerung hat Freunde oder Familie, auf die sie sich verlassen können),
Demokratie (demokratische Qualität von mindestens der Qualität von England oder den USA),
Gleichheit (Gini Index von 0,3) und eine Arbeitslosigkeit von weniger als 6%.
In unserer Gesellschaft machen diese Indikatoren durchaus Sinn, es ist aber natürlich nicht der einzige Weg zu einem guten Leben.
„Was sind „Grundbedürfnisse“?“
Im Grunde sind Grundbedürfnisse genau diese Dinge. Die relevanten Dinge, die dafür sorgen, dass die Menschen ein gutes Leben führen können.
Medizinische Versorgung, Wohnen, Essen, Bildung, demokratische Teilhabe, Zugang zu Elektriziät und Wärme,…
Wenn wir uns der Frage stellen, wie alle Menschen ihre Grundbedürfnisse decken können, dann ist es zentral, dass wir über Versorgungssyteme nachdenken, die es schaffen dies bei geringem Ressourcenverbrauch zu machen. Zum Beispiel benutzt die Fleischindustrie 60 % der weltweiten landwirtschaftlichen Fläche, erzeugt aber nur 2% der weltweiten Kalorien. Das ist z.B. ein NoGo wenn wir auf dem Planeten überleben wollen.
„Die Abschaffung des „Kapitalismus“ wird die Welt jedenfalls auch nicht retten….“
Ich würde die Aussage andersherum treffen: Mit dem Kapitalismus wird der Großteil der Menschheit das 21. Jahrhundert nicht überleben. Denn, es deutet momentan nichts darauf hin, dass eine absolute, ausreichend schnelle Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum möglich ist, geschweige denn passiert. Das heißt, jedes weitere weltweite Wirtschaftswachstum treibt Klimakrise, Artensterben und co weiter voran. (siehe z.B. die Klimacamp Blog Artikel 37 und 38 und die darin erwähnten Studien)
Es wird uns nur gelingen, einen ökologischen Zusammenbruch zu vermeiden, wenn wir eine Wirtschaftssystem errichten, das ohne Desaster schrumpfen kann. Kapitalismus ist ein System, das auf unendlichem, exponentiellem Wirtschaftswachstum beruht und indem jedesmal wenn die Wirtschaft nicht wächst, diese unkontrolliert schrumpft mit katastrophalen Folgen für die Bevölkerung.
Es gibt noch mehr Gründe, warum es uns im Kapitalismus nicht gelingen wird, ein gutes Leben für alle Menschen auf dem Planeten zu schaffen. Aber um es einfach auszudrücken: Wenn das Ziel des Wirtschaftssystem ist, möglichst viele Ressourcen in den Händen weniger anzusammeln, dann kann das auf einem endlichen Planeten nicht gut gehen.
Die Abschaffung des Kapitalismus wird uns nicht automatisch magisch retten, genausowenig wie wir den Kapitalismus mit einem Fingerschnippser beseitigen werden. Und natürlich ist auch entscheidend, was wir stattdessen errichten. Die Wahl ist nicht zwischen dem Kapitalismus und der Sowjetunion, die auch nicht nachhaltig war. Es gibt zu viele Ideen, wie ein nicht kapitalistisches Wirtschaftssystem aussehen kann, um sie hier alle aufzuzählen.
Um das trotzdem nicht einfach so stehen zu lassen:
Grob gesagt gibt es 2 Grundlegende Richtungen in die wir weitergehen können. Auf der einen Seite können wir versuchen in begrenzten Räumen Alternativen zu gängigen Kapitalistischen Systemen errichten. Also z.B. die Gründung von Ökodörfern oder Kooperativen.
Auf der anderen Seite können wir mithilfe den Staat in die Verantwortung zu nehmen. Um Wachstumstreiber zu entfernen, das heißt Systeme und Institutionen, die dafür sorgen, dass wir unsere Wirtschaft wachsen muss, komme was wolle. Das sind z.B. unser Geldsystem, Finanzmärkte, Reichtumsverteilung oder auch dass der Zugang zu Grundbedürfnissen eingeschränkt werden und ein Teil der Gesellschaft bewusst in Armut gehalten wird um als billige Arbeitskraft ausgebeutet werden zu können.
„Ich gehe weiterhin davon aus, dass es zwingend erforderlich ist, dafür Sorge zu tragen, dass die Weltbevölkerung nicht steigt, sondern mittelfristig sogar abnehmen muss, will man die „planetaren Grenzen“ nicht überschreiten.
Aber wie dies sinnvoll – und humanitär – ins Werk gesetzt werden kann, weiß ich auch nicht.“
Das würde ich so nicht unterschreiben. Die Gründe habe ich in den beiden Blogartikeln dargelegt. Ich denke solange wir ein Wirtschaftssystem haben, das auf Ressourcenakkumulation in den Händen weniger setzt und auf unendliches Wirtschaftswachstum ist die Weltbevölkerungsentwicklung eine nebensächliche Geschichte. Die Bevölkerungsgruppen mit den größten Geburtenraten, tragen meist am wenigsten zur Umweltkrise bei. Wie gesagt, das reichste Prozent stößt mehr Treibhausgase aus, als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.
Es gibt auch noch einen zweiten Grund, warum ich nicht denke, dass eine große Sorge unsererseits sein muss. Wie der ehemalige indische Premierminister Karan Singh sagte:“Entwicklung ist das beste Verhütungsmittel.“ Entwicklung hat häufig einen kolonialen Beigeschmack, deshalb gefällt mir das Wort hier nicht so gut. Aber, Dinge die Geburtenrate reduzieren sind, Zugang zu Elektrizität, Bildung, demokratische Teilhabe und so weiter. Kurz all die Dinge, die es braucht um ein gutes Leben zu führen. Aus diesem Grund sinkt auch in den meisten Szenarien des Weltklimarates, die Bevölkerung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wieder.
Eine andere Geschichte, ist, ob wir in eine Welt, mit so düsteren Zukunftsaussichten noch Kinder setzen wollen. Aber das ist letztendlich eine Frage, ob es uns gelingt uns zu organisieren und ein anderes Gesellschaftssystem zu schaffen, bevor es zu spät ist.
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0959378014001095
Und noch zu Tunesien und Kuba:
Ich kenn mich zu schlecht mit den beiden Ländern aus, um zu sagen, was dort schief läuft. Warum sie hier gelistet werden: Kuba erzielt recht schlechte Werte in Demokratie, dafür aber recht gute Werte in fast allen anderen Indikatoren. Bei einem durchschnittlichen pro Kopf Einkommen von 8 800 US Dollar erreicht Kuba eine durchschnittliche Lebenserwartung von 78 Jahren, genauso hoch wie das der USA bei einem pro Kopf Einkommen, von 55 000 US Dollar. Oder die Kindersterblichkeit in Kuba ist geringer, als die in den USA. Und das bei einem totalen Wirtschaftsembargo vonseiten der USA.
Wie gesagt, diese Länder haben auch viele Probleme, und ein koloniales Erbe und amerikanische Putschversuche haben die Situation nicht verbessert.
Sehr geehrter Daub,
da haben Sie eine wichtige und richtige Frage auf den Punkt gebracht. Das soziale und politische System in diesen Ländern wird offensichtlich von nicht wenigen Einwohnern als suboptimal empfunden – aber (Achtung! Ironie!) das liegt wahrscheinlich am kolonialen Erbe und am westlichen Kapitalismus, und nicht an den dortigen Eliten, die sich auf Kosten der eigenen Bevölkerung die Taschen füllen oder an der Macht bleiben wollen. Vielleicht ist der Mensch aber auch nur noch nicht reif genug, um seine wahren Interessen zu erkennen, und es bedarf noch einer entsprechenden Schulung durch eine Partei mit Durchblick und der richtigen wissenschaftlichen Lehre.
Aber wir wollen hier nicht kleinlich werden.
es grüßt
peter krause
“ ….Tunesien oder Kuba sind natürlich noch nicht das Ende aller sozialen Bemühungen. Aber sie sind eine erste Kategorie an Ländern denen es gelungen ist, Umweltschutz und soziale Standards zumindest zum Teil zu vereinen“, so der Autor im zweiten Kommentar!
Warum wollen dann gerade dort alle weg!?
Sehr geehrter Herr Oestringer,
haben Sie vielen Dank für Ihre ergänzenden Ausführungen.
Aber auch diese lassen mich unbefriedigt zurück.
Es bleiben doch grundlegende Fragen unbeantwortet – wie kann es auch anders sein, denn diese Fragen berühren sehr komplexe Zusammenhänge:
– Was ist ein „gutes Leben“?
– Was sind „Grundbedürfnisse“?
– Was ist die „Reichtumsverteilung“ bzw. was ist „Reich“ und was ist „arm“?
Ich gehe weiterhin davon aus, dass es zwingend erforderlich ist, dafür Sorge zu tragen, dass die Weltbevölkerung nicht steigt, sondern mittelfristig sogar abnehmen muss, will man die „planetaren Grenzen“ nicht überschreiten.
Aber wie dies sinnvoll – und humanitär – ins Werk gesetzt werden kann, weiß ich auch nicht.
Die Abschaffung des „Kapitalismus“ wird die Welt jedenfalls auch nicht retten….
es grüßt
peter krause
Hallo,
Es gibt bestimmt eine Grenze für eine Weltbevölkerung, die der Planet verkraften kann. Wo diese genau ist wissen wir nicht, da sie von vielen Faktoren abhängt. Eine plausible Annahme wäre, dass sie bei ca. 10 Milliarden Menschen liegt, da das zumindest nach momentanem Stand, die Anzahl an Menschen sind, die innerhalb planetarer Grenzen ernährt werden können (https://www.nature.com/articles/s41893-019-0465-1). Mit fortschreitender Umweltkrise wird diese Grenze bestimmt noch sinken. Vermutlich wird die Bevölkerungsentwicklung die Weltbevölkerung recht nahe an diese Grenze bringen, die meisten Modelle des IPCC gehen aber davon aus, dass diese Grenze nicht überschritten wird.
Es wird sicherlich nicht einfach, alle planetaren Grenzen einzuhalten und für alle Menschen ein gutes Leben zu organisieren. Es ist ein sehr schmaler Grad, keine planetaren Grenzen zu überschreiten und trotzdem ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Aber es ist vermutlich möglich. Und der entscheidendere Faktor ist momentan nicht wie viele Menschen auf der Erde leben, sondern die Reichtumsverteilung und wie der Zugang zu Grundbedürfnissen möglich ist.
Costa Rica, Sri Lanka, Tunesien oder Kuba sind natürlich noch nicht das Ende aller sozialen Bemühungen. Aber sie sind eine erste Kategorie an Ländern denen es gelungen ist, Umweltschutz und soziale Standards zumindest zum Teil zu vereinen. Aber auch in all diesen Ländern gibt es noch erheblichen Nachholbedarf.
Auf der Seite der Uni Leeds kann man übrigens sich im Detail anschauen, wie die Länder der Welt in den verschiedenen Kategorien abschneiden:
https://goodlife.leeds.ac.uk/
Sehr geehrter Herr Oestringer,
haben Sie vielen Dank für Ihren Beitrag; besonders für die Mühe, die Sie sich gemacht haben, die Daten bzw. Studien zusammenzutragen.
Aber Ende bleibt es doch dabei: Wenn es „planetare Grenzen“ gibt – und ich teile diese Annahme! -, dann ist irgendwann „Schicht im Schacht“. Man kann sicher über die genaue Größe der Weltbevölkerung streiten, die die Erde verkraften kann. Der Lebesntil und die Gesellschaftsordnung sowie die technologischen Entwicklungen und Möglichkeiten haben sicher einen Einfluss auf die „Kapazitätsgrenze“ der Erde. Aber wenn es „planetare Grenzen“ gibt, dann muss es auch eine Grenze für die Weltbevölkerung geben, die der Planet noch ernähren und ein angenehmes Leben ermöglichen kann.
Eine andere Frage ist zudem, ob man men dem zufrieden wäre, was so in Kuba, Sri Lanka und Tunesien der Lebensstandard ist – mal ganz abgesehen vom politisch-wirtschaftlichen System.
Es grüßt
peter krause