Der Klimacampblog (69): Warm- oder Kaltbaden? Ein Dilemma

Auf seiner letzten Sitzung Ende Juni lieferte der Konstanzer Gemeinderat ein Beispiel dafür, wie er die komplexen Herausforderungen von Energiekrise und Klimakatastrophe angehen will, die weitreichende Folgen haben. Nämlich erst einmal gar nicht.

Mitten im Sommer haben städtische Schwimmbäder am See ein Problem. Denn sie werden alle mit Erdgas beheizt. Das macht einerseits das Wasser schön warm, andererseits aber besteht die Gefahr, dass uns das Gas, das wir jetzt verbrennen, im Winter fehlt – Erdgas wird bekanntlich nicht nur für Schwimmbäder genutzt, sondern für sehr viel mehr. Und wenn das ausgeht, wird es ziemlich doof und ziemlich kalt.

Um mit dem verfügbaren Gas durch den Winter zu kommen, müssen wir also ab sofort möglichst wenig verbrennen. Das stellt die Stadtwerke und deren Tochter, die Bädergesellschaft Konstanz, vor ein Problem: Wenn sie die Wassertemperatur zu sehr absenken, bleiben die Warmbader:innen weg. Und die Betriebe geraten ins Minus. Gleichzeitig verbrauchen viele andere auch im von Hitze geplagten Sommer wertvolles Gas, um Wasser zu erwärmen.

Was also tun? Man greift zum Telefon und telefoniert. Fast eine ganze Woche lang sprachen die Verantwortlichen mit vielen Bäderbetreiber:innen aus ganz Deutschland und natürlich vor allem in der Region. Schließlich haben ja alle das selbe Problem. Sie diskutieren und entwickeln einen großen Plan: Man könnte doch die Wassertemperatur in den meisten Bädern um ein Grad Celsius reduzieren.

Die Qual der Wahl

Dieses grandiose Konzept präsentierten die städtischen Betriebe dem Gemeinderat und versuchten, diesen für ihr Vorhaben zu begeistern. Doch der Gemeinderat ist gespalten. Ein Teil findet den Plan großartig. Die Bevölkerung sei schließlich Einschränkungen noch nicht so gewohnt, die dürfe man jetzt nicht überfordern. Die Menschen müssten sich erst langsam an Entbehrungen und das kältere Wasser gewöhnen.

Ein anderer Teil fragt sich, was man davon habe, sich mit kaltem Wasser abzuquälen. Dann reiche zwar das Gas eventuell über den ganzen Winter, aber es gebe noch mehr Bäder als die in Konstanz, und wenn man nur hier die Temperatur absenke, hieße das noch lange nicht, dass es im Winter automatisch mehr Gas gebe.

Und dann ist da noch die dritte Gruppe, die den Plan für idiotisch hält. Ihre Überlegung: Damit löse man das Problem nicht und mache alles nur noch schlimmer: Wenn wir der Bevölkerung jetzt nichts zumuten, gibt‘s bald einen großen Knall, und dann stecke man erst richtig im Dilemma. Schließlich komme das Wasser mit 27 Grad Celsius aus der Erde. Das sei zwar kälter als 31 Grad, aber eigentlich nicht wirklich kalt.

Sorge um Marktanteile

Die Bäderbetreiber argumentieren gegen die Kaltbaderradikalos. Die Bäder anderswo würden die Temperatur ja auch nicht stärker absenken. Und wenn man jetzt in Konstanz vorschnell handle, verlöre man wertvolle Marktanteile. Dann nämlich würden sich die Bäderkund:innen langfristig umorientieren und die warmen Bäder in der Nachbarschaft aufsuchen. Und selbst wenn man danach die Wassertemperatur wieder erhöhe, seien die Marktanteile kaum zurückzuerobern: Das Geschäft wäre für lange Zeit ruiniert.

Nun kommt Fahrt in die Debatte. Immer mehr Gemeinderatsmitglieder melden sich zu Wort. Neue Argumente kommen kaum noch, aber jetzt ist Zeit, selber Stellung zu beziehen. Die Debatte zieht sich in die Länge.

Die Leitung der Bädergesellschaft ist in der Defensive. Man müsse behutsam vorgehen, argumentiert sie. Und schlägt vor, erst einmal drei Monate lang zu beobachten, wie sich eine ein Grad kältere Wassertemperatur auf die Badekundschaft auswirkt.

Das erzeugt etwas Stirnrunzeln bei der Kaltbaderfraktion: Damit die Situation unter Kontrolle bleibt, müsse man doch schnell handeln, nicht erstmal drei Monate beobachten.

Die Entscheidung bleibt offen

In dieser Situation wirft die Badeleitung neue Aspekte in die Debatte. Wenn der Staat regulierend eingreife, könne er das tun; er könne auch beschließen, die Bäder im Notfall zu schließen. Aber wenn er das tue, müsse er das aber auch bezahlen. Wenn sie das jetzt von sich aus mache, müsse sie für die Kosten aufkommen, alles selbst bezahlen und verliere Marktanteile. Außerdem bestehe der ganze Sinn einer Therme (mit ihrem sehr warmen Schwimmbad) ja darin, dass sie warmes Wasser habe. Kurzum: Wenn das zu kalt sei, dann mache alles gar keinen Sinn mehr.

Die Stimmung kocht hoch, die Verwirrung ist groß. Die Diskussion geht jetzt schon über eine halbe Stunde.

Es wird entschieden, die Entscheidung zu vertagen.

Wer setzt sich durch? Die Warm- oder die Kaltbaderfraktion? Die Sache ist noch nicht entschieden. Aber klar ist: Wenn niemand eingreift, der Staat nicht regulierend handelt, dann wird das warme Wasser eklig lauwarm und abgestanden. Und ich gehe jetzt erstmal in den See. Wie warm der ist, sehe ich dann.

PS: Im Übrigen ist Eisbaden gut für das Immunsystem. Vielleicht könnten wir auch ein Becken auf Eiseskälte absenken, um Gesundheitsfans anzulocken?

Text: Manuel Oestringer von der Konstanzer Klimacamp-Redaktion
Bild (es zeigt das Schwaketenbad): Pit Wuhrer

Das bietet das Klimacamp beim Münster in dieser Woche:
Heute, Mittwoch, 6. Juli, ab 19 Uhr: Spieleabend
Morgen, Donnerstag, 7. Juli, ab 18.30 Uhr: Jam-Session:

Der Klimacamp-Blog wird von Aktivist:innen des Konstanzer Camps verfasst. Sie entscheiden autonom über die Beiträge. Bisher sind auf seemoz.de erschienen:

(68) Der klimaneutrale Weinhändler
(67) Was der Deutschlandfunk berichtet
(66) Weniger ist mehr
(65) Können Klimabewegungen und Gewerkschaften zusammen Ziele erreichen?
(64) Zwei Stunden pro Woche für das Camp!
(63) Was will die „letzte Generation“?
(62) CETA oder Klima
(61) Klima-Bahn oder Betonbahn?
(60) Gasausstieg in Konstanz – ein Übersichtsartikel
(59) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil III
(58) Atomstrom ist keine Lösung
(57) Orchideen und die Klimakrise
(56) Wer ist „wir“?
(55) Aufstand der letzten Generation – auch in Konstanz
(54) Klimadebatte in Konstanz: Fakten oder Meinung?
(53) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil II
(52) Ausstieg aus dem Wirtschaftswachstum, Teil I
(51) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil II
(50) Rückblick auf den globalen Klimastreik, Teil I
(49) Frieden, Gerechtigkeit und die Klimakrise
(48) Ein Gedicht zum Klimastreik
(47) Hoffnung!
(46) Raus aus dem Anti-Klimavertrag!
(45) Vorbereiten auf den 25. März
(44) Friedensprojekt Energiewende
(43) Was ist rechtens? Und was richtig?
(42) Die Planetare Grenze für Chemikalien ist überschritten
(41) Energiecharta – der schmutzige Vertrag
(40) 200 Tage Klimacamp
(39) Dies ist ein Notfall. Das ist ein Aufstand
(38) Grünes Wachstum? Weniger ist mehr!
(37) Die Sache mit dem grünen Wachstum
(36) Dreimal das erste Mal
(35) Auch der Bürgermeister zweifelt
(34) Wenn der Frühling im Januar beginnt
(33) Aufstand der letzten Generation
(32) Planetare Grenzen
(31) Über die Notwendigkeit von Klimagerechtigkeit
(30) Warum nicht in aller Munde?
(29) Tag 134 – und weiter geht’s!
(28) Was wir jetzt am dringendsten brauchen
(27) Es gibt kein Weihnachten auf einem toten Planeten
(26) Wenn alles kippt
(25) Besuch im Camp
(24) Ein Konstanzer Traum
(23) Mit der geplanten Erdgas-Pipeline zurück ins fossile Mittelalter
(22) Die Kirche und das Camp
(21) Winter im Camp – wir brauchen Unterstützung!
(20) Die Konstanzer Klimaschutzstrategie
(19) Diese Woche? Klimawoche!
(18) Hambi 2.0 – der Kampf um Lützerath
(17) Hundert Tage – Party oder Trauerfeier?
(16) Was passiert, wenn wir die 1,5 Grad-Grenze überschreiten?
(15) Ein Plädoyer für Offenheit
(14) Was kostet Anwohnerparken?
(13) Wie, Konstanz, hältst du’s mit dem Gas?
(12) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 2)
(11) Der Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem (Teil 1)
(10) Eine Nacht im Klimacamp
(9) Sind individuelle Lösungen ein wirksames Mittel? Eine Gegenüberstellung
(8) Ein Tag im Camp
(7) Demo- und Wahlrückblick
(6) Nach der Wahl: Das muss jetzt passieren
(5) Zwischen Verzweiflung und Hoffnung
(4) Klimastreik vor der Wahl
(3) Eine lange Radtour
(2) Kaum Fortschritte beim Klimaschutzbericht
(1) Warum Fridays nicht mehr reicht